16. März 2020

COVID-19. Münsterland. Shutdown, realiter

Jeder Leser dieses Blogpostings wird die Entwicklungen zum Ausbruch des Coronavirus und die drastischen Maßnahmen mitbekommen haben, welche die deutsche Regierung heute dazu erlassen hat. Ich werden mich also (gewissermaßen um meiner selbstauferlegten Chronistenpflicht nachzukommen), auf das kurze Notieren verlegen.

Mit dem heutigen Tag befindet sich das Land im Shutdown. Am Abend um 18 Uhr hat Bundeskanzlerin die entsprechenden Regelungen in einer Pressekonferenz bekanntgegeben. Das öffentliche Leben ist hiermit zum Erliegen gekommen; die Geschäfte zur Versorgung mit dem Lebensnotwendigen bleiben geöffnet - Supermärkte, Banken, Apotheken. Zwar scheint noch unklar, wie die Regelungen für den Einzelhandel aussehen (das mag daran liegen, daß dies nicht Angelegenheit des Bundes, sondern der einzelnen Länder ist - die unterschiedlichen Handhabungen der Feiertagsregelungen lassen grüßen); ich gehe aber davon aus, daß der überwiegende Teil des Einzelhandels ab morgen geschlossen bleibt, schon aus Rücksicht der Geschäftsführungen gegenüber ihrem Personal. Explizit von den angeordneten Schließungen sind betroffen:

Restaurants (sie sollen maximal bis 18 Uhr geöffnet haben)
Bars und Clubs
Sämtliche Opern- und Theaterhäuser, Konzerthäuser und Philharmonien
Museen und Ausstellungen
Messen
Freizeit- und Tierparks
Spielhallen, Spielbanken und Wettannahmestellen
Prostitutionsstätten und Bordelle
Sportanlagen, Schwimm- und Spaßbäder
Fitnessstudios
Outlet-Center und Malls
Volkshochschulen und Musikhochschulen
Ebenso sollen Kirchen, Moscheen und Synagogen keine Zusammenkünfte mehr abhalten
Ausgenommen davon sind ausdrücklich:

Supermärkte
Einzelhandels- und Großhandelsbetriebe für Lebens- und Futtermittel
Wochenmärkte
Lieferdienste
Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien
Tankstellen
Banken und Sparkassen
Poststellen
Friseure
Waschsalons

Heute hat Frankreich in den Modus des "Lockdown" gewechselt, d.h. es herrscht eine Ausgangssperre. Die Slowakei und Serbien haben den Notstand ausgerufen. Die EU hat angekündigt, sämtliche Außengrenzen zu schließen. Am Abend hat der französische Präsident Macron bekanntgegeben, daß ab morgen mittag für die kommenden 30 Tage sämtliche Reisen zwischen den EU-Mitgliedstaaten und dem nicht-europäischen Ausland entfallen. In der Schweiz haben heute drei weitere Kantone den Notstand ausgerufen, so daß mit Tessin, Basel-Land, Graubünden, Jura und Neuenburg jetzt 5 der insgesamt 26 Kantone davon betroffen sind.


Während ich dies schreibe, steht der Gesamtzahl der registrierten Fälle seit Beginn der Epidemie bei 181.728 Fällen. In Italien stieg die Zahl in den letzten 24 Stunden um 3233 von 24.747 auf 27.980; für Deutschland lauten die entsprechenden Zahlen 1428 Neufälle und insgesamt 7241. Im Regierungsbezirk Münster waren heute, um 17:00 Uhr, 452 Fälle gemeldet (gegenüber 429 gestern); davon im Münster selbst 90 (90); im Kreis Borken 95, im Kreis Coesfeld 53 (50) und im Kreis Steinfurt 90 (gestern 80). In Münster wurden 5 neue Fälle registriert, gleichzeitig aber auch 5 Fälle erstmals als geheilt / entlassen geführt, sodaß die Gesamtzahl gleichblieb.

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Warum die Entwicklung in Deutschland, was den tragischen Ausgang der schweren und schwersten Krankheitsverläufe betrifft, bis lang einen absoluten Ausreißer im Vergleich zu anderen schwer betroffenen Ländern darstellt, darauf mag eine Äußerung in der Pressekonferenz der Robert Koch-Instituts von gestern liefern. Dort wurde nämlich gesagt, daß bislang bei Patienten auf Intensivstationen, die wegen anderer Komplikationen dort lägen und sterben, nicht bislang nicht auf eine Infektion mit 2019-nCoV postum nachgetestet werde. Wer also aufgrund eines Herzinfarkts oder einer Lungenentzündung diagnostiziert ist, dürfte bislang bei einem tödlichen Verlauf nicht als Corona-Patient in der Statistik nicht auftauchen. Zudem beträgt die durchschnittliche Zeit von der Infektion bis zum Ausbilden gravierender Symptome 9 Tage; da der Krankheitsverlauf bei diesen Fällen zwischen 3 bis 6  Wochen verläuft und wir uns momentan am 23. Tag des laufenden Ausbruchs befinden, ist es auch durchaus möglich, daß uns dadurch bislang die erschreckend ansteigenden Mortalitätszahlen anderer Länder erspart geblieben sind und uns noch bevorstehen.

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Gab es auch Positives zu vermelden? Beim deutschen Umweltministerium konnte man heute der Krisis auch einen erfreulichen Aspekt abgewinnen:



(Wer glaubt, daß es sich hier um eine Geschmacklosigkeit etwa von bento, oder um eine bitterböse Satire etwa des Postillon handeln könnte, den muß ich enttäuschen. Dies schreibt heute die FAZ, und man meint es dort ernst.) 

(Historisch gesehen wird natürlich umgekehrt ein Schuh daraus: klimatische Krisenzeiten waren während der letzten Jahrhunderte - und da darf man einige Dutzend addieren - Anlaß zu Not, Dürftigkeit, Hunger und Elend - von dem "schlimmsten Jahr der Weltgeschichte", 538 n.Chr., über die Abkühlung nach dem mittelalterlichen Optimum im 14. Jahrhunderts bis hin zur "Kleinen Eiszeit". Daß kurzfristige ökonomische Krisenzeiten - oder etwa die beiden Weltkriege des vergangenen Jahrhunderts - die Weltwirtschaftskrisen von 1878 und 1929, die ökonomischen Nachbeben des 2. Weltkriegs nach 1945 - die den Marshallplan erst notwendig machten, um die wirtschaftlichen Spätfolgen des Kriegsgeschehens, mit einer alarmierenden Hyperinflation - erst auffangen zu können, die beiden Ölkrisen von 1973 und 1979, das asiatische Annus horribilis an den Börsenmärkten 1998, die Subprime-Krise von 2008 irgendeinen "positiven Einfluß" im weltweiten Klimageschehen hinterlassen hätten: für eine solch faktenfreie Relotiade muß man wohl für das Blatt arbeiten, hinter dem "immer ein kluger Kopf steckt." Die mögliche Weltwirtschaftskrise, die uns als Sekundärfolge des sich gerade erst entfaltenden Seuchenzugs durchaus ins Haus stehen könnte, wird man dort sich mit noch größeren Freudensprüngen begrüßen.)

Apropos FAZ: bei dieser Gelegenheit kann ich es mir nicht verkneifen, Michael Klonovskys sardonischen Passus angesichts dieses Photos der Chefredaktion aus dem actum diurnum vom 6. März zu zitieren:



"Wäre es ein Gemälde, es stammte von George Grosz und trüge den Titel: "Schönheit, ich will dich preisen". Aber mal unter uns nationalbolschewistischen Betschwestern: Die brauchen die Staatsknete wirklich. Das sind die herausgeputzten Herausgeber der wichtigsten deutschen Zeitung beim Treffen mit der wichtigsten Kanzlerin zwischen Maas und Memel, und die haben nicht mal das nötige Klimpergeld, um sich einen Anzug schneidern oder den Bart scheren zu lassen, und die Folgen einer prekären, ja wahrscheinlich sogar prekariatstypischen Ernährung sind teilweise auch nicht zu übersehen. Dass seine journalistische Elite ein solches Bild abgibt, kann sich kein Schwellenland leisten, nicht einmal eines, das die Schwelle in die falsche Richtung überschreitet... "


PS.

Ich möchte jeden, der diesen Beitrag liest, dringend bitten, sechs Minuten der eigenen Lebenszeit zu investieren und sich dieses Interview anzusehen, daß Rachel Maddow von Sender MSNBC vor vier Tagen mit Dr. Donald McNeill geführt hat, und in dem er ausführt, warum die chinesische Strategie, das Virus unter Kontrolle zu haben, so erfolgreich war - weil dort rigoros getestet wird ("Testing! Testing! Testing!") und weil die Verdachtsfälle strikt von allen anderen isoliert werden, die sie infizieren könnten - vom Personal der Arztpraxen bis zur eigenen Familie.

"How A Country Serious About Coronavirus Does Testing And Quarantine | Rachel Maddow | MSNBC"








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U.E.

© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.