14. August 2017

BTW 2017. And the winner is...




Lieber Leser:

Vor gut elf Monaten wurde an dieser Stelle das Ergebnis der Wahlen zur US-Präsidentschaft bekanntgegeben. Das hatte nicht zuletzt das Ziel der Fokussierung, um unnötige Verzettelung vin Aufmersamkeitsökonomie zu unterbunden. Heute sei der gleiche Dienst in Hinblick auf die anstehenden Wahlen zum Deutschen Bundestag gelistet. Wobei, dies sollte klar sein, es nicht um die de jure zu bestimmende Besetzung des Parlaments geht, sondern die sich daraus ergebende Weichenstellung, wer innert der nächsten Legislaturperiode "Kanzler kann", um es im bevorzugten politischen Idiom unsere politisch-medialen Klasse, in "leichter Sprache" also, zu sagen. Auch geht es mir nicht um die nächsten Wahlen, die, um es in der Begrifflichkeit der Luhmann'schen Systemtheorie auszudrücken, einen Unterschied machen" (a difference that makes a difference). Was in gut 1500 Tagen sein wird, in 48 Monaten, erscheint von heute aus ungewisser denn je; keine Kristallkugel könnte die Bahn, die dieses Land und seine Führung bis dahin nimmt, ansatzweise enthüllen. Nein, hier geht es um den in sechs Wochen anstehenden Urnengang, dessen Ergebnis en gros bereits so unumstößlich feststeht wie die Anzahl der bis dahin noch verrinnenden Stunden.

Daß Angela Merkel aus dem Wahlgang unangefochten bestätigt hervorgehen wird, daß sie weiter als unumschränkte, unwidersprochene Sachwalterin dieses Gemeinwesens wirken kann, läßt sich leichter abschätzen als je eine plebiszitäre Entscheidung in der gut siebzigjährigen Geschichte dieses Staates. Es ist schlicht kein Wahlergebnis denkbar, keine Gewichtung der Stimmen für diese, jene oder eine andere Partei, die dieses Ergebnis ansatzweise konterkarieren könnte. En détail bleibt es bei einer gewissen Unsicherheit, so interessant wie das Katzbalgen um das fünft- und sechstplatzierte Finish in einem Pokalwettbewerb, der nur einen ersten Platz zu vergeben hat. Ob die Grünen ihren Platz künftig außerhalb des Parlaments suchen müssen, wird mit den Umfrageergebnissen mit jeder Woche wahrscheinlicher. Zu wünschen wäre es der Verbot-, Einschränkungs- und Bevormundungspartei, dieser "deutschesten aller deutschen Parteien", die sich auch in ihrem giftigen Antideutschtum nahtlos in eine krachend deutsche Tradition einreiht, von Herzen. Dennoch ist diese Frage alles andere als entschieden. Zu ungebrochen ist die Durchgrünung der Wählerschaft, des Zeitgeistes, der Medien, nicht zuletzt der Wählerschaft, mit den Inhalten, die diese Partei einmal, in den 1980er Jahren, als Alleinstellungmerkmal auf ihre Agenda schrieb. Auch wenn diese Inhalte, von Minderheitenprivilegierung bis zu Illusionen der Klimarettung, die seit mindestens dreißig Jahren zum Glutkern dessen gehören, was man die Zivilreligion der Deutschen nennen könnte, mittlerweile von allen Parteiungen übernommen worden sind. Sollte die Farbe Grün im Spektrum der im Parlament vertretenen Gruppierungen verblassen, so wird sie ohne Umschweife durch Gelb ersetzt werden. Auch hier scheint der Einzug ins Parlament noch völlig offen: der andere Unsicherheitsfaktor dieser Wahl. Sicher kann man sein, daß im Fall eines Einzugs die Präsenz der FDP auf den Gang der anstehenden Politik genausowenig Einfluß ausüben wird wie bei der Ökopartei. Als Juniorpartner der CDU, also der umumschränkten Merkel-Partei, würde sie als nichts weiter wirken als deren Stimmenanteil zu vermehren und den einsamen Weichenstellungen der "Weltkanzlerin" stehend zu applaudieren. Im Fall einer einsamen Opposition würde das Erheben des Protestes, der Einspruch gegen den laufenden Kurs als interessante Wortmeldung medial verbucht werden, mit einer Wirkung, die mit "Null" zu taxieren ist. Der -ausgebliebene - Einspruch gegen die Rettung der griechischen Banken und den blinden Wahnsinn der "Energiewende" sprechen hier Bände; und die Liberalen haben seit ihrem Ausscheiden bei den letzten Wahlen und besonders seit dem Dammbruch des politischen Wahnsinns in diesem Land mit der alternativlosen Schleifung der Landesgrenzen im Herbst 2015 durch den Alleingang der Weltkanzlerin nicht ansatzweise ihre Stellung als außerparlamentarische Opposition genutzt, um sich gegen den Kurs ins absehbare Desaster zu positionieren. Zwar ist Politik die Kunst des Kompromisses und des Ausgleichs, um einander widersprechende, ja sich ausschließende Ziele und Agenden in ein halbwegs aushaltbares Nebeneinander zu setzen. Aber angesichts eines kompletten Versagens der staatlichen Politik, eines Preisgebens aller Handlungsmöglichkeiten und einer grassierenden Flucht vor jeder Verantwortlichkeit gilt diese Maxime, die für ein Staatswesen auf ruhigem Kurs angemessen ist, nicht. Eine politische Kraft, der es ersichtlich nur um das erneute Mittun am Kinderkarneval auf der Titanic zu tun ist, braucht dieses Land so wenig wie Verbote von Verbrennungsmotoren in zehn oder die Rettung des angeblich bedrohten Weltklimas in 80 Jahren.

Der andere Unsicherheitsfaktor, neben dem Einzug der FDP und der Grünen, betrifft die zu erwartende Stärke der AfD. Daß sie den Einzug schaffen wird, dürfte so sicher sein wie Frau Merkels Großer Sieg. Auch dürfte ihr Wahlerfolg um einiges höher liegen als von den Umfrageinstituten bis gut zwei bis drei Stunden nach Schließung der Wahllokale am 24. September bekannt gegeben wird. Zu groß ist der Unmut der Bürger, der Wähler, die sich von der Selbstherrlichkeit der politischen Nichtstuer und Nichtskönner, von der Dauerpropaganda pro Status quo und von den gefühlten 50 Stunden am Tag auf uns niederprasselnden Verteufelung aller abweichenden Meinungen einfach nur noch abgestoßen fühlen. Die sehen, daß hier die Zukunft dieses Landes, ihrer Kinder, in Blindheit und Sturheit einfach vertan werden. Und die, mögen sie beim Gedanken an manche Personen der AfD auch mit der geballten Faust in der Tasche optieren, sich doch für die einzige Opposition entscheiden werden, die dieses Land aufzuweisen hat. Die sich nicht mehr ins Bockshorn lassen jagen durch die Verteufelungen und, man kann es nicht anders sagen, Lügen, mit denen die Medien diese Partei seit ihrer Gründung unablässig bedenken. Es ist zwar unüblich, vor Wahlen einen Blick in die Programme der jeweiligen Parteien zu werfen, anstatt auf Krawatten und aus dem Zusammenhang gerissene Satzfetzen. Aber angesichts des mittlerweile wohl vollständigen Glaubwürdigkeitsverlusts, den zumal die Staatsmedien, und dies völlig zurecht, verbuchen, könnte die Strategie der AfD, statt auf Plakatierung zu setzen (wobei den Plakaten nur eine Lebensdauern von wenigen Stunden vergönnt ist), stattdessen die Kernpunkte ihres Programms per Faltblatt in alle Haushalte zu verteilen, durchaus positiv ausschlagen. 

Zwei Dinge ergeben sich daraus: zum einen ist die Marge, mit der die AfD die Fünfprozenthürde überschreiten wird, für ihr Wirken in der Ägide des Kabinetts Merkel IV irrelevant. Je stärker ihre Präsenz ausfällt, desto stärker ist das Signal, das sie an den etablierten polit-medialen Komplex sendet: ihr habt keinen Alleinvertretungsanspruch. Aber ihre politische Gestaltungsmöglichkeiten bleiben gleich, ob sie nun 5,1 Prozent der Wählerstimmen für sich entscheidet oder utopische 35 Prozent. Keine Partei wird mit ihr koalieren, keine ihr auch nur die Satisfaktion der zugelassenen Opposition einräumen. Sie wird der Pariah des bundesrepublikanischen Parlamentarismus sein; wir können uns auf peinliche Kasperspielchen gefaßt machen, indem alle Parlamentarier den Sitzungssaal fluchtartig verlassen, sobald einer ihrer Redner das Wort ergreift. Alfanzerien wie das Werfen mit Konfetti werden aller Voraussicht nach das bunte Allerlei unter der Berliner Kuppel bereichern (die Szenen nach der Entscheidung für die "Ehe für alle" dürften ein milder Vorschein für den Umbau des Parlaments zum Zirkus Halligalli gewesen sein). Die Wirkung, die die AfD entfalten kann: als reine Opposition, wird von ihrer Stärke nicht tangiert: sie kann parlamentarische Anfragen nach Zuständigkeit, nach dem Ausmaß des Staatsversagens, nach dem aufgelaufenen Kosten für den Spuk der Weltwillkommenskultur stellen, sie kann die Ergebnisse an die Medien geben, mit einem Gewicht, den ihr als jetzige außerparlamentarische Kraft nicht zukommt; sie kann darauf dringen, in den Medien präsent zu sein. Jenen Medien, die in diesem Land vom Parlament die Rolle der politischen Meinungsbildung vollständig übernommen haben: die Talkrunden einer Maischberger, einer Hayali oder wie auch immer die Lemuren der einhelligen Meinungskultur heißen mögen. (Der Referent muß an dieser Stelle gestehen, daß ihm diese Gestalten in toto nur als Namen aus zweiter und dritter Hand geläufig sind, ebenso wie das Karussell ihrer Dauergäste. Selbst als er noch über einen Fernseher verfügte, also vor dem Jahr 2000, hat er es nicht ein einziges Mal über sich bringen können, eine politische Talkshow anzusehen.) Auf welches Wahlergebnis die AfD kommen wird, steht in den Sternen (der Blick in die persönliche Kristallkugel meldet, intuitiv, zwei Werte: einen wahrscheinlicher schmeckenden von 16,3% und einen Überraschungswert von 24,7%). 

Zum zweiten wird der Erfolg der AfD eine Zusammenschweißungs-Effekt beim etablierten Parteien-Kartell nach sich ziehen. Wie die FPÖ im Fall Österreichs, des Front National in Frankreich oder der PVV in den Niederlanden wird aus ihrer Präsenz eine politische Querfront entstehen, deren einziges Ziel die prinzipielle, von jedem Inhalt abgekoppelte Fundamentalopposition sein wird. De facto wird dies keinen Unterschied machen; schon jetzt wirkt dieses Parlament wie ein Verstärker, wie eine reine Echokammer der einsamen Entscheidungen Frau Merkels. Wobei man, wenn man die fatalen Weichenstellungen der letzten Jahre überschaut, von "Entscheidungen" nicht die Rede sein kann. Immer hat man sich entschlossen, stat etwas zu gestalten, Verbote auszusprechen, Geschehenes weiter geschehen zu lasen und nur wahllos und ohne jedes Zukunftskonzept wahllos Jahrmilliarden blind zu verteilen, in der Hoffnung, die selbst verursachten Probleme würden damit von selbst verdunsten: so war es mit dem Atomausstieg, so war es mit der Energiewende, so mit der Rettung Griechenlands, so mit der Kanalisierung der "Flüchtlinge". CDU und SPD werden, so ist es abzusehen, auf jeden Fall eine absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen: auch die beabsichtigte Wahlniederlage der SPD, mit Hellsicht und in voller Absicht aufs Gleis gesetzt, wird ihnen nicht genügend Stimmverluste einbringen. (Und ja: das ist mit voller Absicht inszeniert. Die unsägliche Alberei mit dem "Schulzzug", der Verzicht auf jegliche Inhalte im Wahlkampf, auf eigene Punkte, die einem Wähler auch nur den kleinsten Grund geben könnte, für die Genossen stat für Frau M. zu stimmen; die Kür eines von vornherein zum Scheitern bestimmten Kandidaten und das unbeirrbare Festhalten an ihm: das alles läßt keinen anderen Schluß zu, als das man sich hier gegen jede Änderung des Staus als komplett willfähriger Juniorpartner in der Merkelhörigkeit mit allen Mitteln sträubt. Daß die SPD hier etwas anderes sein könnte, läßt sich wie in bengalischer Beleuchtung sehen, wenn man auf ihr Personal schaut: von Gabriel über Maas über Nahles über Schwesig - das Wort "Lemuren" ward oben mit Vorbedacht gewählt -  bis hin zum farblosesten Bundespräsidenten, den dieses Land je gesehen hat: nicht eine SPD-typische Duftmarke ist auszumachen; nur die Willfährigkeit von Schranzen. Wer frühere politische Köpfe der deutschen Sozialdemokratie wie Helmut Schmidt, Willy Brandt, Herbert Wehner, selbst solche aus dem zweiten Glied wie Horst Ehmke oder Björn Engholm (von einem Carlo Schmid einmal ganz zu schweigen), im Geiste neben dieses Panoptikum hält, kann nur zutiefst erschrecken.) Wir können also auf jeden Fall mit der Etablierung, mit der Weiterführung der GroKo rechnen. Ob zu diesem Kartell noch weitere Blockflötenspieler hinzukommen, wird sich zeigen; ihre Wirkung wird genauso inexistent sein wie die der SPD schon jetzt ist. 

Ein hübscher Effekt kommt, lieber Leser, bei den Wahlen im September noch als Schmankerl hinzu: wer sich nicht dazu verstehen kann, für die Unaussprechlichen zu optieren, wird zum Merkel-Wähler. Selbst wer angesichts der trüben Alternativlosigkeit seine Stimme verweigert: dadurch sinkt der Anteil, den jedes Prozent des Wähleranteils vonnöten ist. Das gilt zwar für sämtliche Parteien, aber, wie ersichtlich, wird dies nur bei der Alternativen zugunsten einer Opposition zu Buche schlagen. Wenn nun, unerwartet, sowohl die FDP und die Grünen die 5-Prozent-Hürde verfehlen, so wird auch der entsprechende Stimmenanteil der AfD, die diese Hürde, dessen kann man gewiß sein, meistern wird, umso höher in das Endergebnis eingepreist werden. Aber aus den genannten Gründen fällt dies in der Praxis nicht ins Gewicht. (Solches sind die Aporien, die sich aus der Einrichtung einer solchen Schwelle ergeben.)

Rüsten wir uns also fürs Unausweichliche. Da dieses Land sich entschlossen hat, auf dem Weg in den Abgrund, auf die Überlastung seiner Sozialsysteme, seines sozialen Friedens, der Zukunft für seine Kinder und für die Gültigkeit und Durchsetzung von Gesetzen und Regeln zu verzichten, da man sich zur Vernichtung des eigenen Wohlstands und der Grundlagen dafür im wohl größten Potlatsch, den die  Weltgeschichte wird aufweisen können, wild entschlossen hat; da Politik hier auch in Zukunft nur als zweihundertprozentige Gesinnungsethik stattfinden soll und nur noch als Fortsetzung von Kirchentagen inszeniert wird: wer wollte da ernsthaft den Spielverderber geben und für eine Umsteuerung votieren? Wo doch der Spaß, den wir mit den neuen, von uns selbst geschaffenen und zugelassenen Realitäten in den nächsten Jahrzehnten haben werden, gerade erst begonnnen hat.

(Illustration Archi W. Bechlenberg. Verwendung mit freundlicher Genehmigung. Herzlichen Dank!)



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Ulrich Elkmann

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