22. August 2017

Aus der Schwalbenperspektive (13): Spottdrosselgezwitscher zum Bundesliga-Saisonauftakt

Es ist angepfiffen: Die Bundesliga-Saison 2017/2018 hat begonnen. Der Sinn des Lebens, ja das Leben selbst ist zurück, und zwar mit seinen kleinen Alltagsfreuden, als da insbesondere wären: Verschwörungstheorien, die Diversity-Frage und die gute, alte Kapitalismuskritik.

Es gibt ein Aug, das alles sieht, und wenns fernab des Schiedsrichters geschieht - nun auch in der Bundesliga. Die Rede ist vom sogenannten Video-Assistenten. Dieser wird in der angelaufenen Spielzeit zum ersten Mal im heimischen Kicker-Oberhaus verwendet. Nein, ein Big Brother ist das nicht, auch kein Leviathan, denn zum einen darf der in Köln stationierte Bildschirm-Referee nur in eng umrissenen Situationen tätig werden, und die endgültige Wahrheitsfindung liegt bei den Pfeifenmännern (oder der Pfeifenfrau, Singular gerechtfertigt, dazu gleich mehr) auf dem Platz.
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Die versprochene Verschwörungstheorie müssen wir uns schon aus anderen Materialien basteln: Welcher Club, liebe Leser, glauben Sie, hat als Erster von dem großen Spähangriff auf das grüne Rechteck profitiert? Hannover 96? Nein. Der FC Augsburg? Wo denken Sie hin?! Die TSG 1899 Hoffenheim? Jetzt aber! Setzen Sie bitte Ihren Aluhut auf. Stellen Sie sich die alles entscheidende Frage: Cui bono? Der erste Nutznießer der technischen Innovation war natürlich - der FC Bayern München. Nach dem Bayern-Dusel und dem Bayern-Bonus nun auch noch die Bayern-Elektronik. Glauben die da oben wirklich, dass wir uns so leicht für dumm verkaufen lassen, zumal das ganze Gedöns bei einigen der Samstagsbegegnungen jedenfalls zeitweise nicht funktioniert hat?

Aber nicht nur das Kamera-Objektiv verstärkt den Schiedsrichterstand ab dieser Saison. Nein, zum ersten Mal darf eine Frau, nämlich Bibiana Steinhaus, Partien in der Herren-Bundesliga leiten. Das ist für den Männerfußball, der neben dem Bierzelt eines der letzten sozial akzeptierten Refugien der toxic masculinity darstellt, schon ein beachtlicher Fortschritt. Jedenfalls im Vorfeld ihres Einsatzes in der ersten Klasse des deutschen Balltretsports hat die Niedersächsin den Verfasser dieser Zeilen von ihrem humoristischen Potenzial überzeugt. Denn sie hat sich von Franck Ribérys Schuhbandl-Albernheit nicht provozieren lassen und ihm keinen Strick daraus gedreht. Der Verzicht auf eine gelbe Karte oder gar einen Platzverweis hat ihr freilich von anderer Seite Kritik eingetragen. Denn es wurde gemunkelt, dass Ribéry nur deshalb von einer Sanktion verschont blieb, weil er - wenn Sie es nicht wissen, ahnen Sie es - beim FC Bayern München spielt.

Doch bevor wir bei den Illuminaten oder den Bilderbergern landen, deren Macht das rollende Leder nicht aufhalten kann (Hinweis: Verschwörungstheoretiker outen sich beim Verständnis dieses Satzes durch ihre Zuordnung des Subjektes und des Objektes), sei noch kurz angemerkt, dass Jessy Wellmer ihren ersten Auftritt als Sportschau-Moderatorin ohne Schalke-05-verdächtige Pannen über die Bühne gebracht hat. Der Verfasser dieser Zeilen hat die Herren Bommes, Delling und Opdenhövel aber allein schon deshalb nicht vermisst, weil es für ihn, solange sich die Erde dreht, ohnehin nur einen, den einen Mister Sportschau geben kann: Heribert Faßbender.

Die an Lenzen reiferen Leser dieses Blogs erinnern sich vielleicht noch an die Weltmeisterschaft 1990, als Rudi Völlers Chancenverwertung im Match gegen die Vereinigten Arabischen Emirate sehr viel Luft nach oben ließ, was der WDR-Mann mit den Worten "So wirst du noch zum Ehrenbürger von Abu Dhabi!" kommentierte. Ach ja, wird sich der eine oder andere traditionalistische Fan denken: Wenn die Scheichs vom Golf doch nur solche protokollarischen Honneurs und nicht ihre Petrodollars verteilen würden, dann, ja dann, wäre in meinem Fußball wieder alles in Ordnung.

Womit wir schon beim nächsten Thema wären: Wie von den Medien sattsam berichtet, wurde der Mythos Neymar mit freundlicher Unterstützung morgenländischer Geldbörsen von Barcelona nach Paris entrückt. Der katalanische Renommierverein ist nun um ein paar Fantastillionen reicher, jedoch um einen Schlüsselspieler ärmer. Was liegt da näher, als nach Ersatz für den nach Lutetia Abgewanderten zu fahnden? Bei ihrer Suche nach dem neuen Superstar machten die Unterhändler von der Mittelmeerküste auch in Dortmund Halt und zeigten auf Ousmane Dembélé. Der möchte gern ab in den Süden und blieb deshalb einer Trainingseinheit seines Arbeitgebers unentschuldigt fern. Die Westfalen stehen dagegen auf dem Standpunkt, dass jeder Fuß seinen Preis hat, und wollen den talentierten Franzosen deshalb nur aus seinem Vertrag entlassen, wenn die Ablösesumme ihren Vorstellungen entspricht.

Sine ira et studio könnte man sagen: Es geht um nicht ganz wenige Euronen und deshalb wird mit betonharten Bandagen gekämpft. (Der BVB scheint nach heutigem Stand Oberwasser zu haben.) Aber in Deutschland bleibt es natürlich nicht bei derart superfiziellen Betrachtungen. Wir streben in die Tiefe, zum Grundsätzlichen. Und da wird - je nach Lesart - die GmbH & Co. KGaA dafür kritisiert, dass sie wegen des Geldes einen jungen Mann am Karrieresprung hindert, oder dem wechselwilligen Athleten vorgehalten, dass er nur noch Euro-Zeichen in den Augen hat und deshalb das Prinzip der Vertragstreue mit Stollenschuhen tritt. Wenn man sich wenigstens darauf einigen kann, dass der Kapitalismus an allem schuld ist, dann, ja dann, ist zumindest in der kleinen Welt des Verfassers dieser Zeilen wieder alles in Ordnung.

Noricus

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