28. November 2012

Zettels Meckerecke: "Geschönter" Armutsbericht? Die SZ schreibt es, und alle beten es nach. Viel Lärm um Nichts

Der "Süddeutschen Zeitung" ist etwas zugespielt worden: Der erste Entwurf des Armutsberichts der Bundesregierung, wie er von Referenten im Arbeitsministerium erstellt worden war. Und siehe da - dieser Entwurf ist nicht identisch mit der Fassung, die am 21. November verabschiedet wurde und die nun den Verbänden zur Stellungnahme vorliegt.

Entwürfe haben das so an sich, daß sie nicht identisch sind mit der jeweiligen Endfassung. Es sind ja eben Entwürfe. "Der Entwurf wurde geändert" ist ungefähr so sehr eine Nachricht wie "Der Rohbau wurde vollendet".

Bei Regierungstexten, die mehrere Ressorts betreffen, wird in einem Ministerium ein Entwurf angefertigt; er geht den anderen Häusern zur Stellungnahme zu. Diese nehmen Stellung, und am Ende hat man logischerweise einen Text, in den diese Stellungnahmen eingeflossen sind. Die Änderungen können heftig sein, sie können geringfügig sein. Vielleicht wird ein Entwurf auch einmal unverändert durchgewunken. Aber das Ändern ist der Normalfall.



Das also ist beim Armutsbericht (Voller Name: "Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung") in diesem Jahr geschehen. in der heutigen SZ listet deren Berliner Redakteur Thomas Öchsner einige der Änderungen auf und faßt sie so zusammen:
Die Bundesregierung hat ihren Armuts- und Reichtums­bericht in einigen entscheidenden Passagen deutlich geglättet.
Gut. Just das ist eine der Aufgaben bei der Überarbeitung eines Entwurfs: Ihn zu glätten. Überflüssiges, Fragwürdiges zu streichen; Redundantes zusammenzufassen.

Im Vorspann zu Öchsners Artikel freilich heißt es:
Verwässert und verschleiert: Die Bundesregierung hat ihren Armutsbericht bewusst geschönt.
Nicht wahr, das klingt schon ganz anders. Und dieser Klang ist es, der seinen Widerhall bei den Kollegen fand.

"Bundesregierung schönt Armutsbericht", titelt "Zeit-Online". Immerhin in der Formulierung etwas vorsichtiger lautet bei der "Welt" die Überschrift "Regierung soll Armutsbericht geschönt haben". Und in FAZ.Net heißt es, der Bericht sei "in einigen Passagen entschärft" worden. Überschrift: "Die Bundes­regie­rung ändert ihren Armutsbericht".



Nein, die Bundesregierung hat "ihren Armutsbericht" nicht "geändert"; sondern wie üblich wurde ein erster Referenten­entwurf nach Stellungnahmen aus anderen Ministerien überarbeitet. Ein Haus wird ja auch nicht "umgebaut", wenn man aus dem Rohbau das fertige Haus macht.

Aus diesem trivialen, routinemäßigen Vorgang der sukzessiven Erstellung einer Endfassung macht die SZ ein "verwässert und verschleiert"; und die Kollegen von den anderen Blättern übernehmen diesen Tenor der Berichterstattung.

Was veranlaßte Thomas Öchsner zu seinem "geglättet", das dann im nächsten Schritt derart skandalisiernd aufgeladen wurde? Es war die Streichung einiger Passagen, über die man durchaus streiten kann - über die Passagen, über ihre Beibehaltung oder Tilgung. Öchsner:
So ist die Aussage "Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt" in der Einleitung des Regierungsdokuments nicht mehr zu finden.
Daß sie ungleich verteilt sind, ist eine Trivialität. Sie sind es in jedem Land der Welt. Ob sie es "sehr" sind oder nicht, ist eine Frage der Wertung. In einer Dokumentation der Regierung haben solche Wertungen nichts verloren. So etwas zu streichen ist kein "Verwässern".

Öchsner weiter:
In der ersten Variante stand: "Während die Lohnentwicklung im oberen Bereich positiv steigend war, sind die unteren Löhne in den vergangenen zehn Jahren preisbereinigt gesunken. Die Einkommens­sprei­zung hat zugenommen." Diese verletze "das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung" und könne "den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden".

Stattdessen wird nun angeführt, dass sinkende Reallöhne "Ausdruck struktureller Verbesserungen" am Arbeitsmarkt seien. Denn zwischen 2007 und 2011 seien im unteren Lohnbereich viele neue Vollzeitjobs entstanden, und so hätten Erwerbslose eine Arbeit bekommen.
Offenbar wurde nicht der erste zitierte Satz gestrichen, sondern nur die Aussagen zum "Gerechtigkeitsempfinden" und dem "gesellschaftlichen Zusammenhalt". Beides sind wertende Behauptungen, die in einem Regierungsdokument nichts verloren haben. Sie wurden durch eine sachliche und beleg­bare Aussage ersetzt.



Also viel Lärm um Nichts.

Daß ein linkes Blatt wie die "Süddeutsche Zeitung" einseitig berichtet und von "Schönen", "Verwässern" und "Verschleiern" spricht, ist eines der vielen Beispiele dafür, wie in den deutschen Zeitungen Bericht und Meinung vermischt werden (siehe mein kürzliches Interview mit Cora Stephan).

Aber es ist schon einigermaßen deprimierend, wie sowohl die "Welt" als auch "FAZ.Net" das übernehmen und ins selbe Horn stoßen. Von "Zeit-Online" ist natürlich nichts anderes zu erwarten.
Zettel



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