6. Februar 2014

Divide et amprion!

Die wenigsten Menschen mögen gerne neue Stromleitungen.

Manche akzeptieren sie als notwendiges Übel, wie z. B. der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, der im Juni 2013 im Bundesrat dem Bundesbedarfsplanungsgesetz für den Netzausbau zugestimmt hat.

Andere halten sie für eine unnötige Belastung der Anwohner und lehnen sie deshalb ab.  Wie z. B. der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, der soeben ein "Moratorium" für neue Stromtrassen verkündet hat. 

Wie sagte schon der Kabarettist Bruno Jonas: "I mog an Herrn Seehofer, weil der hängt ned an seiner Meinung!"
Nach ziemlich wüsten Protesten auf den Dialogveranstaltung von Amprion zur geplanten Südost-Gleichstrompassage, bei der Bürger und Kommunalpolitiker ihn darum gebeten - man ist fast versucht zu sagen: "angerufen" - haben, ist er ihnen in seiner typischen Art, das Ohr nah an der Stimme des Volkes zu haben, zu Hilfe geeilt.

Und man mag sich ja wirklich - wie so oft - fragen, was ihn mal wieder geritten hat.
Die Reaktionen sind einhellig. "Energiepolitisches Chaos" schreibt die SZ, die Opposition wirft ihm Versagen bei der Energiewende vor oder gar  eine „schleichende(...) Rückkehr zur Atomkraft“, meldet der Tagesspiegel

Hat sich also der mit sonst so sicherem politischen Gespür agierende Seehofer hier mal wieder völlig vergaloppiert? Ich meine: ganz im Gegenteil.

Dass die bevorstehende Kommunalwahl einen Einfluss hat, ist auch oberflächlicheren Beobachtern aufgefallen - und dass in Bayern Parteientscheidungen und Regierungsentscheidungen so eng verwoben sind wie sonst nur in sozialistischen Volksrepubliken, spielt dabei auch eine Rolle.

Denn die geplanten Stromleitungen werden - das haben die tumultartigen Proteste bei den Amprion-Veranstaltungen in Nürnberg und Kulmbach gezeigt, ein wichtiges Wahlkampfthema. Gegen die Trasse zu sein ist, gerade in Franken, Schwaben und der Oberpfalz, wo sie verläuft, bei der momentan hochkochenden Stimmung erste Bürgermeisterpflicht. Gleichzeitig werden dort Kommunalwahlen gerne gegen München gewonnen. So muss Seehofer sich an die Seite der CSU-Amtsträger und Kandidaten stellen, um einerseits die Geschlossenheit der Partei zu wahren und andererseits kein Wahlkampfhindernis für seine Parteifreunde zu sein.

So weit, so offensichtlich. Aber das reicht nicht, denn das letzte Beispiel für ein Moratorium, das schwarzgelbe Kraftwerksmoratorium 2011, ging ja wahlkampfmäßig in Baden-Württemberg ziemlich nach hinten los, eben weil es zu offensichtlich war.
Oder wie man in Bayern sagt, nicht "gschmeidig". Diese Geschmeidigkeit des seehoferschen Wahlkampf liegt in der Verknüpfung des Moratoriums mit der EEG-Reform

Dass das "Trassen-Moratorium" von der Substanz her eine ziemliche Luftnummer ist, liegt ja auf der Hand:
  1. Der Auslöser - die angebliche Nichtinformation der Staatskanzlei durch Amprion - ist fauler Budenzauber. Die Leitung steht im Netzentwicklungsplan seit 2012 und wurde im Bedarfsplan bestätigt. Bayern hat dem Bedarfsplan im Bundesrat zugestimmt.
    Schlussfolgerung: Der Horst weiß seit letztem Jahr genau, wo die Leitung verläuft und hat kein Problem damit.


  2. Laut dem von Bayern im Bundesrat mitgetragenen Gesetz geht bei länderübergreifenden Stromtrassen - wie der Südost-Gleichstrompassage - die Verfahrensführung auf die BNetzA über. Die Staatsregierung hat also kaum etwas mitzureden.
    Schlussfolgerung: Der Horst weiß, dass er die Trasse nicht verhindern kann.

  3. Der Begriff "Bedarfsplan" besagt ja genau, dass die Leitungen notwenidig sind, und das Argument, dass sich durch Gabriels ohnehin recht zaghafte EEG-Reformpläne an der "Geschäftsgrundlage" etwas ändere, überzeugt nicht. Denn zum Einen enthält der Bedarfsplan mehrere EE-Ausbauszenarien,  und zum Anderen war es im Juni 2013 schon abzusehen, dass die EEG-Deckelung in der nächsten Legislatur kommen wird.
    Schlussfolgerung: Der Horst weiß, dass die Trasse auch nach der EEG-Reform notwendig sein wird.
So fügt sich eins zum anderen. Das Moratorium verschafft Seehofer genug Zeit bis nach der Wahl. Dann wird sich zeigen, dass die Trasse ja doch notwendig ist, und schuld ist der Gabriel, der den Bürgern gegen den tapferen Widerstand des Horstes und seinen tapferen Kumpanen in den Rathäusern und Landratsämtern  die Aussicht verschand
elt.

Das politische Risiko ist gleich Null, weil der Ausgang vorhersehbar ist. Und  was die Häme angeht, die jetzt von Opposition und chattering class auf ihn einhagelt, kann er sich mit einem trösten: Dem Wissen, dass die allesamt über jedes Stöckchen springen, das der Horst ihnen hinhält. 

Seehofer wird oft so etwas wie "billiger, plumper Populismus" vorgeworfen. Wenn man diesen Schachzug betrachtet, muss man zur Überzeugung gelangen, dass die Behauptung genau zu einem Drittel stimmt...

Und zum Schluss noch eine gute Nachricht für die Freunde der Versorgungssicherheit: Das "Moratorium" wird - wenn meine Interpretation stimmt - dem Netzausbau auf lange Sicht eher nützen als schaden, denn es bringt einen schönen Nebeneffekt: Diejenigen, die die Energiewende propagieren, müssen schon aus politischer Gegnerschaft zu Seehofer den Leitungsbau vorantreiben. Die List der Vernunft!




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Meister Petz


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