23. September 2008

Zettels Meckerecke: Faszination Literatur? Für wie schwachsinnig die "Zeit" potentielle Leser hält

Heute hatte ich in meiner Mailbox Post von der "Zeit". Betreff: "Faszination Literatur - Die große ZEIT- Umfrage".

Literatur fasziniert mich. Der "Zeit" will ich alles Gute, schon wegen des Kreuzworträtsels. Also beschloß ich, nachdem ich die Betreffzeile gelesen hatte, der Redaktion den Gefallen zu tun und mich an der Umfrage zu beteiligen.

Zunächst wurde ich allerdings nicht gefragt, sondern informiert: Darüber, daß es demnächst ein "ZEIT- Literaturmagazin" geben soll; kostenlos der "Zeit" beigelegt. Fein. Sehr schön. Alles, was der Verbreitung von Literatur dient, hat meine freudige Zustimmung.

Also war ich, als ich das gelesen hatte, auch empfänglich für das, was dann kam:
Damit wir im neuen Literaturmagazin der ZEIT noch besser auf unsere Leser eingehen können, habe ich heute eine kleine Bitte an Sie: Verraten Sie mir, was Literatur für Sie persönlich bedeutet. Machen Sie mit bei unserer großen ZEIT-Umfrage »Faszination Literatur«.
Ja, gerne doch, dachte ich. Eine "große Umfrage", das wird wohl ein bißchen Zeit brauchen. Aber die will ich gern daran wenden, zu Protokoll zu geben, was Literatur für mich persönlich bedeutet.

Die Zeit will ich schon aufbringen, meine Meinung über heutige Autoren zu äußern, über vernachlässigte Moderne und Klassiker, über gute und schlechte Übersetzungen, über die seltsamen Werke an der Spitze der Bestseller- Listen.

Erst einmal mußte ich nun, logischerweise, in meiner Mail weiterklicken, denn meine Antworten sollten ja irgendwo auf einer Website aufgenommen werden.

Dafür nun hatte ich zwei Schaltflächen zur Auswahl: "Weiter für Abonnenten" und "Weiter für alle anderen Interessenten".

Hm, dachte ich. Aber nun gut, es ist nichts Unkeusches, wenn die Literaturredaktion der "Zeit" wissen möchte, ob sich die Meinung von Abonnenten von derjenigen anderer unterscheidet.

Nun haben wir zwar die "Zeit" abonniert. Aber natürlich hatte ich die Abonnenten- Nummer nicht parat, und da ich erwartete, nach ihr gefragt zu werden, klickte ich lieber auf "andere Interessenten".



Damit wurde ich zu dem erwarteten Fragebogen geleitet.

Nein, nicht dem erwarteten. Sondern einem, der vermuten ließ, daß sich die Literaturredaktion der "Zeit" ihre Leser als Angehörige der bildungsfernen Schichten vorstellt.

Wieviele Bücher ich denn im Jahr lese, wollte man wissen (höchste Kategorie: "Mehr als 15"). Ob mir Informationen über das Leben eines Autors wichtig seien? Insgesamt ganze fünf (!) Fragen dieses Kalibers.

Nachdem ich mich zur "Leseförderung von Kindern und Jugendlichen" geäußert hatte, war ich bei einer neuen Schaltfläche angekommen: "Weiter zu Ihrem Dankeschön".

Nanu, dachte ich, für diese lächerliche Leistung, auf fünf dumme Fragen zu antworten, bekomme ich schon ein "Dankeschön"?

Aber egal, beherzt geklickt. Und wo landete ich? Sie ahnen es: Bei einem Bestellformular für ein Abonnement der "Zeit".



Zu Ehren der Literaturredaktion der "Zeit" sollte ich noch sagen, daß dieser unverschämte Schwachsinn, diese schwachsinnige Unverschämtheit nicht von ihr zu verantworten ist.

Als ich nämlich, nachdem ich mich genügend über diesen Versuch der Dummenfängerei geärgert hatte, zu meiner Mail zurückging, sah ich erst, wer mir denn da geschrieben hatte.

Nicht die Redaktion der "Zeit", nicht deren Literaturressort. Sondern Dr. Rainer Esser, Geschäftsführer.



Die "Zeit" hat Glück. Solange es dort das Kreuzworträtsel gibt, werde ich meine Frau nicht zu überzeugen versuchen, daß wir unser Abonnement kündigen sollten.



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