16. Februar 2014

Toleranz und Akzeptanz


In einer pluralistischen Gesellschaft ist es unvermeidlich, dass unterschiedliche Lebensentwürfe, Moralvorstellungen und Verhaltensweisen gleichsam ungebremst aufeinandertreffen. Der Respekt vor der Freiheit des Andersdenkenden erfordert in einem liberal verfassten Gemeinwesen vor allem Toleranz: Gewisse Zumutungen für das eigene Wertempfinden bleiben einem nicht erspart. Für unerträgliche Handlungsmuster (und idealerweise nur für diese) ist als Ultima Ratio das Strafrecht da.


Nicht gefordert werden kann dagegen, dass jemand alles akzeptiert, was ein anderer tut und auch tun darf. Toleranz ist eine eher passive Einstellung, nämlich jene des Duldens, Hinnehmens und Nichteinschreitens, während Akzeptanz mit einer Bejahung, einem Gutfinden, einer Befürwortung, also einer aktiven Haltung verbunden ist.


In einem auf faz.net abrufbaren Feuilleton-Beitrag vertritt nun Stefan Niggemeier die Ansicht, dass bloße Toleranz gegenüber Homo-, Trans- und Intersexualität zu wenig, ja eine Beleidigung sei, und das Ziel nur die Akzeptanz dieser Sachverhalte sein könne. Meines Erachtens stellt sich hier schon die grundlegende Frage, wie diese Akzeptanz mit freiheitlich-rechtsstaatlichen Mitteln hergestellt werden soll: Natürlich kann der Staat die Gesetze im Sinne einer vollumfänglichen Gleichstellung nichtheterosexueller Lebensentwürfe anpassen. Er kann schulische Lehrpläne dementsprechend modifizieren (wobei Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme nicht gleich mit dem Homophobievorwurf beantwortet werden sollten). Interessengruppen können für die gesellschaftliche Anerkennung von Lesben, Schwulen und Transsexuellen werben. Allein, ob sich dadurch auch wirklich in allen Köpfen die Überzeugung Bahn bricht, dass Nichtheterosexualität etwas völlig Normales sei, lässt sich nicht mit Sicherheit vorhersagen.
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Mit anderen Worten: Gesellschaftliche Akzeptanz lässt sich nicht erzwingen. Man hat darauf keinerlei moralischen (und schon gar keinen rechtlichen) Anspruch. Man kann vom anderen verlangen, in Ruhe gelassen zu werden. Zustimmung und Anerkennung sind hingegen kein tauglicher Gegenstand einer solchen Forderung. Niemand muss den Fleisch- oder Alkoholkonsum des anderen akzeptieren, er hat ihn jedoch zu tolerieren. Niemand muss es gut finden, dass manche erwachsenen Menschen ihre sexuelle Erfüllung in einem Swinger-Club suchen, er hat dies aber hinzunehmen. Niemand muss sogenannte Risikosportarten befürworten, er hat deren Ausübung durch andere indessen zu dulden.


Toleranz gegenüber Homo-, Trans- und Intersexuellen bezieht sich ja nicht nur auf die schiere Existenz dieser Identitäten, sondern auch auf den verständlichen Wunsch der betreffenden Personen, daraus kein Tabuthema machen zu müssen. Niggemeier schreibt, dass


die „Sichtbarkeit“ von Lesben, Schwulen, Trans- und Intersexuellen nicht nur Mittel zum Zweck der Emanzipation ist, sondern ihr Ziel.


Das ist nachvollziehbar. Aber ist es hierfür erforderlich, dass die Gesellschaft diese Sichtbarkeit akzeptiert, reicht Toleranz etwa nicht? Der Verfasser dieser Zeilen kann sich noch gut daran erinnern, dass es in der bayerischen Kleinstadt seiner Kindheit als sittlich durchaus grenzwertig galt, wenn sich (verschiedengeschlechtliche) Teenagerpärchen auf offener Straße küssten. Aber es wurde letztlich hingenommen. Heute sind solche Zurschaustellungen der gegenseitigen Verbundenheit kein Thema mehr. Vielleicht als Überbleibsel seiner katholisch-konservativen Prägung findet es der Verfasser dieser Zeilen immer noch unangemessen, wenn Menschen im öffentlichen Raum an ihrer Zuneigung zueinander keinerlei Zweifel lassen. Er akzeptiert diese Verhaltensweise also nicht, er toleriert sie aber selbstverständlich. Mehr zu verlangen wäre illiberal.


Weiters zitiert Niggemeier aus einem auf ZEIT-Online erschienenen Artikel des an der Humboldt-Universität Berlin forschenden und lehrenden Sozialpsychologen Ulrich Klocke, der den Leser rhetorisch fragt, ob diesem


schon mal aufgefallen [ist], wie oft Heterosexualität zur Schau gestellt wird? Paare, die händchenhaltend flanieren; Kolleginnen, die auf der Arbeit von ihrem Freund erzählen; Politiker, die auf Wahlplakaten mit Frau und Kindern posieren; Tanten, die ihren Neffen fragen, ob er schon eine Freundin hat.


Was hält Homosexuelle davon ab, Hand in Hand durch die Straßen zu gehen, am Arbeitsplatz von ihren Partnerinnen oder Partnern zu sprechen oder sich auf einem Wahlplakat mit ebendiesen abbilden zu lassen? (Wobei natürlich höchst fraglich ist, was Ehegesponse oder Lebensgefährten eines Politikers überhaupt auf einem Wahlplakat zu suchen haben.)

Klocke schreibt in dem bereits verlinkten Beitrag für ZEIT-Online:

Es reicht [zwecks Abbaus von Vorurteilen] meist, mit der eigenen sexuellen Identität so selbstverständlich umzugehen, wie Heterosexuelle das tun, sei es als Kollege am Arbeitsplatz, als Lehrerin, im Fußballverein oder in der Verwandtschaft.

Und vielleicht liegt ja gerade darin der Schlüssel für die Ausweitung der Toleranz oder deren Upgrade zur Akzeptanz: Wenn Lesben und Schwule auf die Frage, wie es denn privat bei ihnen aussehe, von ihrer Freundin beziehungsweise ihrem Freund erzählen; wenn Homosexuelle zu einem gesellschaftlichen Anlass mit einer gleichgeschlechtlichen Begleitung erscheinen; wenn Lesben oder Schwule ganz beiläufig kundtun, wie attraktiv sie doch eine ihrem eigenen Geschlecht zugehörige Person des öffentlichen Lebens finden. So selbstverständlich und mir nichts, dir nichts, wie Heterosexuelle das üblicherweise tun.
Noricus


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