28. Dezember 2017

Jahreszeitenklang: M. A. Numminen, "Stille Nacht"

Da an dieser Stelle gestern schon von Parodie, Travestie, Persiflage, ironisierender Brechung und satirischer Inversion die Rede war, ein zweites Sa/eitenstück.



Stille Nacht, heilige Nacht...
Drei Männer aus dem Morgenland ritten von Haus zu Haus;
Diese waren wissenschaftlich ihrer Zeit voraus.
In der Nacht, heilige Nacht...
Kaspar, Melchior, Balthasar, die Namen der Herren sind.
Sie hatten Weihrauch und Edelstein als Geschenk fürs Jesuskind.
Stille Nacht, Wundernacht...
Manche Hausfrau beneidet gewiß die Dame im Morgenland
Da wird keine Weihnachtsgans gerupft, kein Schinken in der Hand
Dort leidet man nicht an Sodbrennen, an keiner Chaosband...
Im Morgenland gibts etwas Echtes, zum Beispiel die Pferde und die Kamele, 
zur Abwechslung wackelt dort die Erde, 
wir sitzen im Dreck, müssen kennenlernen A B C und noch mehr D...

Stille Nacht, heilige Nacht...
Hast du die Dromedare satt? Wir reiten ins Morgenland!
Wir gründen eine Buschfabrik und werfen Bananen in den Sand.
Schrille Nacht, Zaubernacht
Stille Nacht, Rille-Nacht
Brille-Nacht, Zille-Nacht
Willenskraft, Triller-Nacht
wie gestrafft, 
ehrenhaft, 
erste Haft, 
keine Pacht 
Muskelkraft
Schrille Nacht
Na, diese Nacht
Naaaaausdempracht
gut gedacht
nicht gebracht
nie gekracht
viel gelacht
weich geschlacht
schrille Jagd!


Mauri Antero Numminen, 1940 in Somero im Südwesten Finnlands geboren, ist mitunter in Medienberichten, denen der Term auf den anderen Seite des Entspricht-Zeichens geläufig ist, als "finnischer Helge Schneider" bezeichnet worden. Umgekehrt wird natürlich ein Skistiefel daraus. Herr N., wie Herr S. ein durchaus respektabler Jazzinterpret, kann in seiner querschießenden, kauzigen, schräg wider allen Geschmack kraulenden anarchistischen Persona als das Urbild seines germanischen Pendants gelten. Eine Ähnlichkeit übrigens, die sich bis in kleinste physiognomische Details hinein zeigt.



(Bildquelle: wikimedia)

Numminen, der sprachlich ansonsten im Finnischen (natürlich) sowie (was angesichts der langen kulturellen Prägung naheliegt) im Schwedischen unterwegs ist, hat auch in diversen Buchveröffentlichung Angst und Schrecken verbreitet, in der Märchensammlung Satuja (1975) oder dem Roman Tango on intohimoni (1998; Tange ist meine Leidenschaft) - was daran erinnert, daß der finnische Tango, entgegen anderslautenden Gerüchten, tatsächlich realiter gegeben ist und eigenständiges Musikgenre darstellt (das Buch ist 2000 in deutscher Übersetzung im Haffmans Verlag erschienen) und Baarien mies (Der Kneipenmann, 1986), ein Führer durch 350 finnische Kaschemmen, Spelunken, Absteigen und/oder Bierschwemmen (Fritz Graßhoff: "In der Stampe / sitzt die Schlampe / gießt sich einen / auf die Lampe").



Der Konnex zur deutschen Sprache, der vielleicht für manchen hiesigen Betrachter etwas überraschend ist, kommt nicht ganz aus dem Nichts. Zum einen gab es, lange ists her, durchaus eine Brücke über die universitäre und wissenschaftliche Sphäre, weil im 19. Jahrhundert, wie auch sonst in Skandinavien, im Osteuropa, und nicht zuletzt im zaristischen Russland, zu dem Finnland gehörte, Wissenschaft und Philosophie auf deutsch gelehrt und rezipiert wurden (Elias Lönnrot hat die erläuternden Fußnoten zur Kompilation dessen, was er als geschlossenem "Ur-Epos" der Finnen auffaßte, des Kalevala, auf deutsch geschrieben.) Wichtiger war, daß Deutsch im finnischen universitären Alternativmilieu des späten 1950er und 60er Jahre, in dem dies entstand, so etwas wie ein Mode-Esoterikum war: die tiefe Artikulation nicht nur furchtbar tiefschürfender Philosophie wie der Sprachphilosophie Wittgensteins (Numminen hat längere Zitate vor allem aus dem Tractatus logico-philosophicus  - "vertont" mag man nicht sagen - von synkopiertem Lärm unterfüttert zur Darbietung geracht) sondern auch das Uridiom der Heiligen Schriften des Marxismus und der Frankfurter Schule von Engels bis Adorno, die im Original lesen zu können direkten Zugang zu höheren Sphären der Erkenntnis sicherte. Landesweit (in Finnland und der skandinavischen Umgebung) bekannt wurde er ab 1970 mit der Jazzcombo Uusrahvaanomainen Jatsiorkesteri, wobei die deutsche Übertragung "Neorustikales Jazzorchester" wohl besser mit "neuvulgär" wiederzugeben wäre. Immerhin wissen wir jetzt, wie der Beat nach Finnland kam. Eine ... Adaptation ... von Glenn Millers "American Patrol" von 1971:







(Die beiden letzten Aufnahmen entstanden beim Auftritt beim Pori Jezz-Festvial 1972)







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U.E.

© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.