27. Dezember 2017

Facebook macht einen "Fehler". Ein Gedankensplitter.

Am vergangenen Dienstag (vor Weihnachten) kam es in Berlin Schöneberg, direkt vor einem israelischen Restaurant zu einem antisemitischen ­"Vorfall". Ein 60 jähriger Mann, vermutlich leicht angetrunken, vermutlich Biodeutscher, nahm eine ins Schaufenster eines Restaurants gestellte Menora zum Anlass seine Meinung über Israel und über Juden im Allgemeinen, zum besten zu geben. Was dabei herauskam war ein Schwall allerfeinsten Antisemitismusses, angefangen vom "Ihr seid verrückt" bis zu "Ihr gehört in die Gaskammer". Eine Besonderheit besteht darin, dass ein (qualitativ durchaus gutes) Video von dem Vorfall existiert, das eventuell entschuldigende Interpretationen schwierig macht und durchaus für sich selber spricht. Das Video ist durchaus ein guter Beleg dafür, dass Antisemitismus nicht immer von den klassischen Stereotypen des Islamfanatikers oder dem kahl rasierten Stumpfnazi kommen muss. Es dürfte sich eher um genau den in Deutschland zunehmend virulenten Antisemitismus handeln, der aus der Mitte der Gesellschaft kommt.


Doch so bezeichnend wie dieses Video auch ist (und es sollte jedem ans Herz gelegt werden, die sechs Minuten dafür zu opfern), so soll es hier um einen anderen Aspekt gehen. Das Video wurde, relativ kurz nach dem Vorfall (am folgenden Mittwoch) von Mike Samuel Delberg, einem oder dem Repräsentanten der jüdischen Gemeinde in Berlin, auf Facebook veröffentlicht. Das Video war sehr schnell sehr erfolgreich (die Amis würde sagen, es ging "viral"), bis es vier Stunden nach seiner Veröffentlichung wegen "Verstosses gegen die Gemeinschaftsstandards" gelöscht wurde. Samuel Delberg wurde anschließend für 24 Stunden gesperrt, Leute, die das Video geteilt haben, ebenso.
Damit ist die Geschichte allerdings noch nicht beendet: Wie es bei viralen Videos manchmal der Fall ist, verbreitete es sich auf anderem Wege weiter und die Presse wurde aufmerksam. Es erschienen erste Artikel zu dem Thema und der Besitzer des Restaurants (also das eigentliche Ziel der Pöbelei) bekam Besuch vom israelischen Botschafter (und auch von Volker Beck, da musste er dann eben auch durch). Im Zuge dessen, dass die Sache nun mehr Fahrt aufnahm, sah sich Facebook in der Zwangslage damit umgehen zu müssen: Man machte die Löschung rückgängig und entschuldigte sich. Allerdings nur bei Samuel Delberg und auch nur für die Löschung des Videos. Die Sperrung blieb unkommentiert, ebenso die Sperrung von denjenigen, die das Video teilten.
Das ist nach heutiger Lage der Stand der Dinge (und über Weihnachten ist das ganze auch schon fast in Vergessenheit geraten). Es ist davon auszugehen, dass es noch ein paar kleinere Wellen geben wird, weil das Thema dankbar ist. Endlich kann man Antisemitismus der politisch korrekten Sorte zeigen, man muss nicht die Einwanderungspolitik der letzten Jahre diskutieren, es ist genau der Antisemitismus, den man gerne öffentlich aufgreifen kann, weil sich niemand so recht dagegen wert. Und es hat am Ende die selben Folgen wie ein Befangenheitsantrag bei Gericht: Fristlos, formlos, fruchtlos. Menschen wie der im Video gezeigte werden kaum davon umdenken (auch wenn sie jetzt den einen oder anderen Tagessatz dafür löhnen dürfen), die Linke freut sich über politisch korrekten Antisemitismus (die Gefahr ist rechts, und ob der Mann wirklich rechts oder links steht, wen juckts?) und Frau Merkel wird nicht wieder danach gefragt, ob der Millionenimport der letzten Jahre vielleicht nicht ein gewaltiges Problem importiert hat.

Und Facebook? Zuckt mit den Schultern und macht weiter wie bisher. Der nächste "Fehler" kommt bestimmt und Konsequenzen hat es sowieso keine. Aber genau DAS ist ein Problem. Und zwar ein gewaltiges. Denn dieser spezielle Fall, in dem plötzlich die Gefahr einer öffentlichen Rüge entstand, ist eine absolute Ausnahme. Ansonsten hat Facebook durchaus wenig Probleme mit Antisemitismus, sehr wohl aber mit Leuten, die sich gegen selbigen stellen. Der Rechtsanwalt und Blogger Joachim Steinhövel hat eine recht beachtliche Sammlung von Beispielen zusammengetragen, die einen das Elend erahnen lassen, dass sich dort regelmäßig abspielt. Es ist beschämend und das ist noch harmlos ausgedrückt.
Simpel zusammengefasst: Facebook IST ein Problem. Und zwar ein zunehmend großes Problem. Die Väter des Grundgesetzes, genauso wie auch die Väter anderer Verfassungen, haben zurecht erkannt, dass das Recht zur freien Meinungsäusserung nicht nur fundamental wichtig sondern auch schlicht konstituierend für jeden Staat sein muss, der sich Rechtsstaat nennen will. Das Recht zur freien Meinungsäusserung geht aber auch zwangsnotwendig damit einher, dass man diese Meinung öffentlich äussern kann. Wenn jemand beispielsweise isoliert in einer Zelle sitzt, dann ist das Recht nicht mehr vorhanden, denn niemand kann ihm zuhören. Wenn ich jemanden bei sich zuhause isoliere, ihm die Telefonverbindung kappe und ihm das Auto weg nehme, dann ist das Recht genauso theoretisch geworden, denn er kann es nicht mehr praktisch ausüben.
Staatliche Eingriffe in solche Freiheiten sind nicht zuletzt aus solchen Gründen extrem eingeschränkt und sind grundsätzlich gesetzlicher Kontrolle, insbesondere der Kontrolle durch die Verfassung, unterworfen.
Facebook ist dagegen eine private Firma, und damit gerade nicht der Verfassung unterworfen. Facebook muss sich weder der Meinungsfreiheit unterwerfen, noch gibt es irgendeinen Kontrahierungszwang, der Facebook verbieten würde, zu tun und zu lassen, was es will. Das wäre in einem freien Markt nicht weiter schlimm, Shell ist ja auch nicht gezwungen mir Benzin zu verkaufen, und ich kann eben zu Aral fahren, um welches zu holen. Facebook dagegen strebt eine Monopols-Situation in den sozialen Medien an. Und die Marktmacht von Facebook könnte nach derzeitigem Stand bald dazu genügen. Facebook wird zunehmend zu dem, was AT&T Mitte des letzten Jahrhunderts in den USA wurde, ein gigantischer Monopolist, dessen pure Macht und Größe genügt, um das Monopol durchzusetzen.
Auch das wäre noch nicht das Riesendrama, aber im Unterschied zu AT&T, hat Facebook nicht nur eine Kontrolle über die Technik ("die Syntax") sondern auch über die Inhalte ("die Semantik"). AT&T hat nie (zumindest nicht in größerem Umfang) kontrolliert was über ihre Leitungen gesprochen wurde, Facebook automatisiert das bis in jeden kleinen Satz hinein. Facebook unterhält Zensur Löschzentren mit hunderten von Mitarbeitern, die nichts anderes tun als Inhalte zu kontrollieren. Oder einfach: Facebook entscheidet welche Meinung auf Facebook stehen darf und welche nicht. Es entscheidet was richtig ist und was nicht. Und es entscheidet wer sich äussern darf und wer nicht.

Wenn es nach Facebook gehen würde, dann würden Sie, lieber Leser, das Video nie gesehen haben. Und wie viele andere Dinge haben Sie nicht gesehen? Auf einen solchen "Fehler" dürften hunderte von "Fehlern" kommen, die allerdings nie einen öffentlichen Druck erzeugen konnten. Es finden Dinge nicht mehr statt, Meinungen finden nicht mehr statt, es findet nur noch das statt, was ein einzelner, privater Konzern bestimmt. Vor langen Jahren wurde im Zuge einer neuen Word Version diskutiert, ob Microsoft berechtigt sei, in den Nutzungsbedingungen festzulegen, dass damit nur Texte verfasst oder bearbeitet werden dürfen, die der Firma Microsoft nicht schaden. Es kam nicht dazu und es hätte vermutlich vor amerikanischen Gerichten auch kaum stand gehalten. Jetzt, Jahre später, ist aber genau diese Idee absolute Realität geworden und im Zuge der Entwicklung künstlicher Intelligenz zum greifen nahe.

Es handelt sich genau genommen um ein massives juristisches Problem, nämlich der Frage wie weit man es einem privaten Konzern gestatten darf, Grundrechte auszuhebeln. Das ist im Rahmen von deutlichen Monopolen im Bereich der Softwareentwicklung eine drängende Frage. Aber statt sich entsprechend im Namen des Rechtsstaates auseinanderzusetzen, haben wir einen Justizminister, der genau DIESEN Mechanismus nutzen will, um seine persönlichen Zensurvorstellungen durchzusetzen. Statt sich für die Verfassung einzusetzen, versucht er die Kontrolle, der er durch das Verfassungsgericht und eben die Verfassung unterworfen ist, abzuwerfen und einen privaten Konzern zum Mittel für diesen Zweck zu machen. 

Wohin wir steuern mag das Utopia von Heiko Maas und Mark Zuckerberg sein, was es aber auf keinen Fall ist, ist ein Rechtsstaat.


Llarian

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