Nicht erst gestern hat Mohammed Morsi "nach der absoluten Herrschaft" gegriffen, wie "Spiegel-Online" schreibt. Der Griff nach der absoluten Macht erfolgte bereits im August, weniger als zwei Monate nach seiner Wahl. Jetzt hat Morsi nur noch das zu Ende gebracht, was er damals begonnen hatte.
Wie fast stets nach einer Revolution war es auch nach dem Sturz Hosni Mubaraks zunächst unklar, wer in dem neuen Machtsystem welche Rechte hat. Gremien, Institutionen, Amtsinhaber suchten einander in ihren Kompetenzen zu beschneiden; versuchten die Entscheidungen Anderer zu annullieren, wenn diese ihnen nicht paßten. Es war ein Machtkampf nicht nur innerhalb der einzelnen Teile des Machtapparats, sondern vor allem auch zwischen ihnen.
Fünf Kräfte waren an diesen Auseinandersetzungen beteiligt: Der alte Apparat Mubaraks, bestehend aus dem Militär (das als SCAF zunächst dominierte) und der Verwaltung; die Moslem-Bruderschaft, die im (inzwischen aufgelösten) Parlament und in der Verfassungskommission die Mehrheit hatte bzw. hat und welcher der Präsident Morsi entstammt; die radikalen Salafisten; westlich orientierte demokratische Kräfte, die stets schwach waren und sind; und nicht zuletzt die Justiz.
Konflikte vor allem zwischen den Moslembrüdern und Militär sowie Justiz waren seit dem Sturz Mubaraks an der Tagesordnung.
Vor der Wahl des Präsidenten hatten die Moslembrüder beispielsweise mit dem SCAF die Kandidatur ihres Führers Khairat El-Shater abgesprochen, der aber von der Justiz wegen einer Vorstrafe nicht zugelassen wurde (siehe Aufruhr in Arabien (27): Ab morgen wird der neue Präsident Ägyptens gewählt. Der Ausgang ist überraschend ungewiß; ZR vom 22. 5. 2012).
Die Justiz hat des weiteren vor der Wahl des Präsidenten massiv in die Politik eingegriffen, indem das Oberste Verfassungsgericht HCC das von den Moslembrüdern beherrschte Parlament auflöste und die Macht an den SCAF zurückgab (siehe In Ägypten übernimmt der Militärrat wieder die Macht. Die Islamisten müssen um ihre Vorherrschaft fürchten; ZR vom 14. 6. 2012).
Der SCAF seinerseits suchte seine Macht durch ein Dekret zu sichern, in dem er sich selbst die Entscheidung über Krieg und Frieden vorbehielt und sich ein Vetorecht gegen jede Bestimmung der künftigen Verfassung gab (siehe In Ägypten bereiten die Sicherheitskräfte den Schutz koptischer Kirchen vor. Siegt Shafiq, werden Ausschreitungen erwartet; ZR vom 21. 6. 2012). Als einen "sanften Putsch" hat man das damals bezeichnet.
Nach seiner Wahl putschte Morsi seinerseits. Am 13. August habe ich seine faktische Machtergreifung im einzelnen analysiert. Die Bewertung damals:
Im französischen Nouvel Observateur ist gestern ein Interview mit der Politologin und Ägypten-Spezialistin Sophie Pommier erschienen. Sie weist darauf hin, daß der wichtigste Aspekt des jetzigen Erlasses die Verfassungskommission betrifft.
Diese besteht zu rund 70 Prozent aus Islamisten (Moslembrüdern und Salafisten) und ist dabei, einen Verfassungsentwurf fertigzustellen, der auf eine islamistische Republik Ägypten hinauslaufen würde. Es war ein Verfahren im Gang mit dem Ziel, diese Kommission aufzulösen, nachdem alle Nicht-Islamisten sie aus Protest verlassen hatten. Der gestrige Erlaß Morsis verbietet das.
Die Kairoer Zeitung Al Ahram hat gestern den Text von Morsis Verfassungserklärung im Wortlaut veröffentlicht. Sein Artikel VI ist die bemerkenswert bündige Formulierung eines Ermächtigungsgesetzes:
Wie fast stets nach einer Revolution war es auch nach dem Sturz Hosni Mubaraks zunächst unklar, wer in dem neuen Machtsystem welche Rechte hat. Gremien, Institutionen, Amtsinhaber suchten einander in ihren Kompetenzen zu beschneiden; versuchten die Entscheidungen Anderer zu annullieren, wenn diese ihnen nicht paßten. Es war ein Machtkampf nicht nur innerhalb der einzelnen Teile des Machtapparats, sondern vor allem auch zwischen ihnen.
Fünf Kräfte waren an diesen Auseinandersetzungen beteiligt: Der alte Apparat Mubaraks, bestehend aus dem Militär (das als SCAF zunächst dominierte) und der Verwaltung; die Moslem-Bruderschaft, die im (inzwischen aufgelösten) Parlament und in der Verfassungskommission die Mehrheit hatte bzw. hat und welcher der Präsident Morsi entstammt; die radikalen Salafisten; westlich orientierte demokratische Kräfte, die stets schwach waren und sind; und nicht zuletzt die Justiz.
Konflikte vor allem zwischen den Moslembrüdern und Militär sowie Justiz waren seit dem Sturz Mubaraks an der Tagesordnung.
Vor der Wahl des Präsidenten hatten die Moslembrüder beispielsweise mit dem SCAF die Kandidatur ihres Führers Khairat El-Shater abgesprochen, der aber von der Justiz wegen einer Vorstrafe nicht zugelassen wurde (siehe Aufruhr in Arabien (27): Ab morgen wird der neue Präsident Ägyptens gewählt. Der Ausgang ist überraschend ungewiß; ZR vom 22. 5. 2012).
Die Justiz hat des weiteren vor der Wahl des Präsidenten massiv in die Politik eingegriffen, indem das Oberste Verfassungsgericht HCC das von den Moslembrüdern beherrschte Parlament auflöste und die Macht an den SCAF zurückgab (siehe In Ägypten übernimmt der Militärrat wieder die Macht. Die Islamisten müssen um ihre Vorherrschaft fürchten; ZR vom 14. 6. 2012).
Der SCAF seinerseits suchte seine Macht durch ein Dekret zu sichern, in dem er sich selbst die Entscheidung über Krieg und Frieden vorbehielt und sich ein Vetorecht gegen jede Bestimmung der künftigen Verfassung gab (siehe In Ägypten bereiten die Sicherheitskräfte den Schutz koptischer Kirchen vor. Siegt Shafiq, werden Ausschreitungen erwartet; ZR vom 21. 6. 2012). Als einen "sanften Putsch" hat man das damals bezeichnet.
Nach seiner Wahl putschte Morsi seinerseits. Am 13. August habe ich seine faktische Machtergreifung im einzelnen analysiert. Die Bewertung damals:
Was Präsident Morsi gestern unternommen hat, ist nicht weniger als ein Putsch von oben.Was ihm damals gelang, braucht Morsi jetzt, im Gefolge seiner Aufwertung durch die USA, nur noch zum Abschluß zu bringen: Mit dem gestrigen Erlaß ("Verfassungserklärung") entzieht er alle seine Entscheidungen einer gerichtlichen Nachprüfung. Zugleich setzte er den Generalstaatsanwalt Abdel Meguid Mahmoud ab und ersetzte ihn durch Talaat Ibrahim Abdallah, den Schwager seines Vizepräsidenten und Justizministers Ahmed Mekki.
Der bisherige Machthaber im Hintergrund, der Vorsitzende der Militärjunta SCAF (Supreme Council of the Armed Forces, Oberster Militärrat), Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi, wurde von Morsi aller seiner Ämter enthoben; er war in Personalunion Verteidigungsminister und Oberkommandierender der Streitkräfte gewesen. Ebenfalls entlassen wurde Generalstabschef Sami Anan, der als der wahrscheinliche Nachfolger des 76jährigen Tantawi gegolten hatte.
Zugleich hat Morsi selbstherrlich die Verfassung geändert und sich selbst unbeschränkte Rechte gegeben. Er hat damit - sollte er durchkommen - die Möglichkeit, schon in den kommenden Monaten Ägypten zu einem Staat der Moslem-Bruderschaft umzugestalten. (...)
Die New York Times schreibt dazu heute: "Mr. Morsi’s aggressive steps on Sunday contrasted sharply with his lackluster image before he became president"; Morsis aggressive Schritte am gestrigen Sonntag stünden in scharfem Kontrast zu seinem kraftlosen Image, bevor er Präsident wurde.
Aber das sind bei den Moslembrüdern nur zwei Seiten derselben Strategie, die sie von kommunistischen Bewegungen übernommen haben: Solange sie nicht an der Macht sind, geben sie sich gemäßigt und kompromißbereit, suchen Bündnisse und versprechen demokratische Freiheiten für alle. Sobald sie sich stark genug fühlen, die Machtfrage zu stellen, suchen sie die Entscheidung.
Daß Morsi das tut, ist also nicht überraschend. Erstaunlich ist allerdings, daß er sich schon jetzt stark genug fühlt, die Machtfrage zu entscheiden.(Morsi macht sich zum unumschränkten Machthaber. Der Machtkampf in Ägypten geht in seine entscheidende Phase. Morsis Erlaß im Wortlaut; ZR vom 13. 8. 2012).
Im französischen Nouvel Observateur ist gestern ein Interview mit der Politologin und Ägypten-Spezialistin Sophie Pommier erschienen. Sie weist darauf hin, daß der wichtigste Aspekt des jetzigen Erlasses die Verfassungskommission betrifft.
Diese besteht zu rund 70 Prozent aus Islamisten (Moslembrüdern und Salafisten) und ist dabei, einen Verfassungsentwurf fertigzustellen, der auf eine islamistische Republik Ägypten hinauslaufen würde. Es war ein Verfahren im Gang mit dem Ziel, diese Kommission aufzulösen, nachdem alle Nicht-Islamisten sie aus Protest verlassen hatten. Der gestrige Erlaß Morsis verbietet das.
Die Kairoer Zeitung Al Ahram hat gestern den Text von Morsis Verfassungserklärung im Wortlaut veröffentlicht. Sein Artikel VI ist die bemerkenswert bündige Formulierung eines Ermächtigungsgesetzes:
Article VI:
The President may take the necessary actions and measures to protect the country and the goals of the revolution.
Artikel VI:
Der Präsident ist berechtigt, diejenigen Handlungen und Maßnahmen vornehmen, die erforderlich sind, um das Land und die Ziele der Revolution zu schützen.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Großmoschee von Kairouan, Tunesien. Vom Autor Wotan unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0-Lizenz freigegeben. Bearbeitet. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier.