17. März 2020

COVID-19. Münsterland. Shutdown, Tag 1



(Netzfund: "So funktioniert Selbstisolierung: man schützt 1. sich selbst und 2. alle, die man nicht ansteckt.")

"Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos, dans une chambre."

Blaise Pascals bekanntes bonmot, alles Unglück auf der Welt rühre nur aus einer einzigen Ursache her: daß sich die Menschen nicht darauf verstünden, in Ruhe auf ihrem Zimmer zu bleiben (Pensées, II, 139), nimmt in diesen Tagen eine ganz neue Färbung an.

Heute, vier Tage vor dem astronomischen Frühlingsbeginn mit der Tag- und Nachtgleiche, ist der Frühling des neuen Jahres hier, am 52. Breitengrad, wirklich zum Ausbruch gekommen: heute morgen gaukelten gleich drei Zitronenfalter um die Büsche am Rand der Parkfläche unter meinem Fenster, bei frühlingshaften 13° Lufttemperatur.

Die Gesamtzahl der weltweit registrierten Coronavirus-Infektionen ist in den letzten 24 Stunden auf nun 197.702 gestiegen. In China kamen dabei 26 neue Fälle hinzu (Gesamtzahl 80.881); in Italien stieg die Anzahl um 3526 auf nunmehr 31506 (die Zahl der Todesopfer kletterte um 345 auf 3526); für Deutschland stieg die Zahl um 20095 auf jetzt 9367. In Spanien hat sich die Zahl der Todesfälle in den letzten 24 Stunden mit jetzt 288 verdoppelt. Heute gab es Berichte, daß in den Niederlanden die Hälfte der Patienten auf den Intensivstation unter 50 Jahre alt ist. Mittlerweile hat Europa China als Zentrum der Epidemie abgelöst.

Hier im Regierungsbezirk Münster wurden bislang 565 Infektionen gemeldet; auf die Landkreise, die ich in meinen vorherigen Einträgen erwähnt habe, entfallen dabei (in Klammern die Zahlen des Vortages):

Stadt Münster 103 (90), Kreis Borken 124 (97), Kreis Coesfeld 70 (53), Kreis Warendorf 84 (66) und den Kreis Steinfurt 95 (91 gestern und 82 vorgestern). Aktuell befinden sich 867 Personen in Quarantäne. Auf die einzelnen Ortschaften des Kreises Steinfurt verteilen sich die Infektionsfälle wie folgt:  Altenberge (1), Emsdetten (16), Greven (6), Hopsten (3), Hörstel (6), Horstmar (2), Ibbenbüren (12), Ladbergen (1), Laer (2), Lengerich (1), Metelen (3)., Mettingen (1), Nordwalde (5), Ochtrup (2), Recke (2), Rheine (11), Saerbeck (4), Steinfurt (9), Wettringen (4). 6 Personen.  Die meisten Fälle gibt es in Emsdetten, auf halber Strecke zwischen Münster und Rheine gelegen. Die Stadtverwaltung fühlte sich in ihrem heutigen Communiqué dem Prinzip Hoffnung verpflichtet ("Die Dynamik der Ausbreitung hat aber seit Samstag abgenommen"), was angesichts der Tatsache, daß wir hier noch ganz am Beginn der Entwicklung stehen, verfrühter Optimismus sein dürfte.

Andererseits: in den Zahlen, die für Italien vorliegen, scheint sich indertat eine "Trendumkehr" anzudeuten; möglicherweise zeigen sich hier erste Auswirkungen des landesweiten "Lockdown"; noch ist es zu früh, hier einen sicheren Trend auszumachen (die Zuwächse der letzten Tage betrugen: 2547 - 3497 -  3950 - 2322; die heutige Zahl lag wieder bei 3526). Seit 12 Tagen folgt der Anstieg der deutschen Zahlen denen in Italien; sollte dort wirklich eine Wende eingeleitet worden sein, würde sich die Dynamik des Zuwachses bei uns nach dem 23. März abschwächen.

Der Präsident der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft, Gerald Gaß, hat heute erklärt, er rechne bis zum Wochenende mit zwanzigtausend Infektionsfällen. In seinem Statement gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe verbergen sich hinter rhetorischen Sedativa ("Die Krankenhäuser seien auf einen solchen Anstieg vorbereitet. 'Das würde sie nicht überfordern'.") aber ein paar durchaus beunruhigende Zahlen: Um die Zahl der Intensivbetten von derzeit 28.000 auf 34.000 aufzustocken, braucht es nach seiner Aussage "zwei bis drei Monate"; zurzeit seien 20.000 Beatmungsgeräte vorhanden. Momentan weist die offizielle Statistik für Deutschland nur zwei schwerwiegende, kritische Fälle aus. Sollte es hingegen zu einer Entwicklung wie in Italien (oder auch Spanien und Frankreich) kommen, dann haben wir schlicht keine "zwei bis drei Monate" Zeit, um die Kapazitäten zu erhöhen, schon gar nicht in dem dann erforderlichen Maß. Aus Bergamo im der Lombardei kam heute die Meldung, daß dort die Kapazität an freien Intensivbetten bis zum letzten Platz ausgeschöpft ist. In diesem Zusammenhang wirkt auch diese Meldung im heutigen FOCUS-Ticker (Stand 17:48) alles andere als beruhigend:

Aus diesem Grund hat die Bundesregierung gerade erst eine Bestellung über weitere 10.000 Beatmungsgeräte beim Medizintechnikhesteller Dräger in Auftrag gegeben. Bis zur Auslieferung werden jedoch einige Monate verstreichen.

Der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, nannte heute für Deutschland einen Zeitraum von 2,9 Tagen für eine Verdoppelung der Fallzahlen (für Frankreich liegt dieser Zeitraum momentan bei 3,3 Tagen, für Italien bei 4,3).

San Francisco hat heute eine Ausgangssperre verhängt; in Belgien beginnt sie morgen; zunächst für die kommenden drei Wochen. Der "europäische Weltraumbahnhof" der ESA in Kourou in Französisch-Guiana hat bis auf weiteres sämtliche Starts von Raketen und Satelliten gestoppt, auch die die russischen Sojus-Booster.

Die Polizeiwachen in Ibbenbüren, Coesfeld, Dülmen, Lüdinghausen und Steinfurt haben heute jeglichen Publikumsverkehr eingestellt. Anzeigen werden nur noch fernmündlich aufgenommen; an den Dienststellen erfolgt die Aufnahme von Aussagen über die Gegensprechanlagen am Eingang. Die Tafel in Ibbenbüren ist heute dazu übergegangen, ihren Kunden vorab abgepackte Tüten auf einem Tisch vor dem Eingang bereitzustellen, zu dem sie aus der überwachten Warteschlange aufgerufen werden. Die Stadt Münster hat mit Wirkung vom heutigen Tag sämtliche Veranstaltungen in geschlossenen Räumen und im Freien untersagt; die Stadtwerke Münster haben heute sämtliche Kundenzentren geschlossen. Die Universität Münster schließt mit Wirkung von morgen alle Gebäude, Institute und Bibliotheken - mit Ausnahme der Labore. Die Prüfungen an der Universität und der angegliederten Fachhochschule sind bis auf weiteres ausgesetzt.

In Dublin hat die dortige Stadtverwaltung bis gestern Nachmittag gebraucht, um die traditionelle Parade für den heutigen St. Patrick's Day abzusagen.

In Sendenhorst nimmt das St. Josefs-Spital keine neuen Patienten mehr zur Behandlung auf; Das Fachkrankenhaus, Fachklinik für Orthopädie mit 359 Planbetten und 180 Einzelzimmern, und das angegliederte Reha-Zentrum behandeln nur noch die auslaufenden Fälle; die freiwerdenden Kapazitäten sind zur Aufnahme von Corona-Fällen reserviert; in Laer, 10 km von hier, wird das ehemalige Marienhospital als "Fieberlazarett" wieder in Betrieb genommen, um für schwere Krankheitsverläufe 200 Plätze zur Verfügung stellen zu können. Die Kreisverwaltung in Borken ist ab heute für den Publikumsverkehr geschlossen.

In unserem Städtchen hat heute die Praxis meines Hausarztes, als erste im Ort, für zunächst 14 Tage geschlossen, nachdem bei einem Besucher eine Infektion mit dem Coronavirus festgestellt wurde. Ich nehme an, daß für die nächsten Monate der dringende Rat gilt, auf keinen Fall zu erkranken oder einen Unfall zu erleiden.

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Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet hat heute in einem Gespräch mit der "Welt" schon einmal sub rosa zu verstehen gegeben, was uns als nächstes erwartet: nämlich ein "Lockdown", eine Ausgangssperre. Zwar wurde noch nichts Konkretes bekanntgegeben - aber angesichts der Maßnahmen in den Nachbarstaaten kann dies nicht überraschen. Ich persönlich rechne mit einer solchen Maßnahme für den nächsten Monat, den 23. März.

Auf Alexander Wendts stets zu empfehlender Netzzeitung Publico findet sich heute die folgende selbsterklärende Grafik:



Anschließend sei es mir verstattet, aus Nicolaus Fests heutigem Videostatement zur EU und ihrem Management der Corona-Krise folgenden Passus zu zitieren:

Da hieß es doch immer: in Zeiten der Globalisierung seien auch die Probleme nur global zu lösen - da seien Nationalstaaten überfordert. Doch mehr "global" als Corona geht gar nicht. Nun sieht jeder: Brüssel ist nicht handlungsfähig. Keine Notfallplanung, keine Konzepte: nichts hat es anzubieten. Dabei hatte die EU seit dem Krankheitsausbruch in Wuhan Wochen Zeit, sich vorzubereiten. Tat sie aber nicht. Lieber quatschte sie über den "Green Deal," den Weltfrauentag und - ganz wichtig - mit Greta Thunberg. Corona? Nicht auf der EU-Agenda. Genau deshalb ist Europa nun wirklich weltweit das Zentrum der Epidemie. Und auch am Samstag war Brüssel noch gegen Grenzschließungen. Glaubt wirklich noch irgendwer, in Krisen sei auf die Bürokraten in Brüssel Verlaß? Wollen Sie ernsthaft Ihr Leben, Ihre Gesundheit und die Ihrer Nächsten denen anvertrauen?
Dem ist nichts hinzuzufügen.




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U.E.

© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.