Um
einen Wahlkampf zu beschreiben, bietet sich ein militärisches Vokabular an: Die
Kampagne zur Abstimmung über die Bestückung des nächsten deutschen Bundestages
wäre demnach als Sitzkrieg zu bezeichnen. Es rührt sich nicht viel und das Ergebnis dürfte so ausfallen, dass Angela Merkel auch weiterhin über eine
Parlamentsmehrheit für ein von ihr geführtes Kabinett verfügen wird.
Aber
auch wenn man Überraschungseffekte einkalkuliert, steht mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass in der kommenden Legislaturperiode
entweder die CDU/CSU oder die SPD (möglicherweise auch beide) an der
Bundesregierung beteiligt sein werden, weshalb es mit dem einen oder anderen
Minister ein Wiedersehen geben wird.
Die
Neue Zürcher Zeitung (NZZ) hat sich den
verdienstvollen Spaß gemacht, die Mitglieder der derzeitigen deutschen
Bundesregierung einer Einzelkritik zu unterziehen, wie man dies sonst etwa aus dem
Sportjournalismus kennt. Da es langweilig ist, Einzelkritik an der Einzelkritik
des wohl besten deutschsprachigen Tagesperiodikums zu üben, wird der Verfasser
dieser Zeilen im Folgenden seine eigene Bewertung der Leistungen der
Bundeskanzlerin und ihrer Minister abgeben. Die geschätzte Kommentatorenschaft
ist herzlich eingeladen, es ihm im Kleinen
Zimmer gleichzutun.
Angela Merkel: Hat sich das Attribut „Teflon“ redlich verdient, da auch krasseste politische Fehler ihre guten Umfrageresultate bislang nicht dauerhaft beeinträchtigen konnten. Profitiert weniger von eigenen Vorzügen als vielmehr von den Schwächen des politischen Gegners, ihrer im Herbst 2015 erfolgten Heiligsprechung durch die deutschen Leitmedien und dem wirtschaftlichen Wohlstand der meisten Bundesbürger, für welchen die Weichenstellungen ihres Vorgängers zu einem nicht unwesentlichen Grad verantwortlich zeichnen. Sollte sich vor Konkurrenz inner- und außerhalb ihrer Partei nicht zu sehr in Sicherheit wiegen: Macron und Kurz waren auch plötzlich da.
Sigmar Gabriel: Ist
unter den deutschen Politikern zweifellos nicht der Erste, der dem Verfasser
dieser Zeilen beim Assoziationstest zum Adjektiv „diplomatisch“ in den Sinn kommt.
Knüpft nahtlos an die Fehlleistungen an, wie sie seit den Schröder-Jahren die
Agenda des Auswärtigen Amtes prägen. Ist für seine derzeitige Verwendung
denkbar ungeeignet. Hat hingegen als Wirtschaftsminister weniger falsch
gemacht, als zu befürchten war. Ist im Falle einer SPD-Beteiligung an der
nächsten Bundesregierung für einen Ministerposten gebucht, sollte dann aber jedenfalls
ein anderes Ressort erhalten.
Brigitte Zypries:
Ersetzte Gabriel mit Ende Januar 2017 im Wirtschafts- und Energieministerium.
War unter Schröder und in der ersten Großen Koalition unter Merkel für das
Justizressort zuständig. Hat in ihrer neuen Funktion noch nicht allzu viel von
sich reden machen.
Thomas de Maizière:
Fachlich eines der fähigeren Mitglieder der derzeitigen Bundesregierung. Wurde
von Merkel gedemütigt, als diese ihm Peter Altmaier als Flüchtlingskoordinator
vor die Nase setzte. Wagt es seitdem, zarte Ansätze einer vom Kanzlerinnenkurs
abweichenden Meinung vorzutragen und in der Öffentlichkeit dezidiert
konservative Positionen zu vertreten, was in der CDU des Jahres 2017 ans
Unerhörte grenzt. Verkauft sich aufgrund seiner spröden Art und seines
ausbaufähigen Kommunikationsvermögens zweifellos unter Wert. Wäre in einem
Ministerium mit weniger Medienkontakt wohl besser besetzt.
Heiko Maas: Hat
einen ausgeprägten Publicity-Drang. Versuchte, den von Gregor Gysi gehaltenen
Rekord der meisten Talkshow-Auftritte zu egalisieren, und ging gefühlt
mindestens einmal in der Woche mit einer äußerst bedenklichen
Gesetzesinitiative an die Öffentlichkeit. Opfert bürgerliche Freiheiten und
rechtsstaatliche Prinzipien seiner weit links angesiedelten Ideologie. Ist der
Typ Politiker, vor dem sich ein Gemeinwesen wie das unsere in Acht nehmen
sollte. Hat sich für sämtliche Staatsämter nachhaltig disqualifiziert.
Wolfgang Schäuble: Ist
eines der profiliertesten und – wenn man den einschlägigen Umfragen Glauben
schenkt – beliebtesten Mitglieder der derzeitigen Bundesregierung. Soll dem
Wähler als Garant dafür dienen, dass die CDU unter Merkel mit der gleichnamigen
Formation der Kohl-Ära identisch ist. Hat eine noch tiefere Schulden- und
Transferunion wohl verhindert, aber auch nicht mehr: Hätte im Interesse
Deutschlands weit weniger Zugeständnisse machen können und müssen. Könnte als
Königsmacher eine Schlüsselfigur bei der in naher Zukunft unausweichlichen
Merkel-Nachfolge sein.
Andrea Nahles: Gehört
zwar dem linken Flügel der SPD an, hat in ihrer Amtsführung aber mit Anflügen
von Realpolitik überrascht. Bezifferte schon zu Zeiten, als in der
Migrationskrise noch Euphorie die erste Bürgerpflicht war, die Quote der in den
deutschen Arbeitsmarkt integrierbaren Neuankömmlinge mit realistischen 10
Prozent. Hat mit dem Tarifeinheitsgesetz die kleineren Gewerkschaften vergrämt.
Dürfte dadurch bei den Betonsozialisten an Ansehen verloren, den einen oder
anderen Seeheimer jedoch beruhigt oder gar für sich gewonnen haben. Ein
Ministersessel ist ihr im Fall einer SPD-Beteiligung an der nächsten
Bundesregierung sicher.
Christian Schmidt: Kam
in der Wahrnehmung des Verfassers dieser Zeilen nur selten vor, dann aber in
der Regel mit eher vernünftigen Aussagen. Dass seine Positionen zu
Ernährungsfragen als konservativ empfunden werden, zeigt, wie ideologiegeleitet
die Diskussion über dieses Thema in Deutschland geworden ist. Wäre, wenn die
CSU in der nächsten Bundesregierung wieder den Landwirtschaftsminister stellt,
sicher nicht die schlechteste Besetzung für diesen Posten.
Ursula von der Leyen: War
schon Familienministerin sowie Arbeitsministerin und ist nun
Verteidigungsministerin. Hat in keiner ihrer Verwendungen überzeugt, sondern
bisweilen kapitale Böcke geschossen, wovon der Spitzname „Zensursula“ ein
beredtes Zeugnis abgibt. Warf mit ihren Äußerungen zum angeblichen
Haltungsproblem der Bundeswehr im Glashaus sitzend mit Steinen. Darf sich nur
deshalb Hoffnungen auf eine Weiterverwendung im Bundeskabinett machen, weil
Merkel ihre schützende Hand über sie hält. Unter meritokratischen
Gesichtspunkten ist eine Betrauung der promovierten Medizinerin mit einem hohen
Staatsamt nicht zu rechtfertigen.
Katarina Barley: Ist
erst seit Juni 2017 Familienministerin und genießt deshalb noch Schonzeit. Hat
den Verfasser dieser Zeilen mit unerwartetem Sinn für Humor überrascht, als sie
sich beim heurigen Starkbieranstich am Nockherberg prächtig amüsierte. Dürfte etwas
weniger gesinnungslastig an die Sache herangehen als ihre inzwischen in die
mecklenburg-vorpommerische Staatskanzlei relegierte Amtsvorgängerin Manuela
Schwesig, weil mehr Ideologie als von dieser zur Schau gestellt schlechterdings
undenkbar ist.
Hermann Gröhe: In
puncto Medienpräsenz Maas’ Antipode. Ist als Gesundheitspolitiker keineswegs
untätig, wenngleich er nicht mit dem großen Reformprojekt aufwartet. Spielt
sich nie in den Vordergrund. Wird deshalb kaum wahrgenommen und würde dem
breiten Publikum nicht fehlen, wenn er der nächsten Bundesregierung nicht mehr
angehörte.
Alexander Dobrindt: Hatte
mit der Umsetzung des Maut-Versprechens seines Parteivorsitzenden allerhand zu
tun. Blieb aber sonst hinter den Erwartungen zurück. Hat als
CSU-Generalsekretär bewiesen, dass man als Diplomsoziologe nicht links und
nicht politisch korrekt sein muss. Wäre in einer Funktion, die seinen
polemischen Qualitäten entgegenkommt, besser aufgehoben als im Chefsessel eines
technokratischen Ministeriums.
Barbara Hendricks:
Betreibt ideologiegeladene Umweltpolitik, was aber nicht weiter auffällt, da in
Deutschland die genannte Begriffskombination pleonastisch ist. Bot keine
positiven Überraschungen. Steht wohl ganz oben auf der Streichliste, falls die
SPD der nächsten Bundesregierung angehört, aber weniger Minister stellen darf.
Johanna Wanka: Ist
von Beruf Mathematikprofessorin und von daher jedenfalls auf dem Papier eine
gute Besetzung für das Bildungs- und Forschungsministerium. Hat keine Fehler
begangen, die sie untragbar machen würden. Für Systemmängel im Schulwesen werden,
der föderalen Kompetenzverteilung entsprechend, ihre Kollegen auf Landesebene
abgestraft.
Gerd Müller: Hat
sich schon, bevor dies ab Herbst 2015 zum Gemeinplatz wurde, die Bekämpfung der
Migrationsursachen auf die Fahnen geschrieben. Weist dabei regelmäßig auch auf
die Verantwortlichkeit der Herkunftsländer hin. Nennt immer wieder
besorgniserregende Zahlen für potenzielle Wanderungsbewegungen. Betont aber
auch, dass die wirtschaftliche Entwicklung in den betroffenen Staaten ökosozial
verlaufen müsse, was je nach konkreter Ausgestaltung den Aufbruch Afrikas doch
erheblich behindern würde. Dürfte aufgrund dieser Position für
Koalitionspartner aus dem linken Spektrum erträglich sein.
Noricus
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