Voyager 1 und 2 sind seit vier Jahrzehnten im All unterwegs, die eine aus Erdsicht nach Norden, die andre nach Süden. Sie legen täglich 1,4 Millionen Kilometer zurück. Ihre erste Aufgabe war die Erkundung der äußeren Planeten unseres Sonnensystems. Jetzt sind sie stumm unterwegs in die Unendlichkeit. Damit sie eines Tages andere Sonnen und Planeten mit einer eventuellen Zivilisation erreichen können, wurden sie als Botschafter ausgerüstet. Die Sonden haben eine 30 cm große Datenplatte aus vergoldetem Kupfer an Bord, die „Voyager Golden Records“. Was berichten sie von unserer Erde und was sagt das über uns?
Die Botschaften sollen 500 Millionen Jahre überdauern können, mit 16 2/3 Umdrehungen pro Minuten wären sie, so die eingravierte Bedienungsanleitung mit Beifügung von Gerät und Nadel, von den außerirdischen Findern abzuspielen: Über hundert analog gespeicherte Bilder von Planeten und Erde, aus der Biologie des Menschen, von Tieren, aus Sport, Bildung, Weinbau, Architektur, Technik…. Der Rest besteht aus Audiodaten: Grußbotschaften in 55 Sprachen, 27 Musikstücke von Bach bis zu den Beatles, menschliches Lachen, Hundegebell und das Geräusch eines Kusses. Zum 40. Jubiläum vertreibt das Technikportal BoingBoing diese Zusammenstellung.
Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass eine Intelligenz auf einem fernen Planeten die Platte nutzen wird und wir davon erfahren, denn unser Leben ist zu kurz, um Antworten zu empfangen. Interessanter an der Sache sind vielmehr die Absichten, die Wünsche, die uns Absendern zu den Botschaften veranlassten, und die Fragen, die wir zum Weltall haben.
Seit Pascal litten viele an dem Gefühl, wir seien allein im All, im Schweigen der Räume. Monod genügte der Zufall statt eines Schöpfers. Wir sind laut ihm nur Zigeuner am Rand eines Universums.
Der große Aufklärer und Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg notierte 1793 einen modern klingenden Gedanken zum Thema Schöpfer: „Wenn uns einmal ein höheres Wesen sagte wie die Welt entstanden sei, so möchte ich wohl wissen ob wir im Stande wären es zu verstehen. Ich glaube nicht. Von Entstehung würde schwerlich etwas vorkommen, denn das ist bloßer Anthropomorphismus. Es könnte gar wohl sein, daß es außer unserm Geist gar nichts gibt was unserem Begriff von Entstehung korrespondiert, sobald er nicht auf Relationen von Dingen gegen Dinge, sondern auf Gegenstände an sich angewendet wird.“ (Sudelbücher Heft K,18; Schriften und Briefe, Zweitausendeins Bd. I,842)
„Inzwischen ist uns der Gedanke vertraut geworden, dass wir auf einer Kugel hausen, die mit Geschossgeschwindigkeit in Raumestiefen fliegt, kosmischen Wirbeln zu“, liest man bei Ernst Jünger im Vorwort seines Tagebuchs „Stahlungen I“ im Zweiten Weltkrieg.
Als der Philosoph Günther Anders das berühmte Weinberg-Buch „The first three minutes“ gelesen hatte, schrieb er: „Und so was ist ein Nobelpreisträger! Zu glauben, die Existenz des Seienden aus dem Urknall ‚erklären‘ zu können! Wie bemerkenswert manche ihrer Funde mit allen ihren chromblitzenden Erkenntnisapparaten auch sein mögen – vermittels derer sie fähig sind, in Vergangenheit zurück zu lauschen, die Milliarden Lichtjahre von uns entfernt liegt – da sie sich nicht fragen, welche Gattung von Geschehen sie da untersuchen, wissen sie noch nicht einmal, wovon sie reden“ (Ketzereien, München: Beck 1982,63-64). Ihn schien die Kontingenz des Menschen („Kontingenzschock“ taufte er das Rätsel der Ich-Existenz) nicht aufzuregen: „Weder sind wir – ausgerechnet wir – die einzigen, noch befinden wir uns – ausgerechnet wir – in der Mitte des Seienden. Kein kosmischer Hahn würde, wenn wir verschwänden, nach uns krähen. Wann endlich wird der vorkopernikanische Größenwahn auch aus der Philosophie verschwinden?“ (86)
Aber er schrieb auch: „Was ich als Schreckbild vor mir sehe, ist der kahl und blind um die schwarze, weil ungesehene, Sonne rotierende Globus, der nicht mehr ‚Erde‘ heißen wird; der Zustand, in dem es niemanden mehr geben wird, der wüsste, dass es uns gegeben hat, und in dem unsere Millionen von Taten und Untaten, Werken, Schmerzen und Freuden nicht nur vergeblich, sondern nichtig gewesen sein werden. In diesem ‚negativen Futurum II‘: ‚Wir werden nicht gewesen sein‘ besteht mein Bild von der Hölle“ (286) Und in einem Nachwort: „Über die Unsinnigkeit, die Kategorie ‚Sinn‘ in einer entgotteten Welt blindlings weiterzuverwenden, habe ich mich in meiner Grabrede auf diesen Begriff (Antiquiertheit II,362ff.) ausgelassen“ (347).
Für ihn, der um seines religionskritischen Denkens als Jude und Philosoph willen als Atheist auftrat, haben die religiösen Menschen ein viel zu menschenähnliches Gottesbild. Solche Leute würden sich aus Stolz auf sich, so mahnt er, vor der Frage drücken, ob die anderen Kreaturen, z.B. die Tiere, eine Gottesvorstellung haben, und sie wichen der illusionslosen jüdischen Haltung aus, die den Tod als Tod anerkennt und kein Weiterleben der Seele in Aussicht stellt, aber diese: ob die Menschen ein Leben vor dem Tode gehabt hätten.
Auch der Schriftsteller Botho Strauß suchte in einem Büchlein den neuen „Weltbildsturz“ (Beginnlosigkeit, München-Wien: Hanser 1992,13) zu verarbeiten: „Nichts beginnt, alles schwebt und weilt. Steady state. Unter den astrophysikalischen Modellen der Gegenwart war ihm vor allem jenes ungeheuerlich geworden, das eine konstante Dichte des Raums annahm, eine zeitlose Neubildung von Materie, welche die Leere zwischen den auseinanderdriftenden Galaxien stetig auffüllte. Hier fand sich kein Platz mehr, weder für ein Nichts noch für ein aus dem Nichts Geschaffenes: der Anfang sei so, >Im Anfang<, nie geschaffen worden. So nicht? Wie denn? Aus bewegtem Immerdar. In Tupfern und Hupfern, blobs und hops, in Fluktuationen und Schleifen… Er war unfähig, einen solch umstürzenden Gedanken gleichgültig hinzunehmen“ (9).
Man könnte es auch so sehen: Wir sind der Beobachter. Unser Auge, unser Gehirn und unser Wille machen erst, dass es Licht gibt und Naturgesetze, den Zeitpfeil, Erkenntnisse und Informationen, die Sprache, die Begriffe. Wir wollen alles wissen. Wir kennen kein Tier, das zum Mond fliegen will. Der Mensch suchte sogar das Paradies, den Frieden und das Heilige, und – sich religionskritisch aufklärend – verwarf er zu Recht die unzureichenden Vorstellungen.
Ich selber kann mir kaum vorstellen, dass es außer uns kein Leben im All gibt, wenn schon hier die Erde einen so unbändigen Willen zum Leben zeigt. Es bedeutet für mich keine neuerliche Kränkung des Menschen, wenn es viele andere belebte Planeten gäbe. Die Entfernungen und die Zeiträume für eine Kommunikation sind so groß, dass wir allerdings schon jetzt in der Unwissenheit, wo nur unser Denken sich damit beschäftigt, zur Bescheidenheit gezwungen sind. Dass wir mit unserem Denken bis zu den ‚Rändern‘ des Weltalls in Sekunden reisen können, ist schon etwas Großes, Menschenwürdiges. Die Welt wird nicht sinnlos, weil eventuelle Signale fremder technischer Evolutionen uns nur in Jahrmillionen erreichen könnten.
Ich kann verstehen, warum heutige Theologen, so wie z. B. der Alttestamentler Fridolin Stier, in seinem Tagebuch (Vielleicht ist irgendwo Tag. Aufzeichnungen, Freiburg: Kerle 1981) klagen: „Seit Jahrmilliarden ‚spielt‘, unbekümmert um die Leiden seiner Kreaturen, der menschenfreundliche Gott mit Millionen von Sternen in abertausend Milchstraßen …“(137) Und: „Wenn unsere Geliebten total tot sind, dann hat sich auch Jesus von Nazareth in den Staub der Erde verkrümelt“(140).
Für mich als Theologen stellen sich weitere Fragen: Ist die Bibel sinnlos, weil sie mit der Menschheit sterben würde? Ist die Geschichte mit Gott dann zu Ende? Der Glaube, der Mensch und Jude Jesus habe die wahre Relation von Mensch und Gott gefunden und in Person dargestellt, endgültig tot? Was ist, wenn es auf anderen Planeten Menschenähnliche gibt, mit einer Freiheits- und Schuldgeschichte? Wenn es dort eine Erlösungs-Suche gibt, vielleicht sogar einen Erlöser, sozusagen einen zweiten Logos- und Geist-Träger? Und was nützt es, wenn wir uns nicht austauschen können?
„Schöpfung“ kann für eine heutige Theologie nicht mehr heißen, dass die Welt ‚gemacht‘ wurde, mit Gottes Händen, und nicht einmal: mit seinem Mund ins Sein ‚gerufen‘. Auch das ist noch viel zu anthropomorph vorgestellt und ausgedrückt. Schon Meister Eckhardt formulierte: „Ehe die Kreaturen waren, war Gott (noch) nicht >Gott<: er war vielmehr, was er war. Als die Kreaturen wurden und sie ihr geschaffenes Sein empfingen, da war Gott nicht in sich selber Gott, sondern in den Kreaturen war er Gott.“ Gott sei „ledig aller Dinge – und (eben) darum ist er alle Dinge“ (Mystische Traktate und Predigten, München: Diederichs 1999, 204, 206).
„Schöpfer“ bedeutet für Juden und Christen, Gott habe eine Beziehung zur Welt, zur Materie, zum Leben und zum Menschen, und diese Relation sei als Zu- und Miteinander durchaus mit dem Wort Liebe am besten bezeichnet. Für Agnostiker kann man einen Aphorismus von Ludwig Friedrich Barthel (Am Fenster der Welt, Düsseldorf – Köln: Diederichs 1968,52) anführen: „Selbst wenn es uns gelänge, die Welt in einer Gleichung auszudrücken, säßen wir noch im Dunkeln; es wäre nur ein immer wunderbareres Dunkel.“
© Ludwig Weimer. Für Kommentare bitte hier klicken.