21. August 2017

许巍 - 蓝莲花. "Der blaue Lotus" (2002)

许巍 - 蓝莲花

Xu Wei - "Der blaue Lotus" (Lán liánhuā, 2002)



沒有什麼能夠阻擋
你對自由的嚮往
天馬行空的生涯
你的心了無牽掛

穿過幽暗的歲月
也曾感到彷徨
當你低頭地瞬間
才發覺腳下的路

心中那自由地世界
如此的清澈高遠
盛開著永不凋零
藍蓮花

Nichts konnte jemals
Deine Sehnsucht nach Freiheit zähmen
Du hast alle Fesseln abgeschüttelt - 
Du hast dein Herz an nichts gebunden.

Du hattest den Weg verloren
Auf deiner Bahn durch das Dunkel
Doch sobald du nach unten geschaut hast
Hast du den Weg unter deinen Füßen entdeckt.

In der grenzenlosen Welt in deinem Herzen
Blüht auf ewig, rein und klar
Nie verwelkend, nie vergehend
Der blaue Lotus.

xīnzhōng nà zìyóu de shìjiè
rúcǐ de qīngchè gāo yuǎn
shèng kāizhe yǒng bù diāo líng
lán liánhuā


Es bleibt ein kleines, letztlich unergründliches Geheimnis der Populärmusik der letzten 100 Jahre, warum gerade jenes musikalische Idiom, das die größte internationale Wirkung erzielt hat, das in die Zuhörer kultur- und sprachübergreifend in seinen Bann geschlagen hat und Generation um Generation in ihrer Jugend geprägt hat, also die Rockmusik, dieses allein auf Englisch zuwege gebracht hat. Andere Idiome, in denen die Hymnen der Jugendlichkeit, der Rebellion, des street fighting man, des Rechts auf Jugendirresein, der existentiellen Bodenlosigkeit und des schrankenlosen Hedonismus besungen wurden, haben den Hautgout des Peinlichen nie wirklich hinter sich lassen können: ob nun bei einem Johnny Hallyday, im Geröhre eine Gianna Nannini oder, als flächendeckende Gelegenheit zum Fremdschämen, im nuschelnden Geknödel des Krautrock. (Dessen Protagonisten hiermit daran erinnert seien, daß es noch andere Noten außerhalb des eingestrichenen b gibt, in denen man schlecht gezimmerte Texte nölen kann.) Andere Popularausformungen synkopierten Lärms zeigen diese Transportschwäche nicht, vor allem die Tonsprachen des Jazz, auch wo sie mit Gesang unterlegt werden, unterlagen in der Regel keinem heftigeren Fremdschämfaktor als den Originalproduktionen, ob nun vom Englischen in andere Zungen transponiert oder aus ihnen exportiert.

Ausnahmen bestätigen die Regel. So gibt es auch im Chinesischen, das sich bei Übernahmen auf diesem Segment als noch widerständiger erweist als andere Sprachen (was ebenfalls bei anderen Gattungen nicht der Fall ist, von der durchgängigen Unterfütterung der Schlager der 1950er und frühen 1960er Jahre durch Calypso-Rhythmen bis zu den melancholischen Gitarrenballaden der späteren Singer-Songwriter wie Chen Yan, Lan Yin oder Chung Kun Huang), durchaus Künstler, die dergleichen zu Gehör bringen können, ohne, um eine höchst unpassende, aber im Metier beliebte Kategorie zu verwenden, "unauthentisch" zu wirken. Dazu zählen etwa Xie Tian Xiao oder Chyi Chin (齊秦), dem jüngeren Bruder von Chyi Yu, denen beiden in diesem Blog bereits ein Eintrag gewidmet wurde. Und dazu zählt auch 许巍, Xu Wei, 1968 in Xi'an geboren und seit 1986 als Musiker tätig. Das Lied vom Blauen Lotus stammt von seinem 2002 erschienenen Album 时光·漫步, shíguāng mànbù, "Zeitreise" (wobei ·漫步 keine "Reise" meint, sondern nur einen "Bummel", einen "Ausflug" oder "Spaziergang"), das er nach einigen Jahren des Pausierens aufgenommen hatte - nicht aufgrund von Zusammenstößen mit der offiziellen Zensur, sondern weil ihm in den Jahren nach 1989 die eigene Existenz als Protestsänger, als rebellischem Individualisten, sinnlos und als leere, weil wirkungslose Pose erschien. Die Fokussierung des Textes aufs "innere Exil", auf die Verabschiedung aus dem Öffentlichen können als politische Äußerung gelesen werden; sie müssen es nicht. Der Blaue Lotus ist ein klassisches Symbol des Buddhismus und des Hinduismus, er symbolisiert die dem Suchenden persönlich zuteil werdende Erleuchtung (die, darin liegt eine paradoxe Ironie, in der Auflösung der erkennenden Ichs und, nicht zuletzt im Zenbuddhismus, in die Sinnlosigkeit der Erkenntnis- und Erlösungssuche überhaupt mündet). Es handelt sich dabei um genau jene "blaue Blume", die im Werk der Jenaer Frühromantik der Brüder Schlegel und Novalis zu einem Symbol der unbestimmten Entgrenzung in die deutsche Literatur eingegangen ist. Diese Symbolik hat den Text dem Zugriff der Zensur als direkt politische Äußerung entzogen. (Ein nicht unübliches Verfahren unter solchen Bedingungen: im Brasilien der späten 1960er und frühen 1970er, in den Jahren der rigiden Militärdiktatur, wurde etwa Caetano Velosos "Alegria, alegria" - "Caminhando contra o vento. Sem lenço, sem documento. No sol de quase dezembro. Eu vou. O sol se reparte em crimes...": Gegen den Wind angehend, ohne Taschentuch, ohne Papiere, unter einer Sonne wie im Dezember... - zu einer solchen Widerstandsäußerung.) Seinen Fans ist diese Dimension nicht entgangen: auf jedem Konzert finden sich viele Zuhörer mit einer kleinen blauen Schleife am Revers oder am Ärmel: sapienti sat. Mag auch das Schweigen, das verordnete, so vieles überdecken: wer zwischen den Zeilen lesen kann, weiß.

Wichtig erscheint, daß, wie im Fall Velosos, sich die Funktion eines solchen Lieds nicht auf die vermeintliche oder tatsächliche Protestnote beschränkt, sondern, ganz davon unabhängig, in eigenem Recht als musikalische Äußerung Bestand hat.

Als Zugabe: 西安家, Xī'ān jiā, "Xi'an, meine Heimat": eine so ungebrochene Hommage an seine Heimatstadt, wie sie etwa einem deutschen Rocksänger ohne Rückgriff auf die Verkleinerungsformen des Dialekts und des provinziell-bornierten schlicht nicht möglich wäre.

擁抱著親人的時候 多希望時間就停止
如今我對自己的故鄉 像來往匆匆的過客
我在遠方 很多的歲月
時常會想起你 這一刻的情景
此刻你的 每一個街道
你不由的光彩 你的繁華
我在遠方 很多的歲月
總是想你 給予我的一切
你給我的 每一次愛~情
有幸福有疼痛 讓我成長
守望天空 掠過的候鳥
又讓我想起你 這一刻的情景
此刻你的 每一個街道
在陽光照耀下 你的天空
我在遠方 很多的歲月
總是會想你 給予我的一切
你給我的 每一個夢想
在漂泊的歲月 讓我堅強

Zum letzten Mal meine Liebsten zum Abschied umarmt
Nur ein flüchtiger Moment in meiner Heimat...
Seit so vielen Jahren bin ich fort von ihr.
Und denke so oft an sie.
Jede Straße steht mir vor Augen
So lange bin ich schon fort
Immer wollte ich alles von dir
Und was erhielt ich? Deine Liebe.
Und der Schmerz bedeutet Glück.
Laß mich einen Augenblick an dich denken
Und jede Straße steht mir vor Augen
Im Sonnenlicht, das aus deinem Himmel strahlt.
So viele Jahre schon fort
Und du schenkst mir jeden Traum
Du leihst mir Stärke in den Jahren ohne Halt.






U.E.

© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.