6. März 2020

COVID-19. Münsterland. Die Ruhe vor dem Sturm

Bin zu alt um Waffen zu tragen zu kämpfen wie die andern
man bestimmte mir gnadenhalber den minderen Part des Chronisten
ich notiere - wer weiß für wen - die Ereignisse der Belagerung.

ich schreibe wie ich's vermag im Rhythmus endloser Wochen
Freitag: Beginn der Pest
...
ich weiß das klingt monoton keinen vermag's zu bewegen
ich meide das Kommentieren halte Gefühle im Zaum

- Zbigniew Herbert (1924-1998), "Bericht aus einer belagerten Stadt" ("Raport z oblężonego Miasta i inne wiersze", im polnischen Original 1983 in Paris erschienen; auf deutsch erschienen Frankfurt am Main 1985, S. 91-93)

Frivol gestartet - in diesen Zeiten ist ein gewisses Maß an schwarz grundiertem Humor die Bedingung dafür, den Zeitläufen mit einem gewissen stoischen Gleichmaß des Gemüts zuzusehen, auch wenn das gelegentlich zynisch anmuten mag. Anschließend wird es definitiv ernst.

Es gibt eine alte, schon aus der Antike geläufige Divinationsmethode, Bibliomantie oder auch Stichomantie genannt: sie besteht darin, ein hochverehrtes, wennmöglich gar heiliges Buch (etwa die Bibel oder das 易经, das Yijing, das "Buch der Wandlungen" - im Westen nach der kantonesischen Aussprache eher als I Ging geläufig ist, während es in China zumeist als 周易, Zhuji, "Die Wandlungen des Zhou" firmiert) als Orakel zu befragen, indem es aufs Geratewohl aufgeschlagen und der erste Satz, der dem Ratsuchenden ins Auge springt, als deutenden Fingerzeig höherer Mächte, des Fatums zu nehmen. Vor gut zwei Jahrtausenden war dies nach den damals oft verwendeten Quelltexten als sortes homericae oder sortes vergilianae bekannt. Hier nun ein Beispiel aus dem Jahr 2020, von vorgestern, dem 3. März. 

Ich habe mir, um die eigene Lektüre dem Thema anzugleichen, das in den nächsten Wochen und Monaten das einzig relevante, im Vordergrund stehende sein wird, das alles andere in den Hintergrund und die temporäre Stillstellung verdrängen wird (den Ansturm der "Boten des Sultans" auf die Festung Europa an der griechischen Grenze vielleicht ausgenommen), am Dienstag ein Exemplar von Alessandro Manzonis I promessi sposi von 1827 besorgt - einer jener Ausnahmefälle, in denen meine zuweilen exzentrisch anmutenden Lektürewünsche durch einen Griffs in Regal einer größeren Universitätsbuchhandlung erfüllt werden konnten - in der nicht unumstrittenen Übertagung von Burkhardt Kroeber, zuerst im Jahr 2000 im Münchner Carl Hanser Verlag erschienen. (Umstritten bei den damaligen Rezensenten war Kroebers Entscheidung, sich im Deutschen exakt an die Syntax, als Wortfolge und -stellung des Originals zu halten, was bei Manzonis Schachtelungen und mitunter abenteuerlichen Satzgirlanden mitunter zu sagen wir interessanten Ergebnissen führt.) Das gesamte vierte Fünftel des Roman ist der Beschreibung und Rekonstruktion jener Pestepisode gewidmet, die in den Jahren 1629 und 1630 Norditalien verheerte. Ich schlage das Buch blind auf, es öffnet sich auf der Seite 674, und der erste augenfällige Satz lautet:

"Wir haben bereits gesehen, wie lahm sie auf die erste Ankündigung der Pest nicht bloß im Handeln, sondern auch im Sich-Informieren reagierte. Hier ein weiterer Fall von nicht minder unerklärlicher Trägheit..."


Manzonis Aussage bezieht sich auf die Mailänder Obrigkeit vor fast vierhundert Jahren, nicht auf die deutsche Regierung oder Frau Merkel im Jahr des Unheils 2020. Und trotzdem...


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Der heutige 5. März 2020 kann - zumindest was Deutschland oder im speziellen den "Hotspot" Nordrheinwestfalen angeht, als Ground Zero des Ausbruchs des neuartigen Coronavirus bezeichnet werden. Zwar läuft das Übergreifen der Seuche seit Aschermittwoch, dem 26. Februar (das gute Dutzend Fälle in der bayerischen Firma Webasto konnte ohne Folgen und weitere Ausbreitung im "Containment" bekämpft werden). Aber heute haben die neuen Fallzahlen zum ersten Mal ein alarmierendes Maß verzeichnet. Jetzt, wo ich dieses tippe, mit dem Stand von 21:50, werden in Deutschland insgesamt 543 Fälle (davon 526 "akute" Fälle) - ein Zuwachs um 281 Fälle innerhalb der letzten 24 Stunden (zur Entwicklung im Lauf des Tages: heute morgen um 8 Uhr lag die Fallzahl bei 349, um 14 Uhr bei 435). Dies mag dem Umstand geschuldet sein, daß hier die bislang noch latenten Infektionen der letzen zwei Wochen sich als Symptome zeigen, sowie den massiv angestiegenen Testen von Verdachts- und Kontaktpersonen. Fakt bleibt, daß wir es zurzeit mit einer Verdoppelung in weniger als 24 Stunden zu tun haben. Wenn dergleichen im Zug einer Epidemie auftritt, sollte der Satz gelten, der Erik Fosnes Hansens epische Schilderung des Untergangs der Titanic, Choral am Ende der Reise (1995), in einen einzigen Satz bündelt:

"Die Panik lief wie eine Welle durchs Schiff."

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Full disclosure: Der Protokollant - im Folgenden erlaube ich mir die in diesem Netztagebuch eher unübliche Verwendung der ersten Person Singular - ich bin im Zivilstand an der Universität Münster tätig, im geisteswissenschaftlichen Bereich. Darin liegt kein Bruch mit der in Zettels Raum gepflegten diskreten Anonymität, die auf den Gründer dieses Blogs zurückgeht, der seine Privatperson von seiner "Netzpersönlichkeit" namens Zettel stets strictissime trennte. Ich schreibe an dieser Stelle seit Beginn meines Mitwirkens stets unter Klarnamen, meine "andere" Tätigkeit und meine Anbindung ist durch einen simplen Mausklick zu eruieren. Ich werde mich in der Protokollierung des sich jetzt abzeichnenden Desasters, was die lokalen Verhältnisse angeht, auf Münster und das Münsterland konzentrieren - was den Verlauf, die Maßnahmen und die Stimmung vor Ort betrifft. Dies vorausgeschickt, um den zwingend erstehenden Eindruck des Eingeschränkten, Lokalen zu betonen. Für die "größere Perspektive", die Einordnung des sich Entwickelnden, auch die Berichte aus der Forschung, bin ich selbstverständlich auf die Berichte der Medien angewiesen, und auf Augenzeugenberichte in den sozialen Medien, soweit sie sich verifizieren lassen.

Für Münster und das Münsterland sieht der Stand heute abend so aus: Der erste gemeldete Fall war am Sonntag, dem 1. März; es handelte sich um einen Iraner, der zwei Wochen Urlaub in seinem Heimatland verbracht hatte. Gestern abend kamen zwei Fälle hinzu; ein Mann aus Senden, etwa 18 km nördlich von Münster gelegen, wurde im Zuge einer Operationsvorbereitung im Uniklinikum positiv getestet. Bis heute mittag kamen in Münster zwei weitere Fälle hinzu, bis zum Abend erhöhte sich die Zahl auf insgesamt 8 - davon sind vier Schülerinnen der Marienschule; die für die nächsten 14 Tage geschlossen bleibt. Hinzu kamen heute 12 Fälle aus Senden, allesamt aus dem direkten Umfeld der erwähnten Person, sowie ein Fall aus dem südlich an den Kreis Münster angrenzenden Kreis Borken. Die Gesamtzahl liegt aktuell bei 22; darunter ist kein Fall, der mehr als nur leichte Symptome zeigt. Mit Sicherheit werden sich diese schon morgen früh erhöht haben.

Es hat im Laufe des Tages von der Stadt Münster die Absage diverser Tagungen sowie dem gegeben, was man als "Außenveranstaltungen" der Universität bezeichnen könnte: etwa die "Kinderuni", in der Schülern von Dozenten, ganz in Form einer Vorlesung, kindgerecht aufbereitete Themen, mit denen der akademische Betrieb sich befaßt, präsentiert werden.

Die Reaktion der Universität sowie der Stadt Münster kann man, dem Ist-Stand nach, als "ostentative Gelassenheit" bezeichnen. Aber man muß nicht: Das Rektorat der Westfälischen Wilhelms-Universität hat heute klargestellt, daß das Sommersemester pünktlich am 1. April beginnen wird; der Beginn der Vorlesungen nach der Einführungs- und Orientierungswoche am 6. April bleibt vorerst bestehen. Der "Send", die traditionelle große, drei Mal im Jahr abgehaltene Kirmes, mit stets zehntausenden Besuchern über einen Zeitraum von neuerdings bis zu zwei Wochen, soll unverändert vom 14. bis zum 22. März stattfinden; auch der Wochenmarkt am Domplatz, mittwochs und samtags, soll weiterhin abgehalten werden. Es erübrigt sich, festzuhalten, daß ich erwarte, daß sich das in den nächsten Tagen ändern wird. Ich persönlich rechne fest damit, daß die Universität spätestens in 10 bis 14 Tagen, je nach der Rasanz der Entwicklung auch eher, ihren Betrieb vorerst einstellen wird und ich ausreichend Zeit haben werde, der Protokollierung in der Selbstisolierung am heimischen Schreibtisch nachzukommen. Im Zuge davon sei als erster Eintrag vermerkt, daß ich heute in Münster, weder auf dem Campus der Universität noch auf dem Prinzipalmarkt oder am Bahnhof eine einzige Person mit Schutzmaske gesehen habe, daß sich aber die "gefühlte Menge" der Passanten nur etwa die Hälfte der an Wochentagen sonst Flanierenden beschränkte.

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Die zweite Schiene dieser Notizreihe soll der Hinweis auf neue Erkenntnisse, neue Befunde über die Krankheit, den Erreger und den Verlauf der Pandemie sein. Hier werde ich wohl nicht mit Fingerzeigen aufwerten können, die über das hinausgehen, was jeder aufmerksame Beobachter den Medienberichten schon entnehmen konnte. Es soll aber als Gedächtnisstütze, als Hilfe zur Einordnung erfolgen. Deshalb hier die ersten drei Einträge in dieser Rubrik:

1.
Wie heute nachzulesen ist, ist das Virus im Lauf des letzten Monats mutiert. Wir haben es nun mit zwei Varianten zu tun, die sich in der Schwere ihrer Auswirkung unterscheiden. Um aus dem Live-Ticker von Focus.de von heute 14:35 zu zitieren:


Chinesische Wissenschaftler haben die molekulare Struktur des Sars-CoV-2-Virus untersucht und sie mit anderen Coronaviren verglichen. Dabei fanden sie heraus, dass das aktuelle Virus zwei unterschiedliche Stränge aufweist: einen L-Typ und einen S-Typ.
Aktuell sei der L-Typ derjenige, der bei den meisten Infizierten vorzufinden ist – er treffe auf 70 Prozent zu. Nur 30 Prozent der Infizierten leiden hingegen am S-Typ, obwohl dieser laut den Wissenschaftlern der ältere ist und der L-Typ sich aus ihm heraus entwickelt hat. Da er sich offenbar schneller verbreitet, schließen die Wissenschaftler, dass der L-Typ der aggressivere ist.
Weil er eine Mutation des S-Typs darstellt, fürchten die Wissenschaftler, dass dies zu Problemen führen kann, was zum Beispiel die Entwicklung eines Impfstoffs angeht, da dieser immer nur für einen Typen entwickelt wird. Der britische Forscher Stephen Griffin sieht das jedoch entspannt. Gegenüber dem „Telegraph“ erklärt er, dass eine solche Mutation normal sei – schließlich müsse das Virus, das sich ursprünglich offenbar in Tieren vermehrt hatte, sich erst einmal an seine neuen Wirte, die Menschen, anpassen. Dabei handle es sich um einen normalen Prozess. Auch das Robert Koch Institut (RKI) erklärt: „Es gibt immer die Möglichkeit, dass Viren sich genetisch verändern. Mutationen verändern aber nicht automatisch die Eigenschaften des Virus.“ Die Mutation eines Virus muss demnach nicht zwangsläufig bedeuten, dass dieser für den Menschen gefährlicher wird.
2. 
In den sozialen Medien der letzten Wochen - zumeist chinesischen, seit heute aber auch italienischen - gab es immer wieder Berichte über sogenannten "fast drops", über Menschen, die keinerlei Symptome zeigten, aber wie vom Blitz getroffen auf der Straße tot zusammenbrachen. Die Befunde chinesischer Wissenschaftler deuten darauf hin, daß diese Bilder durchaus nicht nur "Fake News", Panik erzeugende Propaganda (von welcher Seite auch immer) sein dürften, sondern eine besondere Erscheinungsform des Krankheitsbildes darstellen könnten - wenn auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt niemand weiß, welcher Prozentsatz der Betroffenen davon bedroht ist. Nach der Lage der bisherigen Meldungen dürfte er nicht nicht besonders hoch liegen. Es gibt jetzt aus Obduktionen gute Hinweise darauf, daß das Coronavirus - wie auch die Coronaviren, die für SARS und MERS verantwortlich sind - über den Befall der Lungenbläschen im unteren Lungenbereich in die Blutbahn gelangen und in Zentralnervensystem zu schweren Schädigungen führen können.

3.
China hat "es geschafft". Zwar sind vier Fünftel der aufgetretenen Fälle in China - in der Volksrepublik - zu verzeichnen, bildet die Hubei mit dem "Epizentrum" der 11-Millionen-Metropole Wuhan nach wie vor den absolute Schwerpunkt der Epidemie - 80430 der insgesamt seit Ausbruch registrierten 98042 Fälle entfallen auf China, auch 3013 der bis jetzt 3356 Todesopfer. Aber seit gut zehn Tagen sind selbst in den am meisten betroffenen Hotspots die aktuellen Zuwachszahlen rapide rückläufig (die Gesamtzahl der "aktiven" Fälle beläuft sich in China zurzeit auf 25158); in Shanghai etwa, dessen Großregion mit 350 Fälle zu den "mittleren Fällen" gehört (und wohin ich persönlichen Kontakt habe), verzeichnet seit dem 26. Februar keinen einzigen neuen Falle; in der Zeit vom 18. bis zum 25. Februar wurden nur noch vier Fälle an jeweils vier Tagen registriert. Man mag die diktatorische Durchgreifmöglichkeiten der chinesischen Führung bedauern, die Rücksichtslosigkeit, die vor den Rechten der Einzelnen nicht halt macht. Die "häßlichen Bilder", die den Nutzern der sozialen Medien in den letzten Wochen untergekommen sind und die vielen, die ihre Informationen nur aus den "offiziellen Kanälen" beziehen, wohl eher erspart geblieben sind, und die tatsächlich beim Betrachter zutiefst beklemmend wirken - die zugeschweißten Hauseingänge in der Provinz Hubei, die aus den Fenstern der Hochhäuser in Wuhan geworfenen Haustiere, die Bilder von Menschen, die sich aus Furcht, positiv getestet zu werden und ihre Familie zu infizieren, an bäumen am Straßenrand erhängt haben - das ist dazu angetan, die alten und tiefsitzenden Vorbehalte gegen die chinesische Regierung und ihre drakonischen Methoden noch zu verstärken. Nur bleibt es dabei: allein der strikten Kontrolle, der rigorosen Abschottung, der Isolation ist es in den letzten sieben Wochen verhindert worden, daß ganz China "Hubei" oder gar "Wuhan" geworden ist. Die einzige Möglichkeit, zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Ausbreitung der Seuche einzudämmen, besteht in einer größtmöglichen, einer maximalen Kappung der Ausbreitungswege, der Vektoren. Was wir - momentan, weltweit - am Stand der Fälle sehen, ist der Infektionsstand von vor 14 Tagen. Je breiter dieser Sockel wird, desto heftiger fallen die Fallzahlen in den darauffolgenden Wochen aus - das ja jeder Infizierte weitere Personen ansteckt, die ihrerseits als Multiplikatoren wirken. Daran ist nichts Humanes oder Inhumanes - es ist die grausame Logik der Biologie, die hier greift, und der entsprechend gehandelt werden muß, um die Auswirkungen, um die Schäden, um die Zahl der Toten auf ein so geringes Maß wie nur irgend möglich zu begrenzen. In diesem Sinn ist es zwingend nötig, drastische Isolationsmöglichkeiten - wie die Unterbindung von Großveranstaltungen, die Schließung von Schulen und Universitäten, die rigorose Kontrolle auf Fieber, die Abschottung von Grenzen - umgehend und flächendeckend in Kraft zu setzen. Jeder vertane Tag vergrößert die später anfallenden Fallzahlen, jedr vergeudete Zeit hat potenziertes Leid zur Folge. Vor allem gilt es, hier präemptiv zu handeln: also im Vorfeld, nicht erst beim Auftreten der ersten Fälle.

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Und genau hier, in diesem Belang, hat die deutsche Regierung, wenn nicht alle Indikatoren täuschen, in einem Maß versagt, das schlicht atembenehmend ist. Wenn die Meldungen, die in den letzten drei, vier Tage zu sehen waren, nicht nur "vereinzelte Extreme" sind, sondern für das ganze Land, für alle Bereiche zutreffen, dann haben wir es mit einem Versäumnis zu tun, das man nicht anders als verbrecherisch nennen kann. Es häufen sich eklatant die Berichte, man denen jetzt - JETZT!: eine Woche nach dem Beginn der Pandemie, bei gerade einmal dreistellig gewordenen Fallzahlen - das Gesundheitssystem dieses Landes im Begriff ist, zusammenzubrechen. Es wird gemeldet, daß es weder Schutzanzüge für das medizinische Personal gibt noch Schutzmasken. Von Bekannten, die im Pflegebereich tätig sind, habe ich in den letzten Tagen, daß Desinfektionsmittel nicht mehr lieferbar sind und sie bis auf weiteres mit den auf den Stationen vorhanden, knapp bemessenen Vorräten auskommen müssen, auf unbestimmte Zeit. Daß angelieferte bestellte  Paletten mit Desinfektionsmitteln umgehend von höheren Stellen beschlagnahmt werden. Es gibt Berichte über Ärzte, die die Testabstriche auf Coronavirus ohne Schutzkleidung durchführen. Von OP-Zentren, die keine Operationen mehr durchführen können, weil sie außerstande sind, die Hauptdesinfektion durchzuführen. Dies, wohlgemerkt, eine Woche nach dem Beginn eine Pandemie, die im schlimmsten Fall mehrere Monate anhalten kann, die möglicherweise, wenn sie nicht in ausreichendem Maß zu seiner Immunisierung führt, zu einer zweiten, verheerenderen Welle führen kann - so wie es bei der Spanischen Grippe 1918/19 der Fall war. Die Ratschläge, die von notabene ausgewiesenen führenden Experten auf dem Gebiet in den Medien verbreitet werden, sind in ihrer irreführenden Verharmlosung angetan, einem das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Noch einmal aus dem FOCUS-Ticker, vom 3.3 :

„Topmeldung (17.25 Uhr): Die Infektionskette des sich ausbreitenden Coronavirus kann nach Ansicht des Leiters des Frankfurter Gesundheitsamtes, René Gottschalk, nicht mehr unterbrochen werden. "Das ist bei der Vielzahl an Fällen nicht zu leisten", sagte er am Dienstag in Frankfurt. Dies sei aber auch "nicht weiter tragisch, weil die Erkrankung nicht schlimm" sei. Ganze Menschenansammlungen zu prüfen oder gar Quarantänegebiete einzurichten, hält der Experte daher für überzogen.“

Halten wir fest: es gibt keine Möglichkeit der Impfung (noch nicht, und es dauert, bis zum Abschluß der drei Testebenen - Zellkulturen - Tierversuche - Testerprobung an menschlichen Probanden - noch mindestens ein Jahr, bis wir über einen wirksamen Impfstoff verfügen werden), außer der strengen Isolation kennen wir keine Möglichkeit, die Ausbreitungsvektoren zu unterbinden. Zwar sind, nach dem Stand der Erkenntnis - vier Fünftel, 80%, der Fälle nur mit milden Symptomen verbunden. Aber ein Fünftel bringt die Hospitalisierung mit sich, viele Fälle davon entwickeln schwerste Komplikationen.  Dafür werden Isolationsstationen benötigt. In vielen Fällen führt die Schädigung der Atemwege dazu, daß Patienten nicht mehr atmen können: in diesem Fall werden Einrichtungen zur künstlichen Beatmung benötigt. Die völlige Überlastung der Hospitäler und der Ärzte hat in Wuhan zu eines Todesrate von 4,9% geführt. Weltweit beträgt die Letalität der Seuche nach den letzten Zahlen der Weltgesundheitsbehörde WHO 3,4%. Mehrere Experten, darunter der Leiter des Robert-Koch-Instituts, haben in den letzen Tagen in den davon gesprochen, daß die Infektionsrate im Zuge der Epidemie in Bezug auf die Gesamtbevölkerung Deutschlands bis zu 40 oder 70 Prozent steigen dürfte (unter anderem Marc Lipsitch, einer der führenden Epidemiologen in Harvard, in einem Artikel in The Altantic, der diese Werte für die gesamte Welt hochrechnet). 

Das wären, den unteren Wert als Schätzwert genommen, bei einer Gesamtbevölkerung von 82 Millionen rund 32,7 Millionen Betroffene; von denen gut 6 Millionen auf Hospitäler angewiesen wären. Bei einer geschätzten Letalität von 3,4% ergeben sich dabei 1,12 Millionen Tote. Zu bedenken ist: wir verfügen in Deutschland zurzeit auf einen Bestand von ziemlich genau einer halben Million Krankenhausbetten (laut den Angaben des Statistischen Bundesamts von 2017 sind es 499.513). davon sind die meisten Mehrbettzimmer. In Berlin gibt es 1600 Isolierbetten; in Niedersachsen nach Auskunft von 100 den Anfang Februar befragten insgesamt 145 Kliniken 859 Isolierbetten; in Mecklenburg-Vorpommern beträgt die Gesamtzahl der Isolierzimmer 194. Die Stadt Köln hat vor einer Woche stolz erklärt, man fühle sich mit 10 Isolierplätzen gut gerüstet für das Kommende.

Aus dem Sachstandsbericht der 25-köpfigen UN-Untersuchungskommission, die Ende Januar für vier Wochen die Verhältnisse vor Ort in China, gerade auch in Hubei, in Augenschein nahm und analysierte:

Die Sterblichkeitsrate in Wuhan betrug 4,9%.
In der Provinz Hubei belief sie sich auf 3,1%
Über Gesamtchina gemittelt betrug die Letalität 2,1%.
In den Provinzen außerhalb Hubei betrug sie 0,16%.
Nach Angaben der chinesischen Behörden vor Ort lag der Grund in der völlig unzureichenden medizinischen Versorgung vor Ort, insgesamt standen in Wuhan selbst nur 110 Isolationsbetten mit Beatmungsgeräten zur Verfügung.

Oder, um einen zufälligen Netzfund auf meiner Facebook-Timeline von heute abend als Rechenexempel zu zitieren:
<Für die Rechenschwachen der Vergleich bei 20 Millionen Infizierten:
Influenza-Todesrate 0,17%
20.000.000 x 0,0017 = 34.000
Covid-19-Todesrate Italien 3,9%
20.000.000 x 0,039 = 780.000
20.000.000 x 0,1 = 2.000.000 müssten auf Intensivstation
In Deutschland gab es 2017 noch 28.000 Betten auf Intensivstationen, davon längst nicht alle mit Beatmungsgerät.>
Sollte die Pandemie durchschlagen, werden wir wie in Wuhan die Leichensäcke auf den Bänken der Krankenhauskorridore in Reihe liegen sehen.

Man nehme zum Vergleich die Maßnahmen, die Israel, das derzeit 11 (elf!) nachgewiesene COVID-Fälle zählt, erlassen hat:
# Eine 14tägige Quarantäne sämtlicher Einreisenden und kategorisches Einreiseverbot für Menschen aus Risikogebieten (zu denen auch Deutschland zählt)
# eine fast völlige Einstellung des internationalen Flugverkehrs
# Absage sämtlicher öffentlicher Veranstaltungen
# Angehörige der IDF dürfen nicht mehr ausreisen
# Einstellung des Exports von Medizinprodukten
# Bau von Feldlazaretten, um die Notfälle gewappnet zu sein
# Vollständige Mobilisierung von Katastrophenschutz und Sanitätsdiensten
# Strenge Quarantäne vor etwa 100.000 Bürger



Dabei darf man den Aspekt nicht aus dem Auge verlieren, daß die übrigen Geißeln der Menschheit -vom geplatzten Blinddarm bis zum metastasierenden Tumor -  ihre Tätigkeit nicht einstellen und die medizinischen Kapazitäten freigeben werden, bis die gegenwärtige Krisis vorüber ist. Ärzte, die infiziert werden oder zur Sicherheit ihrer Patienten für zwei Wochen das eigene Zimmer hüten, stehen für die Bewältigung dieser Krise nicht zur Verfügung. Um beim Beispiel Münster zu bleiben: der aus dem Iran - wo sich gerade auch eine Katastrophe epochalen Ausmaßes anbahnt - heimkehrende Patient hat sich um 4 Uhr morgens im Klinikum gemeldet. HEUTE, vier Tage später, ist die gesamte diensttuende Nachtschicht auf 14 Tage in die Selbstisolation beurlaubt worden. in Wuhan hat das mangelnde Schutzmaterial dazu geführt, daß sich bis heute 1700 Ärzte und Pflegerinnen mit dem Virus infiziert haben; in der Lombardei stellen Ärzte und Krankenhauspersonal 10% der aufgetretenen Fälle. Gar nicht auszudenken sind die Folgen für die Versorgung dieses Landes, wenn es wirklich zu einem solchen apokalyptischen Szenario kommen sollte: der Zusammenbruch der Industrie, der laufenden Versorgung, zumindest ihrer drastischen Einschränkung. Der "fat tail" von COVID, wie Nicholas Nassim Taleb solche Kaskadeneffekte nennt, dürfte auf jeden Fall immens sein.

Wir sind - nicht erst in ein paar Wochen, nicht erst in sieben Tagen - HIER UND JETZT - dabei, für ein zweites Hubei zu sorgen, wenn nicht gar für ein zweites Wuhan. Und das nicht isoliert, sondern im schlimmsten Fall landesweit. Dazu wird es, wenn alle Erfahrungen der Menschheitsgeschichte ein Richtmaß sind, nicht kommen. Wenn sich eine derartige Entwicklung abzeichnet, wird man drastische Maßnahmen ergreifen. Koste es, was es wolle. Eine sich ins Katastrophale steigernde Tendenz wird man nicht hilflos hinnehmen. Aber das drohende Szenario als "bloß leichte Grippe" abzutun, ist nicht mehr mit "Leichtsinn" abzutun. Das ist eine konkrete Gefährdung von Tausenden, wenn nicht gar Hunderttausenden von Menschenleben. Diese Regierung - vor allem, aber nicht nur in Gestalt des BGM und des zuständigen Ministers Jens Spahn - hat die weltweite Entwicklung jetzt über 7 Wochen verfolgen können - die Zahlen, die aus Wuhan gemeldet wurden, gingen am 19. Januar - bei damals noch geringer Dreistelligkeit - exponentiell. es war jedem Beobachter klar, daß genau diese Entwicklung bei uns auftreten könnte; daß es nur eine Frage der Zeit war, bis es galt, ein solches Szenario auf deutschem Boden mit allen Kräften zu verhindern; daß dies umso eher gelingen würde, je besser und intensiver die Vorbereitungen dazu ergriffen würden. Man hat es verabsäumt. Man hat es verpennt. Niemand der Verantwortlichen scheint es auch nur für nötig befunden zu haben, sich über die Erkenntnisse der Epidemiologie auch nur ansatzweise informieren zu lassen. Der Gesundheitsminister von NRW redete vor zwei Tagen in der Talkshow "Hart aber fair" von "hochsterilisierter Insolvenza" anstatt von Influenza. Man mag dies für eine unpassende Pingeligkeit halten: aber ein Fachmann, der auch nur ansatzweise Ahnung von dem besitzt, womit er es professionell zu tun hat, dem unterlaufen derartige Schnitze nicht. Ein Physiker mag nicht alle Naturkonstanten im Kopf haben; aber er wird nicht Atome mit Sonnensystemen verwechseln, nur weil bei beiden etwas um ein Zentrum kreist. Die Verantwortungslosigkeit, die die Kaste von Politikern, die dieses Land führt, in dieser Gefährdung an den Tag legt, ist wie gesagt atemverschlagend.

Eines aber ist gewiß: Wie immer wir aus dieser Krise herauskommen, ob in zwei, drei  Monaten (in China ist der Höhepunkt, auch wir: wie gesagt, überschritten, aber das Auslaufen der Seuche kann sich noch ein, zwei Monate hinziehen), oder erst (falls es wirklich zu einer zweiten Welle kommen sollte) im nächsten Jahr, ob mit einer vier - oder um Größenklassen höheren Zahl an Opfern. Das "System Merkel" wird dies nicht überstehen. Zu offenkundig ist das komplette Versagen der gesamten Führung dieses Landes, die gewollte Verantwortungslosigkeit, das Kaprizieren auf Trivialitäten wie der Kabale im Thüringer Landtag, die Nachfolge der CDU-Parteivorsitzenden (in welchem Theater Herr Spahn im Duett mit Herrn Laschet meinte, sich spreizen zu müssen, anstatt in der entscheidenden Phase auf Posten zu sein), die Scharwenzeln um erfundene Probleme wie die "Klimakatastrophe", die "E-Mobilität" und "Feinstaub", bei gleichzeitigem Totalversagen angesichts tatsächlich bedrohlicher Entwicklungen. Sie haben zu liefern. Sie liefern nicht. Die Geschichte - und der Bürger, der aus seiner Sediertheit erwacht, wenn es um das Leben seiner alten Eltern und seiner Kinder geht - werden den Stab über sie brechen. 

Bald. Und gnadenlos.


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Ulrich Elkmann

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