30. Januar 2009

Zitat des Tages: Aufregung über "alte Zeitungen". Schadet es den heutigen Deutschen, den "Völkischen Beobachter" von vor 75 Jahren zu lesen?

In any other country, facsimile editions of old newspapers would be unlikely to cause much of a stir.

(In jedem anderen Land würden Faksimile-Ausgaben von alten Zeitungen wohl nicht viel Aufregung hervorrufen).

Das amerikanische Nachrichtenmagazin Time am 14. Januar 2009.

Kommentar: Kein ganz taufrisches Zitat also; aber doch ein aktuelles. Es geht - Sie werden es vermutet haben - um das Magazin "Zeitungszeugen".

Es ist seit Anfang des Jahres auch mit einer deutschen Ausgabe auf dem Markt, nachdem es bereits in acht anderen Ländern mit seinem Konzept erfolgreich war: Zeitungen aus politisch besonders kritischen Zeiten im Faksimile nachzudrucken, die jeweils verschiedene politische Richtungen repräsentieren; dazu als "Mantel" Seiten mit Kommentaren und Erläuterungen von Fachhistorikern.

Das Magazin erscheint mit dieser neuen deutschen Ausgabe donnerstags. Die Story im Time Magazine bezog sich auf die Ausgabe von vor vierzehn Tagen. Damals also gab es die in dem Artikel genannte "Aufregung".

Die Ausgabe von vergangener Woche bewirkte nicht nur Aufregung; sondern diesmal schwärmten gleich Scharen von Polizisten aus, um das Heft an den Kiosken und in den Buchhandlungen zu beschlagnahmen. Angeordnet hatte dies das Amtsgericht München aufgrund einer Strafanzeige der Bayerischen Landesregierung.

Nachdem man dem britischen Verlag Verlag Albertas Limited auf diese Weise drastisch deutlich gemacht hatte, wie es heute mit der Pressefreiheit in Deutschland bestellt ist, verzichtete der Verlag in seiner aktuellen Ausgabe auf das Beilegen von Faksimiles.

Der Preis wurde deshalb auf einen Euro gesenkt, und auf der Titelseite - Heftthema: "Das Ende der Demokratie" - steht in dicken roten Lettern: "zensiert".



Gut, eine bessere Reklame hätte sich der Verleger Peter McGee vermutlich nicht wünschen können. Freilich konnte man das deutsche Ansehen im Ausland auch kaum mit so geringen Mitteln so nachhaltig schädigen, wie das dem Freistaat Bayern gelungen ist, indem er diese absurde Polizeiaktion vor einer Woche auslöste.

Mit welcher Begründung? Das konnte man zum Beispiel in der gestrigen "Welt" nachlesen. Danach geht der Freistaat offenbar gleich auf drei Angriffslinien gegen "Zeitungszeugen" vor.

Erstens beruft er sich, so die "Welt", "auf die Verletzung des persönliches Urheberrechts von Adolf Hitler und Joseph Goebbels, die als Herausgeber von 'Völkischem Beobachter' und 'Angriff' fungiert hatten."

Die Regierung des Landes Bayern ausgerechnet als Sachwalter des Urheberrechts von zwei Nazi- Verbrechern!

Hintergrund ist der Umstand, daß nach dem Krieg die Rechte des Verlags Franz Eher auf das Land Bayern übergegangen sind. In diesem Verlag war unter anderem, neben zum Beispiel "Mein Kampf", auch der "Völkische Beobachter" erschienen. Nun hockt der Staat Bayern also auf diesem Urheberrecht, das er aparterweise dazu verwendet, die Verbreitung der betreffenden Texte zu unterbinden. Ob das im Sinn des Urheberrechts ist, wäre wohl gerichtlich zu klären.

Zum zweiten nennt die "Welt" als Grundlage für die jetzige Aktion einen "1945/46 von der damaligen US- Besatzungsregierung erteilte(n) Auftrag, die Verbreitung von Nazi- Propaganda mit juristischen Mitteln zu unterbinden."

Einen Auftrag von 1945/46, erteilt zwar nicht von einer "Besatzungsregierung" (die es nicht gab), aber von der US- Militärregierung! Auch das vermutlich ein Leckerbissen für Juristen.

Und da nach Ansicht der Bayerischen Staatsregierung offenbar dreimal genäht am besten hält, wird noch eine weitere Begründung angehängt.Wieder aus der "Welt" zitiert:

"Nach Verlautbarungen des bayerischen Justizministeriums wird gegen McGee auch wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen ermittelt."



Mögen die Juristen das so fachgerecht zerpflücken, wie es sich gehört; mögen sie diesem Irrwitz mit ihren Mitteln und ihrem Wissen zu Leibe rücken. Ich begnüge mich, was das Juristische angeht, damit, auf den Blog "Internet-Law" und neben dem zitierten Artikel in der gestrigen "Welt" auf den sachkundigen Beitrag von Marc Felix Serrao in der "Süddeutschen Zeitung" aufmerksam zu machen.

Was aber das Politische angeht, scheinen mir kräftige Worte angebracht zu sein.

Die Entscheidung des Regierung des Freitstaats Bayern, mit dem Hammer der Zensur draufzuhauen, war eine politische und nicht nur eine juristische Entscheidung. Nichts hatte sie dazu gezwungen, von dem ihr übertragenen Urheberrecht auf diese Art Gebrauch zu machen; nichts zwang sie dazu, das Verbot der Verwendung nationalsozialistischer Symbole in dieser extensiven Weise auszulegen.

Zur Rechtfertigung ihres Vorgehens soll die bayerische Regierung geäußert haben, sie wolle damit "die noch lebenden Opfer des Holocaust verschonen und die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankengutes verhindern."

Ich hoffe, daß nicht "verschonen" gesagt wurde, sondern "schonen".

Aber niemand ist doch verpflichtet, eine Nummer von "Zeitzeugen" zu kaufen und zu lesen, wenn er - wofür ich jedes Verständnis habe - nicht an die damalige Zeit erinnert werden will, die er möglicherweise als Opfer erlebt hat. Es sind ja auch Dokumentarfilme über diese Zeit auf dem Markt; die sicherlich noch lebhaftere Erinnerungen auslösen können.

Man darf Opfern unter keinen Umständen solches Material aufdrängen. Aber sie sind doch als mündige Menschen selbst in der Lage, zu entscheiden, ob sie sich damit konfrontieren wollen oder nicht.

Und "Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts?" Wie will man denn die Ideologie der Nazis diskutieren, ohne sie zu "verbreiten", nämlich der kritischen Lektüre zugänglich zu machen? Wie soll denn die heutige Generation ein realistisches Bild von dieser Zeit bekommen, wenn man ihr die Dokumente aus dieser Zeit vorenthält?

Das ist nicht nur obrigkeitsstaatliches Denken. Es ist freiheitsfeindliches Denken.



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