4. Mai 2009

Marginalie: Fälschungsskandal an der Universität Göttingen? Anmerkungen zu Neoliberalismus, Ökologie und Publikationslisten

Am Samstag stand es in "Spiegel- Online": "SKANDAL IN GÖTTINGEN - Forscher sollen Publikationen erfunden haben". Heute zieht die "Süddeutsche Zeitung" mit einem Bericht von Tanjev Schultz nach, der mit dem originellen Stabreim "Fälschen und Forschen" überschrieben ist.

Und dort, in der SZ, finden wir auch einen Leserkommentar, der die Sache ins rechte Licht rückt: "Diese Leute haben meiner Meinung nach schlicht die neoliberale Ideologie konsequent zu Ende gedacht", schreibt da ein gewisser cooldog, "... wenn ich inhaltslose Arbeiten publiziere oder mich bei Seilschaften einschleime und auf diese Weise Prof werde, dann hat ... der 'Markt' entschieden - einen 'Markt' im Wissenschaftsbereich zu schaffen ist ja erklärtes Ziel der Neoliberalen".



Worum geht es? Niemand wirft irgendwem vor, "inhaltslose Arbeiten" publiziert oder sich irgendwo "eingeschleimt" zu haben. Die Wissenschaftler, gegen die von einer Kommission der Universität Göttingen ermittelt wird, dürften auch schwerlich Neoliberale sein.

Sie gehören nämlich zum Sonderforschungsbereich 552 an der Georg- August- Universitaet Goettingen, der sich STORMA abkürzt. Das steht für Stability of Rainforest Margins in Indonesia. Was man dort untersucht, hat einer der Verantwortlichen, Prof. Manfred Zeller vom Institut für Rurale Entwicklung (das heißt tatsächlich so!) der Universität Göttingen, so beschrieben:
  • the analysis of key factors and processes that lead to destabilisation and forest degradation in the forest margin zone;

  • the identification and assessment of social, economic, political and ecological conditions that are imperative for the stability in the forest margin zone; and

  • the development of rapid appraisal systems and integrated interdisciplinary models that aim to evaluate the socio- economic and ecological consequences of existing and alternative rural development and nature conservation policies.

  • Analyse von Schlüsselfaktoren und -prozessen, die zur Destabilisierung und Beeinträchtigung in der Randzone des Waldes führen;

  • Identifizierung und Bewertung sozialer, ökonomischer, politischer und ökologischer Bedingungen, die für die Stabilität in der Waldrandzone unerläßlich sind; und

  • Entwicklung schneller Erfassungsysteme und integrierter interdisziplinärer Modelle mit dem Ziel einer Bewertung der sozio- ökonomischen und ökologischen Folgen der bestehenden sowie alternativer Politik zur ländlichen Entwicklung und zur Bewahrung der Natur.
  • Klingt nicht so fürchterlich neoliberal, nicht wahr?

    Es handelt sich offensichtlich um eines der vielen, vielen weltweiten Projekte zum Thema "Erhalt des tropischen Regenwalds", in die viel, viel Geld fließt.



    Wenn Wissenschaftler für ihre Forschung Geld bekommen, dann wird als Gegenleistung erwartet, daß sie publizieren. Man kann viel darüber philosophieren, ob dieser "Publikationsdruck" gut oder schlecht ist - irgend etwas müssen Forscher ja für ihr Geld liefern. Man kann auch darüber nachdenken, ob es denn gut ist, daß der Bäcker so viele Brötchen backen muß, und ob es nicht ersprießlicher wäre, wenn er sich auf die kunstvolle Herstellung weniger, aber handwerklich hochwertiger Brötchen beschränken dürfte.

    Die Forscher des SFB 522 sind dieser Pflicht durchaus nachgekommen. Das Publikationsverzeichnis des SFB 522 umfaßt insgesamt 86 Publikationen. In den ersten Jahren waren es naturgemäß wenige (drei im Jahr 2000, eine 2001 und zwei 2002). Das liegt daran, daß eine Forschung ja erst einmal anlaufen muß und daß zwischen dem Einreichen eines Manuskripts und seiner Publikation längere Zeiträume liegen können. Dann steigerte sich die Publikationstätigkeit und erreichte im Jahr 2007 mit 32 Artikeln einen Höhepunkt; 2008 waren es dann noch 13.

    Ob das viel oder wenig an Publikationen ist oder Durchschnitt, kann ich nicht beurteilen; die Standards sind da in jeder Disziplin anders. Auch über die Qualität der Zeitschriften, in denen aus dem SFB 522 heraus publiziert wurde, kann nur der Fachmann urteilen.

    Aber der Vorwurf an die Göttinger Wissenschaftler lautet ja nicht, zu wenig oder in nicht hinreichend guten Zeitschriften publiziert zu haben; sondern er lautet, so schreibt Tanjev Schultz, "Aufsätze (noch) gar nicht geschrieben, sie aber gleichwohl auf ihren Publikationslisten vermerkt zu haben, um sich Drittmittel zu erschleichen. Teilweise sollen Arbeiten auch falsch datiert worden sein. Darüber hinaus besteht der Verdacht, dass Forschungsgeld in sechsstelliger Höhe falsch verbucht oder veruntreut wurde".

    Was am Vorwurf der Veruntreuung dran ist, wird die inneruniversitäre Kommission herauszufinden haben. Was die Publikationen angeht, kann man aber gewisse Vermutungen anstellen:

    Daß, wie "Spiegel- Online" schreibt, "Publikationen einfach erfunden" wurden, ist höchst unwahrscheinlich. Sie werden ja auf der Publikationsliste mit der genauen Angabe von Zeitschrift, Erscheinungsjahr, Seitenzahl angegeben. Das alles für einen nicht existenten Artikel zu erfinden, würden einen Wissenschaftler schon deshalb diskreditieren, weil es von einer unglaublichen Dummheit zeugen würde. Denn der Erste, der den angeblichen Artikel zu lesen versucht, würde ja sofort feststellen können, daß es ihn gar nicht gibt.



    Aber Anderes kann leicht passieren: Man arbeitet parallel an dem Antrag für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (von der SFBs finanziert werden) und an Publikationen für Fachzeitschriften. Man rechnet damit, einen Artikel fertig zu haben, bis der Antrag abgeliefert wird, setzt ihn also schon einmal ins Publikationsverzeichnis.

    Dort dürfte er dann nur unter "in preparation" stehen. Vielleicht hat man ihn aber auch schon bei einer Zeitschrift eingereicht. Dann sollte da "submitted" stehen. Oder er ist schon angenommen, aber noch nicht publiziert. Dann ist die korrekte Kennzeichnung "in press". Es gibt auch noch Zwischenstufen wie "under review" oder "under revision", wenn der Artikel im Begutachtungsprozeß ist oder er im Prinzip angenommen wurde, aber noch verbessert werden soll. Es gibt noch weitere Feinheiten, zum Beispiel "resubmission invited" - dann hat die Zeitschrift den Artikel in der eingereichten Form abgelehnt, lädt aber zugleich die Autoren ein, ihn in einer anderen Form erneut einzureichen.

    Im Wirrwarr dieser möglichen, sagen wir, Aggregatszustände, in denen sich ein Manuskript befinden kann, passieren schon mal Irrtümer. Und es mag auch sein, daß den Göttinger Forschern "Irrtümer" unterlaufen sind, die ihre Arbeit in einem günstigeren Licht erscheinen ließen - daß sie also Artikel höher einstuften, als es dem tatsächlichen Stand des Publikationsprozesses entsprach.



    So könnte es sein. Natürlich kann es auch sein, daß viel mehr dahintersteckt; daß da wirklich Fälschungen vorgekommen sind. Aber die bisher bekannt gewordenen Informationen geben das nicht her. Auch bei Wissenschaftlern sollte zunächst einmal die Unschuldsvermutung gelten. Schon jetzt von "Schwindel" ("Spiegel- Online") oder "Fälschen" ("Süddeutsche Zeitung") zu sprechen, ist jedenfalls unverantwortlich.



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