Inzwischen wird ja über kaum ein anderes Thema mehr gesprochen als über Covid-19, oder eben Corona, wie die Allgemeinheit eher sagt. Die Welle rollt heran wir ein Tsunami, man kann ihn fühlen, aber die Welle hebt sich langsam und wir wissen alle, dass wir bald im Wasser stehen. Es gibt inzwischen sowohl im restlichen Netz als auch in Zettels Raum ein paar sehr gute Artikel, die sich sowohl mit der eigentlichen Problematik qualitativ gut auseinandersetzen als auch das totale und andauernde Versagen der deutschen Regierung thematisieren. Ich denke nicht, dass ich dem derzeit noch viel zufügen kann und möchte, ohne das aufzugreifen was bereits wo anders steht oder gerade erst auch im kleinen Zimmer genannt worden ist.
Daher soll dieser Artikel einmal in eine andere Richtung gehen, vielleicht ein bischen Dinge reflektieren, die in der neutralen Berichterstattung keinen Platz finden. Und wie es bei einem Gedankensplitter inzwischen Usus ist, erhebe ich kaum den Anspruch die Gedanken schon zu Ende gebracht, geschweige denn vom Ende her gedacht zu haben. Vielleicht kann der eine oder andere Leser dem etwas abgewinnen oder hat Lust meine Reflektion in Grund und Boden zu argumentieren, wie immer gilt eine offene Einladung sich damit auseinanderzusetzen.
Unser Zimmermann TF schrieb im kleinen Zimmer, der Grat zwischen Hysterie und Verharmlosung sei hier sehr schmal. Ich könnte ihm (oder ihr?) kaum mehr beipflichten, denn ich habe beide Herzen in meiner Brust. Ich habe einerseits aufgrund etwas fortgeschrittenen Alters keine Lust mich jeder Hysterie und jedem Kassandra-Ruf hinzugeben: Ich habe das Waldsterben überstanden, den Atomtod aus Tschenobyl, ich habe Peak-Öl und den kalten Krieg überlebt, seit neuestem auch das Bienensterben, ich bin nicht an SARS oder an MERS zugrunde gegangen. Und da ich nicht einschlägig vorerkrankt bin und auch dann wieder nicht so alt, ist ein vorzeitiger Exitus aufgrund von Corona zwar nicht auszuschließen, aber zumindest nicht so wahrscheinlich. Das ist das eine Herz. Das andere dagegen ist nervös: Die Zustände in Norditalien sind ernst, todernst, und sie führen vor Augen was passieren wird und kann, wenn eine Regierung nichts auf die Kette bekommt (das hat die italienische mit der deutschen gemeinsam). In einer solchen Situation ist alles möglich und ich bekenne mich schuldig durchaus ein paar Kilo Reis erworben zu haben und knapp 100 Paar (im wesentlichen nutzlose) Einweghandschuhe gebunkert zu haben (Atemmasken hätte ich sicher auch erworben, ich war aber zu spät dran). Wenn eine Regierung so versagt, dann muss der Bürger selber zusehen wie gut er sich selber schützen kann. Wo fängt die Hysterie an? Schwer zu sagen, das weiß man wohl erst am Ende.
Und man denkt auch in ganz absurde Richtungen: Wäre es nicht gerade sehr sinnvoll genau jetzt krank zu werden? Noch gibt es Kapazitäten in den Krankenhäusern. Und warum sich überhaupt Sorgen machen? Meine Chancen sind gut, es betrifft andere. Diese Argumentation hört man dieser Tage extrem oft, sehr gerne aus dem grünen Weltrettungsbereich. Die Frau von Sascha Lobo hat da wunderbar geglänzt. Aber auch Jakob Augstein möchte nicht zurück stehen ujnd viele stehen bei ihm.
Warum meine Freizeit einschränken? Ich bekomms ja ohnehin, da muss ich mir doch die Kosten nicht antun jetzt wochenlang zuhause zu bleiben. Ich gebe zu, ich bin nicht frei von diesen Gedankengängen.
Warum meine Freizeit einschränken? Ich bekomms ja ohnehin, da muss ich mir doch die Kosten nicht antun jetzt wochenlang zuhause zu bleiben. Ich gebe zu, ich bin nicht frei von diesen Gedankengängen.
Und dann denke ich mir: Was für eine grundasoziale(!), geradezu faschistoide Sichtweise ist das eigentlich? Es betrifft andere, na dann machts ja nichts? Und wer braucht schon alte oder kranke Menschen? Was ist das Lebensjahr eines 75 Jahre alten Mannes wert, wenn es die Gesellschaft eine Milliardensumme kostet, es zu retten?
Bei Licht betrachtet: Alles. Der 75 Jahre alte Mann hat nichts, aber auch gar nichts davon, wenn die Gesellschaft jetzt Milliarden spart, statt ihn zu schützen. Er hat auch nichts davon, dass es dem Planeten jetzt besser geht, wo sein böser Fußabdruck wegfällt. Und ich bin sicher, er freut sich auch nicht daran, dass jetzt die Rentenkasse entlastet wird. Für ihn sind die paar Jahre, die er noch hat, alles. Weil das genau der Rest seines Lebens ist. Deswegen stellen wir uns als Gesellschaft eben nicht hin (wie es andere tun) und verweigern jemandem aus Kostengründen ein teures Medikament, wenn er ja "ohnehin in ein paar Jahren stirbt". Es bekommt auch kein Mörder Rabatt, weil er jemanden tötet, der "ohnehin" bald gestorben wäre. Die Erkenntnis, dass es fast keine Kinder trifft, ist eine erfreuliche, weil der Tod von Kindern etwas unglaublich tragisches ist. Aber das macht den vorzeitigen Tod eines älteren Menschen doch nicht harmlos. Diese Menschenverachtung, die ich auch an mir beobachte, finde ich in der Reflektion abstossend. Und ich kann sagen, ich will nicht so denken und bin (zumindest ein bischen) nahezu schockiert wie selbstverständlich sich der Gedanke einschleicht.
Es betrifft mich ja wahrscheinlich gar nicht.
Es betrifft mich ja wahrscheinlich gar nicht.
Und daraus folgend schließe ich für mich: Doch, ich werde mich einschränken. Ich werde zuhause arbeiten, ich gehe nicht mehr trainieren (zumindest nicht im Studio), ich werde mit Maske (ja, ich habe gelogen, zwei habe ich noch rumliegen gehabt) einkaufen gehen und Menschenmengen meiden. Nicht, weil ich glaube, dass ich deswegen meine eigenen Chancen soviel verbessere. Sondern weil dadurch andere eine Chance bekommen, die sie vielleicht sonst nicht bekommen würden. Wenn ich dazu beitragen kann, die Kurve zu verflachen, dann helfe ich damit womöglich anderen. Ja, das wird teurer. Vom ökonomischen Standpunkt her, wäre es vermutlich das beste wir würden möglichst alle, möglichst schnell das Ganze hinter uns bringen und die Scherben aufkehren. So schnell wie möglich zur Normalität zurückkehren und die Toten begraben. Aber vom menschlichen her: Um Himmels willen. Humanismus hört doch nicht bei alten oder kranken Menschen auf. Es sollen wirklich Menschen sterben, damit wir schnell zur Normalität zurück können? Alte sollen sterben, damit wir schnell wieder bowlen, saufen oder feiern können? Really? Really ?!?!?
Llarian
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