Wenn Sie diesen Artikel lesen, ist die Entscheidung möglicherweise schon gefallen. Nach Meldungen vom späten gestrigen Abend ist das israelische Kernkabinett - neun Minister - seit kurz vor Mitternacht in einer Dringlichkeitssitzung, die bis in die Morgenstunden dauern dürfte. Es wurde mitgeteilt, daß über einen möglichen Waffenstillstand entschieden werde; aber Stratfor schreibt, daß es ebenso um die Entscheidung zur Eröffnung des Bodenkriegs gehen könnte.
In der Tat liegt es nahe, diese beiden Entscheidungen eher als Optionen in einem einzigen Entscheidungsprozeß zu sehen: Entweder haben die Geheimverhandlungen mit der Hamas, die unter ägyptischer Vermittlung in Kairo geführt wurden, zu einem tragfähigen Entwurf für einen Waffenstillstand geführt. Oder Israel wird sehr wahrscheinlich keine andere Wahl haben, als sich für den Einsatz der bereitstehenden Bodentruppen zu entscheiden.
Truppen für eine mögliche Invasion stehen seit nunmehr vier Tagen in Bereitschaft an der Grenze zum Gazastreifen. Wie der israelische Botschafter in Washington, Michael Oren, am Montag sagte, ist die Planung für eine Invasion abgeschlossen. Am heutigen Dienstag tagt der Verteidigungsausschuß der Knesset, um über einen Antrag von Verteidigungsminister Ehud Barak zu entscheiden, weitere Reservisten einzuberufen. Alles deutet darauf hin, daß die Zeit jetzt reif für eine Entscheidung ist.
Die Entscheidung des Kabinetts dürfte nach einer Analyse, die Stratfor seinen Abonnenten kurz nach Mitternacht MEZ zugestellt hat, davon abhängen, zu welcher Beurteilung man bei der Frage der Raketen in den Händen der Terrororganisationen gelangt.
Dabei geht es um zwei Fragen:
Erstens: Gestern wurden keine Fajr-5-Raketen abgeschossen. Bedeutet dies, daß die beiden terroristischen Organisationen, die über sie verfügen - die Izz ad-Din al-Qassam-Brigaden der Hamas und die vom Iran kontrollierte PIJ - jetzt ihren Vorrat aufgebraucht haben, oder halten sie weitere Raketen in Reserve? Nur wenn Israel sicher sein kann, daß keine Fajr-5 mehr im Gaza-Streifen sind, kann ein Waffenstillstand in Betracht kommen.
Zweitens: Wie kann zuverlässig unterbunden werden, daß sich die Terroristen erneut diese Raketen aus dem Iran verschaffen (der nur allzu gern bereit wäre, sie zu liefern)? Sie können nur über die Grenze zwischen dem Gazastreifen und dem Sinai kommen, denn die Seeblockade Israels funktioniert. Aber diese Grenze zum Sinai kann Israel nicht selbst kontrollieren.
Auf eventuelle Zusicherungen der Terroristen ist selbstredend kein Verlaß. Eine Garantie, daß das Arsenal der Fajr-5 nicht erneut aufgefüllt wird, könnte allein Ägypten geben.
Aber will Ägypten das, und kann es dies überhaupt garantieren? Am Sonntag hat Stratfor die Diskussion innerhalb der ägyptischen Moslem-Bruderschaft des Präsidenten Mursi analysiert. Bis zum Sturz Mubaraks war sie eine islamistische Oppositionspartei. Jetzt ist sie an der Regierung und hat auch die nationalen Interessen Ägyptens im Auge.
Als islamistische Partei stehen die Moslembrüder auf der Seite der Hamas, die ja ein Ableger ihrer Bewegung ist. Als Regierungspartei müssen sie berücksichtigen, daß Ägypten von den USA finanziell abhängig ist und sich einen Krieg mit Israel nicht leisten kann.
Diese Ambivalenz hat dazu geführt, daß es in der ägyptischen Moslem-Bruderschaft zwei Fraktionen gibt. Die einen treten für eine uneingeschränkte Solidarität mit der Hamas ein. Die anderen - angeführt von dem stellvertretenden Parteiführer Khairat el-Shater, der kurzzeitig Präsidentschaftskandidat gewesen war - möchte auch das Verhältnis zu Israel in die Entscheidungen mit einbeziehen. Shater ist ein Pragmatiker, dessen Kandidatur mit dem damals noch regierenden Militär abgesprochen gewesen war; sie scheiterte dann aber an einer Vorstrafe (siehe Aufruhr in Arabien (27): Ab morgen wird der neue Präsident Ägyptens gewählt. Der Ausgang ist überraschend ungewiß; ZR vom 22. 5. 2012).
Die Position Präsident Mursis ist noch unbekannt. Aber selbst wenn er sich Shater anschließen sollte, ist kaum zu sehen, wie Ägypten zu Garantien betreffend die Fajr-5 in der Lage sein sollte, die dem Sicherheitsbedürfnis Israels genügen. Dabei geht es nicht nur um den politischen Willen, sondern auch dessen praktische Durchsetzbarkeit. Die Grenze am Sinai ist dank eines Tunnelsystems so löchrig, daß ihre Überwachung äußerst schwierig sein dürfte, selbst wenn die ägyptische Regierung das ernsthaft wollte.
Diese Faktoren machen es für Israel wenig attraktiv, sich auf ein durch Ägypten garantiertes Abkommen mit den Terroristen einzulassen.
Andererseits birgt eine Invasion mit Bodentruppen schwer kalkulierbare Risiken für Israel. Es geht nicht nur um Kosten und die Blutopfer, die ein solcher Schritt kosten würde, sondern auch um die internationale Reaktion in diesem Krieg, der wesentlich auch ein Propagandakrieg ist (siehe Terroristen gegen die IDF. Ein asymmetrischer Krieg im Medienzeitalter; ZR vom 19. 11. 2012).
Auch innenpolitische Faktoren spielen eine Rolle. In zwei Monaten wird in Israel gewählt. Die Jerusalem Post hat gestern eine Umfrage publiziert, nach der zwar 85 Prozent der Befragten die Luftschläge gegen die Raketenstellungen unterstützen, aber nur 25 Prozent sich für eine Bodenoffensive aussprechen (45 Prozent sind für eine Fortsetzung der Luftschläge, 22 Prozent für eine Waffenruhe). (Nebenbei: Die auch in der deutschen Presse und im deutschen Fernsehen geäußerte Vermutung, Netanyahu opfere Menschenleben für seine Wiederwahl, ist infam).
Der Ausgang der israelischen Kabinettsberatung dieser Nacht ist also ungewiß. Sicher erscheint nur, daß Israel keine Entscheidung treffen wird, die ein Fortbestehen der jetzigen Situation ermöglicht.
Wie skrupellos die Hamas und die PIJ gegenwärtig einen bewußten und gezielten Krieg gegen die Zivilbevölkerung führen, geht übrigens aus einer Analye der Raketenangriffe hervor, die gestern Stratfor vorgenommen hat. Danach sind diese zeitlich so eingerichtet, daß ein Maximum an Zivilisten getötet oder verletzt werden.
Deshalb finden kaum Angriffe in den Stunden statt, zu denen wenige Menschen auf den Straßen sind. Auch in die Mittagspause fallen weniger Angriffe. Die Kurzstreckenrakten, die eher ländliche Gegenden nahe der Grenze zum Gazastreifen treffen, werden dann abgeschossen, wenn die Menschen im Freien sind - in den Stunden vor und nach Mittag. Die Fajr-5, mit denen die Ballungszentren bei Tel Aviv und Jerusalem beschossen werden, schickt man kurz vor Sonnenuntergang los; jetzt im Spätherbst also zur Rush Hour, wenn die Menschen ihre Büros und Geschäfte verlassen haben und auf dem Nachhauseweg sind.
In der Tat liegt es nahe, diese beiden Entscheidungen eher als Optionen in einem einzigen Entscheidungsprozeß zu sehen: Entweder haben die Geheimverhandlungen mit der Hamas, die unter ägyptischer Vermittlung in Kairo geführt wurden, zu einem tragfähigen Entwurf für einen Waffenstillstand geführt. Oder Israel wird sehr wahrscheinlich keine andere Wahl haben, als sich für den Einsatz der bereitstehenden Bodentruppen zu entscheiden.
Truppen für eine mögliche Invasion stehen seit nunmehr vier Tagen in Bereitschaft an der Grenze zum Gazastreifen. Wie der israelische Botschafter in Washington, Michael Oren, am Montag sagte, ist die Planung für eine Invasion abgeschlossen. Am heutigen Dienstag tagt der Verteidigungsausschuß der Knesset, um über einen Antrag von Verteidigungsminister Ehud Barak zu entscheiden, weitere Reservisten einzuberufen. Alles deutet darauf hin, daß die Zeit jetzt reif für eine Entscheidung ist.
Die Entscheidung des Kabinetts dürfte nach einer Analyse, die Stratfor seinen Abonnenten kurz nach Mitternacht MEZ zugestellt hat, davon abhängen, zu welcher Beurteilung man bei der Frage der Raketen in den Händen der Terrororganisationen gelangt.
Dabei geht es um zwei Fragen:
Erstens: Gestern wurden keine Fajr-5-Raketen abgeschossen. Bedeutet dies, daß die beiden terroristischen Organisationen, die über sie verfügen - die Izz ad-Din al-Qassam-Brigaden der Hamas und die vom Iran kontrollierte PIJ - jetzt ihren Vorrat aufgebraucht haben, oder halten sie weitere Raketen in Reserve? Nur wenn Israel sicher sein kann, daß keine Fajr-5 mehr im Gaza-Streifen sind, kann ein Waffenstillstand in Betracht kommen.
Zweitens: Wie kann zuverlässig unterbunden werden, daß sich die Terroristen erneut diese Raketen aus dem Iran verschaffen (der nur allzu gern bereit wäre, sie zu liefern)? Sie können nur über die Grenze zwischen dem Gazastreifen und dem Sinai kommen, denn die Seeblockade Israels funktioniert. Aber diese Grenze zum Sinai kann Israel nicht selbst kontrollieren.
Auf eventuelle Zusicherungen der Terroristen ist selbstredend kein Verlaß. Eine Garantie, daß das Arsenal der Fajr-5 nicht erneut aufgefüllt wird, könnte allein Ägypten geben.
Aber will Ägypten das, und kann es dies überhaupt garantieren? Am Sonntag hat Stratfor die Diskussion innerhalb der ägyptischen Moslem-Bruderschaft des Präsidenten Mursi analysiert. Bis zum Sturz Mubaraks war sie eine islamistische Oppositionspartei. Jetzt ist sie an der Regierung und hat auch die nationalen Interessen Ägyptens im Auge.
Als islamistische Partei stehen die Moslembrüder auf der Seite der Hamas, die ja ein Ableger ihrer Bewegung ist. Als Regierungspartei müssen sie berücksichtigen, daß Ägypten von den USA finanziell abhängig ist und sich einen Krieg mit Israel nicht leisten kann.
Diese Ambivalenz hat dazu geführt, daß es in der ägyptischen Moslem-Bruderschaft zwei Fraktionen gibt. Die einen treten für eine uneingeschränkte Solidarität mit der Hamas ein. Die anderen - angeführt von dem stellvertretenden Parteiführer Khairat el-Shater, der kurzzeitig Präsidentschaftskandidat gewesen war - möchte auch das Verhältnis zu Israel in die Entscheidungen mit einbeziehen. Shater ist ein Pragmatiker, dessen Kandidatur mit dem damals noch regierenden Militär abgesprochen gewesen war; sie scheiterte dann aber an einer Vorstrafe (siehe Aufruhr in Arabien (27): Ab morgen wird der neue Präsident Ägyptens gewählt. Der Ausgang ist überraschend ungewiß; ZR vom 22. 5. 2012).
Die Position Präsident Mursis ist noch unbekannt. Aber selbst wenn er sich Shater anschließen sollte, ist kaum zu sehen, wie Ägypten zu Garantien betreffend die Fajr-5 in der Lage sein sollte, die dem Sicherheitsbedürfnis Israels genügen. Dabei geht es nicht nur um den politischen Willen, sondern auch dessen praktische Durchsetzbarkeit. Die Grenze am Sinai ist dank eines Tunnelsystems so löchrig, daß ihre Überwachung äußerst schwierig sein dürfte, selbst wenn die ägyptische Regierung das ernsthaft wollte.
Diese Faktoren machen es für Israel wenig attraktiv, sich auf ein durch Ägypten garantiertes Abkommen mit den Terroristen einzulassen.
Andererseits birgt eine Invasion mit Bodentruppen schwer kalkulierbare Risiken für Israel. Es geht nicht nur um Kosten und die Blutopfer, die ein solcher Schritt kosten würde, sondern auch um die internationale Reaktion in diesem Krieg, der wesentlich auch ein Propagandakrieg ist (siehe Terroristen gegen die IDF. Ein asymmetrischer Krieg im Medienzeitalter; ZR vom 19. 11. 2012).
Auch innenpolitische Faktoren spielen eine Rolle. In zwei Monaten wird in Israel gewählt. Die Jerusalem Post hat gestern eine Umfrage publiziert, nach der zwar 85 Prozent der Befragten die Luftschläge gegen die Raketenstellungen unterstützen, aber nur 25 Prozent sich für eine Bodenoffensive aussprechen (45 Prozent sind für eine Fortsetzung der Luftschläge, 22 Prozent für eine Waffenruhe). (Nebenbei: Die auch in der deutschen Presse und im deutschen Fernsehen geäußerte Vermutung, Netanyahu opfere Menschenleben für seine Wiederwahl, ist infam).
Der Ausgang der israelischen Kabinettsberatung dieser Nacht ist also ungewiß. Sicher erscheint nur, daß Israel keine Entscheidung treffen wird, die ein Fortbestehen der jetzigen Situation ermöglicht.
Wie skrupellos die Hamas und die PIJ gegenwärtig einen bewußten und gezielten Krieg gegen die Zivilbevölkerung führen, geht übrigens aus einer Analye der Raketenangriffe hervor, die gestern Stratfor vorgenommen hat. Danach sind diese zeitlich so eingerichtet, daß ein Maximum an Zivilisten getötet oder verletzt werden.
Deshalb finden kaum Angriffe in den Stunden statt, zu denen wenige Menschen auf den Straßen sind. Auch in die Mittagspause fallen weniger Angriffe. Die Kurzstreckenrakten, die eher ländliche Gegenden nahe der Grenze zum Gazastreifen treffen, werden dann abgeschossen, wenn die Menschen im Freien sind - in den Stunden vor und nach Mittag. Die Fajr-5, mit denen die Ballungszentren bei Tel Aviv und Jerusalem beschossen werden, schickt man kurz vor Sonnenuntergang los; jetzt im Spätherbst also zur Rush Hour, wenn die Menschen ihre Büros und Geschäfte verlassen haben und auf dem Nachhauseweg sind.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen der Serie "Krieg in Nahost" finden Sie hier. Titelvignette: Ein Plakat der Hamas, das einen Hamas-Terroristen und den gefangenen israelischen Soldaten Gilad Shalit zeigt; aufgenommen von Tom Spender am 22. Mai 2007 in Nablus. Freigegeben unter Creative Commons Attribution 2.0 Generic (CC BY 2.0)-Lizenz.