26. Dezember 2017

Jahreszeitenklang: "The Atheist Christmas Carol"



Vienna Teng, "The Atheist Christmas Carol" (2004)

It's the season of grace coming out of the void
Where a man is saved by a voice in the distance
It's the season of possible miracle cures
Where hope is currency and death is not the last unknown
Where time begins to fade
And age is welcome home

It's the season of eyes meeting over the noise
And holding fast with sharp realization
It's the season of cold making warmth a divine intervention
You are safe here you know now

Don't forget
Don't forget I love
I love
I love you

It's the season of scars and of wounds in the heart
Of feeling the full weight of our burdens
It's the season of bowing our heads in the wind
And knowing we are not alone in fear
Not alone in the dark

Man lasse sich von dem Titel des Liedes nicht irreführen: hier handelt es sich nicht um eine Irreverenz, eine Parodie, sondern um eine wunderbare Evokation all dessen, was auch in den anderen auf die Weihnachtszeit zentrierten Liedern - unerachtet ihrer näheren oder ferneren Grundierung in christlichen Überzeugungen - zum Ausdruck kommt: ein Innehalten am Beginn der kältesten Jahreszeit, eine Besinnung auf die eigene Sterblichkeit, und auf ein Trotzdem, "wo die Hoffnung die Währung ist und der Tod nicht die letzte Unbekannte."­

Vienna Teng wurde 1978 in Saratoga im amerikanischen Bundesstaat Kalifornien and Cynthia Yih Shih als Kind der Nachkommen chinesischer Einwanderer geboren, ist also das, was man in den USA als ABC, American Born Chinese, bezeichnet, in zweiter Generation. Ihre bislang fünf Alben hat sie unter ihrem Künstlernamen veröffentlicht (der erste Part erweist der Walzerstadt an der Donau Reverenz), angefangen mit ihrem Debüt Waking Hour von 2002. "The Atheist Christmas Carol" findet sich als "letztes" Stück auf ihrer zweiten CD, Warm Strangers von 2004. Als "vorletztes," denn - und hier kommt ein genuin chinesischer Bezug ins Spiel (wer die bisherigen musikalischen Bezüge in dieser kleinen Serie verfolgt hat, wird dies erwartet haben) - abschließend beschließt als "hidden track" ein auf Mandarin gesungenes Stück das Album, eine der anrührendsten Interpretationen des "Liedes von der grünen Insel," 綠島小夜曲, lǜdǎo xiǎoyè qǔ, dem an dieser Stelle bereits ein Blogeintrag gewidmet wurde.



這綠島像一隻船
在月夜裡搖呀搖

姑娘喲妳也在我的
心海裏飄呀飄

讓我的歌聲隨那微風
吹開了你的窗簾

讓我的衷情隨那流水
不斷地向妳傾訴

椰子樹的長影
掩不住我的情意

明媚的月光
更照亮了我的心

這綠島的夜已經
這樣沉靜

姑娘喲妳為什麼
還是默默無語

Diese grüne Insel ist wie ein Boot
Das im Mondlicht dahintreibt.

Und so treibst du, Liebste, 
Im Ozean meines Herzens.

Möge mein Lied wie der Wind
Durch die Vorhänge vor deinem Fenster wehen.

Möge meine Liebe mit dem Wasser
dahinströmen und zu dir singen.

Die großen Schatten der Palmen
Sind nicht groß genug, meine Liebe zu verbergen.

Das helle Licht des Monds
Erhellt mein Herz.

Diese Nacht auf der grünen Insel
Scheint so friedlich...

Warum, Liebste,
sagt du kein Wort?

Vielleicht sollte man sich viele Worte sparen und einfach nur die Musik für sich sprechen lassen. Angesichts der Tatsache, daß Vienna Teng in ihrer englischen Muttersprache singt (ihr Mandarin lernte sie von ihrer Großmutter mütterlicherseits), bedarf es keiner Übersetzungen. Wem das Werk der Künstlerin bekannt ist, möge dies als eine Verbeugung vor einem wunderbaren musikalischen Werk nehmen; wem sie bislang unbekannt war, als einen Fingerzeig: ja, dergleichen gibt es, immer noch, jenseits der Banalitäten, mit denen Hörer, soweit es sie noch gibt, in unseren Medien bedacht zu werden pflegen, jenseits der Quoten und Moden. Vienna Teng ist übrigens von der Ausbildung her nicht Musikerin, obwohl sie mit fünf Jahren begonnen hat, Klavier zu lernen. Sie hat an der Universität von Stanford Informationstechnik studiert und als Softwareingenieurin für die nicht ganz unbekannte Firma Cisco Systems gearbeitet, bevor sie sich nach ihrer zweiten Plattenveröffentlichung ganz ihrer musikalischen Karriere widmete. (So viel zu der gängigen Vermutung, bei Programmierern und Bit-Arrangeuren handele es durchweg um amusische Nerds.) 

"Eric's Song" von ihrem Debutalbum:



Ebenfalls von Waking Hours: "Soon Love Soon"



"The Hymn of Axciom" von ihrem bislang letzten Album, Aims von 2013, ein als klassisches A-capella-Arrangement für Chor angelegtes Stück, mit einem zutiefst ironischen Text: is this wrong? isn't this what you want?


"St. Stephen's Cross" von Inland Territory. "He was there the night the wall came down..."



und, zuletzt, eine Live-Darbietung des Eröffnungsstückes dieses Albums, Inland Territory von 2009, "The Last Snowfall", bei einem Auftritt in Berkeley, Kalifornien, vor genau drei Jahren, am 26. Dezember 2014:





If this were the last snowfall
No more halos on evergreen
If this were the last glimpse of winter
What would these eyes see?

If this were the last slow curling
Of your fingers in my palm
If this were the last I felt you breathing
How would I carry on?

This is not the last snowfall
Not our last embrace
But if I were that kind of grateful
What would I try to say?



U.E.

© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.