1. Februar 2014

Der virtuelle Wutpetent

Auch nach dem vorzeitigen Ende der Petition »Raus mit Markus Lanz aus meinem Rundfunkbeitrag!« ist das Interesse an dem Thema ungebrochen: Josef Joffe hat als Journalist der »alten Schule« in der ZEIT zum Rundumschlag ausgeholt, Stefan Niggemeier hat daraufhin in seinem Blog eine Antwort auf der eher persönlichen Ebene verfasst.

Im Kern geht es um die Legitimität von Vergleichen: Darf man die Petition als Mobbing bezeichnen? Darf man die Petition mit einem griechischen Scherbengericht vergleichen? Darf man gar eine Parallele zu den Kampagnen der Nazis gegen die Juden ziehen?

Es scheint mir in der Sache völlig unangemessen, die Nazi-Keule und die Antisemitismus-Keule gegen die Petenten zu schwingen: Wir leben in einem freien Land. Der Moderator Markus Lanz hat von der Petition nicht ansatzweise solche Greueltaten zu befürchten, wie die jüdischen Bürger in den 1930er Jahren.

Ein allgemeiner Vergleich mit den Methoden totalitärer Systeme kann angemessen sein, ein Bezug zum Mobbing drängt sich geradezu auf. Bevor man über die Zulässigkeit von Vergleichen nachdenkt, erscheint es aber sinnvoll, sich einige Gedanken über die Angemessenheit der Petition zu machen.

Eine Petition ist ja nicht einfach nur eine Bitte, eine kollektive Meinungsäußerung oder ein öffentlichen Votum. Eine Petition richtet sich immer an einen Souverän, der die Macht und die Zuständigkeit hat, über eine bestimmte Angelegenheit zu entscheiden. Solche Instanzen sind in Deutschland unter anderem der Bundespräsident, der Bundestag und die Ministerpräsidenten der Länder.

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Gegenstand einer Petition an den Bundespräsidenten kann die Bitte um Begnadigung eines Strafgefangenen sein, der sehr lange im Gefängnis gesessen hat. In bekannten Petitionen an den Bundestag wandten sich die Petenten gegen die Vorratsdatenspeicherung oder sprachen sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus.


Bei der Petition an das ZDF ist nun erstens kein Souverän erkennbar: Der ZDF-Fernsehrat und der ZDF-Verwaltungsrat sind zwar demokratisch legitimiert und könnten somit Adressaten einer Petition sein. Beide haben aber nicht das Recht, den Vertrag mit einem Moderator zu kündigen.

Zweitens ist auch kein sinnvolles Anliegen erkennbar. In der Petition wird Unbehagen formuliert und es wird eine Forderung aufgestellt, die völlig sinnfrei erscheint: Man kann als Außenstehender keine Kündigung erzwingen. Das ZDF hat die redaktionelle Freiheit, mit Moderatoren zusammenzuarbeiten oder die Zusammenarbeit mit ihnen zu beenden. Und das ist – unabhängig von persönlichen Sympathien oder Antipathien – auch gut so.

Drittens wäre es eine differenzierte Betrachtung wert, welche Moderatorin oder welcher Moderator einer Talkshow in den letzten Jahren fehlerfrei geblieben ist. Wenn ich mich an die Kritiken in der Presse richtig erinnere, kann man das von niemandem behaupten. Alle werden manchmal gelobt und manchmal verrissen (ich sehe selten solche Sendungen, aber man kann sich ja als Feuilleton-Leser diesen Themen kaum entziehen).

Viertens ist der tatsächliche Umfang der Zustimmung zur Petition völlig offen: Es gibt keine wirksame Kontrolle, wer wessen Namen und persönliche Angaben auf der Petitionsseite hinterlässt. Also kann ein ausdauernder Wutpetent Dutzende Einträge vornehmen, ohne damit ein Risiko einzugehen.

Dieser virtuelle Wutpetent scheint mir der jüngere Bruder des Wutbürgers zu sein. Der Wutpetent gibt sich nicht mit differenzierten Betrachtungen zum Medienrecht oder zum Petitionsrecht ab, sondern er klickt so oft, bis er seinen Willen bekommt oder bis der Zeigefinger angeschwollen ist. Im Grunde verhält er sich wie ein Rumpelstilzchen der Netzwelt.

Das scheint nun auch die Initiatorin der Petition gemerkt zu haben: Sie zieht ihre Petition nach zwei Wochen Laufzeit vorzeitig zurück. Es wird nicht ganz klar, warum sie sich dafür entschieden hat. Einerseits beharrt sie darauf, mit ihrem Anliegen recht behalten zu haben. Andererseits schiebt sie eine etwas merkwürdig klingende Entschuldigung hinterher:

Ich bedanke mich herzlich für die vielen Zuschriften und Sympathiebekundungen - aber auch für die geharnischte Kritik, die ich einstecken musste. Schließlich wurde ein Mensch Gegenstand einer Empörungswelle, welcher sich bis dato nur mit Beschwerdebriefen, beleidigten Superstars und Quotenproblemen auseinander setzen musste.

Entschuldigen möchte ich mich auch bei allen Menschen, deren Gefühle ich mit meiner Petition verletzt haben sollte. Ich bin nicht aus Böswilligkeit gegen die Person Lanz vorgegangen, sondern wollte lediglich eine längst überfällige Debatte anstoßen.

Überzeugend klingen diese Sätze noch nicht, aber es sind erste Ansätze einer Reflexion erkennbar. Vielleicht hätte sie sich diese Gedanken vor dem Einreichen der Petition und vor diesem Interview mit der »Huffington Post« machen sollen.


Das ZDF steht ja nicht zum ersten Mal mit einer Personalentscheidung im Brennpunkt. Eine stark umstrittene Entscheidung des ZDF-Verwaltungsrats fiel 2009 in der »Causa Brender«: Damals ging es um den Posten des Chefredakteurs, der vom Verwaltungsrat eingesetzt wird. Liberale, grüne und sozialdemokratische Politiker haben gemeinsam mit vielen Journalisten vehement gegen den Einfluss bestimmter CDU-Kreise auf das ZDF protestiert, aber in der entscheidenden Abstimmung gab es ein Patt und der Vertrag mit dem Chefredakteur Brender wurde nicht verlängert.

Der ZDF-Fernsehrat und der ZDF-Verwaltungsrat haben aber keinen Einfluss auf operative Entscheidungen der Chefredaktion des ZDF. An wen richtet sich also diese Petition? Der entscheidende Satz ist: »Ich fordere das ZDF daher auf, sich von Markus Lanz zu trennen.« Nachdem der ZDF-Fernsehrat und der ZDF-Verwaltungsrat keine Kompetenz für solche Entscheidungen besitzen, muss wohl die Chefredaktion gemeint sein.

Verfolgen wir die Idee der »Absetzung einer Sendung per Petition« einen kurzen Augenblick weiter: Vermutlich fühlen sich viele Zuschauer durch bestimmte Beiträge der heute-Show beleidigt, betroffen oder schlichtweg genervt. Möglicherweise kommt dabei auch eine sechsstellige Zahl von (ehemaligen) Zuschauern der Sendung zusammen. Trotzdem darf eine Petition zur Absetzung der heute-Show in einem demokratischen Land mit freien Medien nicht zum Erfolg führen. Die redaktionelle Freiheit ist wichtiger als ein ungetrübtes Fernseh-Erlebnis für jeden einzelnen Zuschauer.


Die Aufforderung, den Vertrag des Moderators mit dem ZDF zu kündigen, ist ein gravierender Eingriff in die redaktionelle Freiheit. Das ZDF kann und darf auf diese Aufforderung nicht reagieren: Gäbe es den Unterzeichnern der Petition recht, dann käme das einem »Selbstmord aus Angst vor dem Tod« gleich. Dann wäre ein Präzedenzfall geschaffen, auf den sich viele weitere Wutpetenten beziehen würden.

Auch wenn alle Bürger zwangsweise den Rundfunkbeitrag entrichten müssen, ist das ZDF ihnen keine Rechenschaft über die Verträge mit Moderatoren schuldig. Es gibt im Sinne des Petitionsrechts keinen demokratisch legitimierten Empfänger der Petition und es gibt auch keinen Rechtsanspruch auf eine Bearbeitung des Anliegens beim ZDF. Das Werkzeug »Petition« wird drastisch entwertet, wenn man es ohne Beachtung der Formalitäten einsetzt.

Eine letzte Anmerkung: Der Rundfunkbeitrag ist eine von vielen Abgaben, die man als Bürger entrichten muss. Aber der Slogan »Raus mit Markus Lanz aus meinem Rundfunkbeitrag« ist einfach nur albern: Es wird niemand gezwungen, sich diese oder jene Sendung anzuschauen. Man wird auch mit noch so vielen Petitionen kein fehlerfreies Fernsehen erreichen – und erst recht kein Fernsehen, das jeden Zuschauer zufriedenstellt.

Stefanolix

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