16. August 2017

Die Mitglieder der Bundesregierung in der Einzelkritik

Um einen Wahlkampf zu beschreiben, bietet sich ein militärisches Vokabular an: Die Kampagne zur Abstimmung über die Bestückung des nächsten deutschen Bundestages wäre demnach als Sitzkrieg zu bezeichnen. Es rührt sich nicht viel und das Ergebnis dürfte so ausfallen, dass Angela Merkel auch weiterhin über eine Parlamentsmehrheit für ein von ihr geführtes Kabinett verfügen wird.

Aber auch wenn man Überraschungseffekte einkalkuliert, steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass in der kommenden Legislaturperiode entweder die CDU/CSU oder die SPD (möglicherweise auch beide) an der Bundesregierung beteiligt sein werden, weshalb es mit dem einen oder anderen Minister ein Wiedersehen geben wird.

Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) hat sich den verdienstvollen Spaß gemacht, die Mitglieder der derzeitigen deutschen Bundesregierung einer Einzelkritik zu unterziehen, wie man dies sonst etwa aus dem Sportjournalismus kennt. Da es langweilig ist, Einzelkritik an der Einzelkritik des wohl besten deutschsprachigen Tagesperiodikums zu üben, wird der Verfasser dieser Zeilen im Folgenden seine eigene Bewertung der Leistungen der Bundeskanzlerin und ihrer Minister abgeben. Die geschätzte Kommentatorenschaft ist herzlich eingeladen, es ihm im Kleinen Zimmer gleichzutun.

­Angela Merkel: Hat sich das Attribut „Teflon“ redlich verdient, da auch krasseste politische Fehler ihre guten Umfrageresultate bislang nicht dauerhaft beeinträchtigen konnten. Profitiert weniger von eigenen Vorzügen als vielmehr von den Schwächen des politischen Gegners, ihrer im Herbst 2015 erfolgten Heiligsprechung durch die deutschen Leitmedien und dem wirtschaftlichen Wohlstand der meisten Bundesbürger, für welchen die Weichenstellungen ihres Vorgängers zu einem nicht unwesentlichen Grad verantwortlich zeichnen. Sollte sich vor Konkurrenz inner- und außerhalb ihrer Partei nicht zu sehr in Sicherheit wiegen: Macron und Kurz waren auch plötzlich da.

Sigmar Gabriel: Ist unter den deutschen Politikern zweifellos nicht der Erste, der dem Verfasser dieser Zeilen beim Assoziationstest zum Adjektiv „diplomatisch“ in den Sinn kommt. Knüpft nahtlos an die Fehlleistungen an, wie sie seit den Schröder-Jahren die Agenda des Auswärtigen Amtes prägen. Ist für seine derzeitige Verwendung denkbar ungeeignet. Hat hingegen als Wirtschaftsminister weniger falsch gemacht, als zu befürchten war. Ist im Falle einer SPD-Beteiligung an der nächsten Bundesregierung für einen Ministerposten gebucht, sollte dann aber jedenfalls ein anderes Ressort erhalten.

Brigitte Zypries: Ersetzte Gabriel mit Ende Januar 2017 im Wirtschafts- und Energieministerium. War unter Schröder und in der ersten Großen Koalition unter Merkel für das Justizressort zuständig. Hat in ihrer neuen Funktion noch nicht allzu viel von sich reden machen.

Thomas de Maizière: Fachlich eines der fähigeren Mitglieder der derzeitigen Bundesregierung. Wurde von Merkel gedemütigt, als diese ihm Peter Altmaier als Flüchtlingskoordinator vor die Nase setzte. Wagt es seitdem, zarte Ansätze einer vom Kanzlerinnenkurs abweichenden Meinung vorzutragen und in der Öffentlichkeit dezidiert konservative Positionen zu vertreten, was in der CDU des Jahres 2017 ans Unerhörte grenzt. Verkauft sich aufgrund seiner spröden Art und seines ausbaufähigen Kommunikationsvermögens zweifellos unter Wert. Wäre in einem Ministerium mit weniger Medienkontakt wohl besser besetzt.

Heiko Maas: Hat einen ausgeprägten Publicity-Drang. Versuchte, den von Gregor Gysi gehaltenen Rekord der meisten Talkshow-Auftritte zu egalisieren, und ging gefühlt mindestens einmal in der Woche mit einer äußerst bedenklichen Gesetzesinitiative an die Öffentlichkeit. Opfert bürgerliche Freiheiten und rechtsstaatliche Prinzipien seiner weit links angesiedelten Ideologie. Ist der Typ Politiker, vor dem sich ein Gemeinwesen wie das unsere in Acht nehmen sollte. Hat sich für sämtliche Staatsämter nachhaltig disqualifiziert.

Wolfgang Schäuble: Ist eines der profiliertesten und – wenn man den einschlägigen Umfragen Glauben schenkt – beliebtesten Mitglieder der derzeitigen Bundesregierung. Soll dem Wähler als Garant dafür dienen, dass die CDU unter Merkel mit der gleichnamigen Formation der Kohl-Ära identisch ist. Hat eine noch tiefere Schulden- und Transferunion wohl verhindert, aber auch nicht mehr: Hätte im Interesse Deutschlands weit weniger Zugeständnisse machen können und müssen. Könnte als Königsmacher eine Schlüsselfigur bei der in naher Zukunft unausweichlichen Merkel-Nachfolge sein.

Andrea Nahles: Gehört zwar dem linken Flügel der SPD an, hat in ihrer Amtsführung aber mit Anflügen von Realpolitik überrascht. Bezifferte schon zu Zeiten, als in der Migrationskrise noch Euphorie die erste Bürgerpflicht war, die Quote der in den deutschen Arbeitsmarkt integrierbaren Neuankömmlinge mit realistischen 10 Prozent. Hat mit dem Tarifeinheitsgesetz die kleineren Gewerkschaften vergrämt. Dürfte dadurch bei den Betonsozialisten an Ansehen verloren, den einen oder anderen Seeheimer jedoch beruhigt oder gar für sich gewonnen haben. Ein Ministersessel ist ihr im Fall einer SPD-Beteiligung an der nächsten Bundesregierung sicher.

Christian Schmidt: Kam in der Wahrnehmung des Verfassers dieser Zeilen nur selten vor, dann aber in der Regel mit eher vernünftigen Aussagen. Dass seine Positionen zu Ernährungsfragen als konservativ empfunden werden, zeigt, wie ideologiegeleitet die Diskussion über dieses Thema in Deutschland geworden ist. Wäre, wenn die CSU in der nächsten Bundesregierung wieder den Landwirtschaftsminister stellt, sicher nicht die schlechteste Besetzung für diesen Posten.

Ursula von der Leyen: War schon Familienministerin sowie Arbeitsministerin und ist nun Verteidigungsministerin. Hat in keiner ihrer Verwendungen überzeugt, sondern bisweilen kapitale Böcke geschossen, wovon der Spitzname „Zensursula“ ein beredtes Zeugnis abgibt. Warf mit ihren Äußerungen zum angeblichen Haltungsproblem der Bundeswehr im Glashaus sitzend mit Steinen. Darf sich nur deshalb Hoffnungen auf eine Weiterverwendung im Bundeskabinett machen, weil Merkel ihre schützende Hand über sie hält. Unter meritokratischen Gesichtspunkten ist eine Betrauung der promovierten Medizinerin mit einem hohen Staatsamt nicht zu rechtfertigen.

Katarina Barley: Ist erst seit Juni 2017 Familienministerin und genießt deshalb noch Schonzeit. Hat den Verfasser dieser Zeilen mit unerwartetem Sinn für Humor überrascht, als sie sich beim heurigen Starkbieranstich am Nockherberg prächtig amüsierte. Dürfte etwas weniger gesinnungslastig an die Sache herangehen als ihre inzwischen in die mecklenburg-vorpommerische Staatskanzlei relegierte Amtsvorgängerin Manuela Schwesig, weil mehr Ideologie als von dieser zur Schau gestellt schlechterdings undenkbar ist.

Hermann Gröhe: In puncto Medienpräsenz Maas’ Antipode. Ist als Gesundheitspolitiker keineswegs untätig, wenngleich er nicht mit dem großen Reformprojekt aufwartet. Spielt sich nie in den Vordergrund. Wird deshalb kaum wahrgenommen und würde dem breiten Publikum nicht fehlen, wenn er der nächsten Bundesregierung nicht mehr angehörte.

Alexander Dobrindt: Hatte mit der Umsetzung des Maut-Versprechens seines Parteivorsitzenden allerhand zu tun. Blieb aber sonst hinter den Erwartungen zurück. Hat als CSU-Generalsekretär bewiesen, dass man als Diplomsoziologe nicht links und nicht politisch korrekt sein muss. Wäre in einer Funktion, die seinen polemischen Qualitäten entgegenkommt, besser aufgehoben als im Chefsessel eines technokratischen Ministeriums.

Barbara Hendricks: Betreibt ideologiegeladene Umweltpolitik, was aber nicht weiter auffällt, da in Deutschland die genannte Begriffskombination pleonastisch ist. Bot keine positiven Überraschungen. Steht wohl ganz oben auf der Streichliste, falls die SPD der nächsten Bundesregierung angehört, aber weniger Minister stellen darf.

Johanna Wanka: Ist von Beruf Mathematikprofessorin und von daher jedenfalls auf dem Papier eine gute Besetzung für das Bildungs- und Forschungsministerium. Hat keine Fehler begangen, die sie untragbar machen würden. Für Systemmängel im Schulwesen werden, der föderalen Kompetenzverteilung entsprechend, ihre Kollegen auf Landesebene abgestraft.

Gerd Müller: Hat sich schon, bevor dies ab Herbst 2015 zum Gemeinplatz wurde, die Bekämpfung der Migrationsursachen auf die Fahnen geschrieben. Weist dabei regelmäßig auch auf die Verantwortlichkeit der Herkunftsländer hin. Nennt immer wieder besorgniserregende Zahlen für potenzielle Wanderungsbewegungen. Betont aber auch, dass die wirtschaftliche Entwicklung in den betroffenen Staaten ökosozial verlaufen müsse, was je nach konkreter Ausgestaltung den Aufbruch Afrikas doch erheblich behindern würde. Dürfte aufgrund dieser Position für Koalitionspartner aus dem linken Spektrum erträglich sein.

Peter Altmaier: Gilt als Integrationsfigur für Schwarz-Grün und wird von der Kanzlerin mit besonderen Aufgaben honoriert. Ist seiner Mentorin in unverbrüchlicher Treue ergeben. Dürfte keine Zukunft in der CDU haben, falls sich diese eines Tages auf ihre konservativen Wurzeln besinnen sollte. Symbolisiert wie kein anderer das Merkel-Biedermeier.

Noricus

© Noricus. Für Kommentare bitte hier klicken.