15. November 2012

Aufruhr in Arabien (34): Vor einer israelischen Intervention im Gazastreifen? Hintergründe und mögliche Konsequenzen

Israel hat eine Militäraktion gegen die Hamas im Gazastreifen eingeleitet und zu deren Beginn einen tödlichen Angriff auf den Kommandeur ihrer Militärorganisation Izz al-Deen al-Qassam-Brigaden, Ahmed Dschabari, geführt.

Die Aktion steht im Zusammenhang mit verstärktem Raketenbeschuß israelischer Gebiete aus dem Gazastreifen heraus am letzten Wochenende. Die Hintergründe der sich jetzt abzeichnenden Eskalation reichen aber weiter.­ Wie meist bei Artikeln zum Nahen Osten stütze ich mich im folgenden auf Analysen von Stratfor.

Der "Arabische Frühling" und die mit ihm einhergehenden neuen, oft noch instabilen Machtverhältnisse im Nahen Osten haben sich auch auf die Hamas ausgewirkt, die den Gazastreifen beherrscht. Einerseits mußte sie sich von ihrem in Bedrängnis geratenen Schutzherrn Assad lösen. Andererseits wuchsen ihr neue Freunde zu: Ägypten und das Emirat Katar. Dadurch ist eine neue Machtkonstellation entstanden, zu der auch der Aufstieg der Moslembrüder in Jordanien und die wachsende Rolle der Türkei im Nahen Osten gehört.

Die Hamas, die ursprünglich ihr Hauptquartier im jordanischen Amman gehabt hatte, war dann nach Syrien umgezogen. Jetzt hat sie Damaskus verlassen. Als sunnitische Organisation kann sie sie sich nicht mehr von einem Assad-Regime protegieren lassen, gegen das sunnitische Aufständische kämpfen. Auch zum Iran, dem Verbündeten Assads, der sie mit Geld und Waffen unterstützt, geht die Hamas zunehmend auf Distanz. (Zur iranischen Unterstützung für die Hamas siehe Schlechte Nachrichten aus Israel; ZR vom 8. 4. 2011).

Aber die Abkehr von Assad und vom Iran kann die Hamas gut verkraften, denn sie findet verstärkt Unterstützung aus Ägypten und Katar.

In Ägypten regiert jetzt die Moslem-Bruderschaft, als deren Ableger die Hamas einst entstanden war. Zwar muß Morsi vorsichtig taktieren, weil er keinen Krieg mit Israel riskieren kann; aber andererseits genießt die Hamas bei den Moslembrüdern soviel Sympathie, daß ihnen Unterstützung aus Kairo sicher ist.

Auf die gestrige Militäraktion Israels hat Kairo entsprechend dieser Konstellation reagiert: Es hat seinen Botschafter aus Israel zurückgerufen, eine Sondersitzung des Sicherheitsrats beantragt und das Vorgehen Israels in einer Stellungnahme verurteilt. Aber die diplomatische Sprache dieser Stellungnahme - Tenor: Der Militärschlag sei nachteilig für die Stabilität in der Region - unterschied sich kaum von der Art, wie Mubaraks Regierung auf israelische Aktionen im Gazastreifen reagierte.

Das kleine, aber dank seiner immensen Öl- und Erdgasvorkommen reiche Katar versucht, in dem Umbruchs­prozeß im Nahen Osten seinen Einfluß auszubauen. Zur Hamas unterhält Katar seit langem gute Beziehungen. Ende Oktober besuchte der Emir von Katar, Hamad bin Khalifa al-Thani, als erstes ausländisches Staatsoberhaupt den Gazastreifen; eine entscheidende Aufwertung des Hamas-Regimes. Katar hat Interesse an einem Verbündeten in der Region und will zugleich die Hamas dabei unterstützen, sich vom Iran zu emanzipieren; der drohenden Großmacht, die Katar am Persischen Golf unmittelbar gegenüberliegt.



Zusammengenommen bedeutet diese Aufwertung durch sowohl Ägypten als auch Katar eine wesentliche Stärkung der Hamas. Sie hat die Chance, nicht länger als eine terroristische Organisation eingestuft zu werden (wie das beispielsweise die USA und die EU bisher noch tun), sondern zu einer anerkannten Kraft im Nahen Osten aufzusteigen; als die legitime Regierung des Gaza-Streifens.

An einem bewaffneten Konflikt mit Israel kann die Hamas derzeit somit eigentlich kein Interesse haben. Warum also der verstärkte Raketenbeschuß israelischer Siedlungen, der jetzt Israels militärischen Gegenschlag ausgelöst hat?

Es ist gut möglich, daß dahinter nicht die Hamas selbst steckt. Im Gazastreifen operieren andere bewaffnete Organisationen; beispielsweise eine "Al-Aksa-Märtyrer-Brigade Imad Mughniyah", die dem Umfeld der Hisbollah zugerechnet wird, und der "Palästinensische Islamische Dschihad" (PIJ) mit engen Verbindungen zum Iran.

Derartige Gruppen haben kein Interesse daran, daß die Hamas sich das Gesicht einer seriösen, anerkannten Regierung gibt. Wenn sie jetzt Israel provozieren, dann könnte das also durchaus auch gegen diese sich abzeichnende Wandlung der Hamas gerichtet sein; mit dem Ziel, sie wieder zu mehr Militanz zu zwingen.

Wie würde sich eine israelische militärische Intervention im Gazastreifen auf Ägypten auswirken? Sie würde, schrieb gestern Stratfor, das Regime Morsis unter immensen Druck setzen. Denn die ägyptischen Salafisten (sie erlangten bei den Wahlen 28 Prozent) würden eine scharfe Reaktion Ägyptens verlangen. Morsi wäre im Gefahr, bei den bevorstehenden Wahlen Stimmen an die Salafisten zu verlieren, wenn er zu moderat reagiert.

Auf dem Sinai operieren bewaffnete Gruppen von Dischihadisten, die durch eine israelische Operation gegen Gaza zu verstärkten Aktivitäten veranlaßt würden und dann auch mehr Unterstützung von Seiten der dortigen Beduinen erfahren dürften. Unruhen auf dem Sinai könnten wiederum das ägyptische Militär auf den Plan rufen, das Morsi noch keineswegs völlig entmachten konnte.

Auch die Situation in Jordanien sollte man im Auge behalten. Dort hat es gestern heftige Unruhen gegeben. Zwar ging es vordergründig um die gestiegenen Benzinpreise; aber König Abdullah sieht sich seit dem Umsturz in Ägypten einer immer mächtiger werdenen Moslem-Bruderschaft gegenüber. Auch dort könnte eine militärische Intervention Israels im Gazastreifen als Vorwand dienen, um die innenpolitischen Konflikte anzuheizen.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Großmoschee von Kairouan, Tunesien. Vom Autor Wotan unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0-Lizenz freigegeben. Bearbeitet. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier.