5. März 2008

Marginalie: Frau Ypsilanti wirft Nebelkerzen. Und wie der "Wählerwille" der Hessen in Wahrheit lautet

Zu den Nebelkerzen, die im Augenblick von der hessischen SPD geworfen werden, um den Wortbruch der Kandidatin Ypsilanti zu kaschieren, gehört die Behauptung, ein Regierungswechsel entspreche dem "Wählerauftrag" oder dem "Wählerwillen". So zitierte gestern z.B. die taz Frau Ypsilanti:
Ypsilanti hingegen argumentierte, die SPD habe den Wählerauftrag, eine gerechtere Bildungspolitik, die Abschaffung der Studiengebühren und die Energiewende zu ermöglichen.
Und schon an einem Interview mit der FAS am vergangenen Wochenende hatte Ypsilanti gesagt:
Es gibt einen Wählerauftrag, der lautet, eine andere Politik in Hessen zu machen. (...) Es geht darum, den Wählerwillen umzusetzen.
Ich wundere mich, daß diese Desinformation - um kein deutlicheres Wort zu verwenden - nicht die Empörung hervorruft, die soviel Chuzpe doch eigentlich verdient.

Denn nicht nur hat bekanntlich die CDU mehr Stimmen erhalten als die SPD, sondern sofern man überhaupt von einem "Wählerauftrag" oder einem "Wählerwillen" sprechen kann, ist dieser eindeutig:

Die Wähler haben sich mit absoluter Mehrheit gegen eine rot- grüne Koalition ausgesprochen. Sie haben sich mit relativer Mehrheit für eine schwarz- gelbe Koalition ausgesprochen.

Wenn Sie, lieber Leser, das für unglaubhaft halten, dann sind Sie Opfer der Desinformation, die von der SPD und den ihr nahestehenden Medien verbreitet wird.



Vor den Wahlen gab es Aussagen aller vier im Landtag vertretenen Parteien, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig ließen:
  • Die CDU und die FDP erklärten, daß sie eine gemeinsame Regierung anstrebten. Die FDP versprach außerdem, nicht mit der SPD und den "Grünen" zu koalieren.

  • Die SPD und die "Grünen" erklärten, daß sie eine gemeinsame Regierung anstrebten. Für die SPD erklärte die Spitzenkandidatin Ypsilanti außerdem, daß es bei dem Nein zu Rot- Rot bleibe. Und zwar garantiert.
  • Die hessischen Wähler waren also von den Parteien präzise darüber in Kenntnis gesetzt worden, wo sie ihr Kreuz machen mußten, wenn sie eine bestimmte Regierung haben oder nicht haben wollten. Die Wähler wußten genau, wie sie ihrem jeweiligen "Wählerwillen" Ausdruck geben konnten:
  • Wer eine schwarzgelbe Regierung wollte, der mußte der CDU oder der FDP die Stimme geben, und keiner anderen Partei.

  • Wer eine rotgrüne Regierung wollte, der mußte für die SPD oder die "Grünen" stimmen, und für keine andere Partei.
  • Wer für keine dieser vier Parteien stimmte, der wollte nicht entscheiden, ob Rotgrün oder Schwarzgelb die Regierung stellen würden, sondern er wollte seinen Protest ausdrücken oder ein Zeichen für bestimmte themenbezogene Politik setzen; Tierschutz zum Beispiel, eine nationale Politik oder soziale Gerechtigkeit.

    Das tat, wie man es sich hier ansehen kann, fast jeder zehnte Wähler. Von den 9,5 Prozent, die solchen Parteien ihre Stimme gaben, die nicht für eine Beteiligung an der Regierung in Frage kamen, stimmten 1,9 Prozent rechtsextrem (NPD oder REP), 5,1 Prozent stimmten linksextrem ("Die Linke"). Die restlichen Stimmen verteilten sich auf kleine Parteien wie die Tierschutzpartei (0,6 Prozent) "Die Grauen" (0,2 Prozent) und "Die Violetten" (0,1 Prozent).



    Hat sich "der Wählerwille" nun für Rotgrün oder für Schwarzgelb entschieden? CDU und FDP bekamen zusammen 46,2 Prozent, SPD und Grüne zusammen 44,2 Prozent. Dabei bekam die CDU (36,8 Prozent) geringfügig mehr Stimmen als die SPD (36,7 Prozent) und die FDP deutlich mehr Stimmen (9,4 gegenüber 7,5 Prozent) als die "Grünen". Wahlen wurden schon mit einem knapperen Vorsprung gewonnen.

    Es reichte für Schwarzgelb allerdings nicht zu einer absoluten Mehrheit, weil "Die Linke" knapp den Sprung in den Landtag schaffte.

    Aber CDU und FDP haben eine relative Mehrheit gegenüber SPD und den "Grünen". Der "Wählerwille" hat insofern einer schwarzgelben und nicht einer rotgrünen Koalition den Auftrag zum Regieren erteilt. Jedenfalls entspräche die erstere mehr dem Wählerwillen als die letztere.

    Einen "Wählerauftrag", eine rotgrüne Regierung zu bilden, einen "Wählerwillen", der sich zugunsten einer Ministerpräsidentin Ypsilanti ausgesprochen hätte, gibt es also nicht. Das sind Erfindungen der SPD- Propaganda.

    Einer Propaganda, die offenbar so erfolgreich war, daß inzwischen viele Menschen glauben, Frau Ypsilanti hätte ein moralisches Recht darauf, sich entgegen ihrer Garantie von "Die Linke" mitwählen zu lassen, weil dies sozusagen nur das Wahlergebnis in die Tat umsetze.

    Ja, aber waren denn die Stimmen für "Die Linke" nicht, wie es Frau Ypsilanit immer wieder sagt, "Stimmen gegen Roland Koch"? Gewiß waren sie das. Wie auch die Stimmen für die NPD, für die Republikaner, für die Tierschutzpartei.

    Alle diese Stimmen für Parteien, die für keine Koalition in Frage kamen, waren Stimmen gegen Roland Koch. Ebenso waren es Stimmen gegen Andrea Ypsilanti.



    Es gibt eine einzige Konstruktion, mit der Andrea Ypsilanti aus dem "Wählerwillen" den Auftrag zur Regierungsbildung herleiten könnte: Wenn sie nämlich unterstellen würde, daß die Partei "Die Linke" gewählt wurde, weil deren Wähler bereits damals voraussetzten, daß sie damit die Bildung einer rotgrünen Regierung unterstützen würden. Wenn sie also der Garantie von Frau Ypsilanti schon bei der Wahl keinen Glauben geschenkt hätten.

    Mit anderen Worten: Frau Ypsilanti hat die Alternative, entweder entgegen dem Wählerwillen zu regieren oder sich auf einen Wählerwillen zu berufen, den es nur gegeben hätte, wenn man sie schon beim Gang zur Wahlurne für eine Lügnerin gehalten hätte.

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