Noch bevor er überhaupt erschienen ist, haben Wissenschaftler in einem Offenen Brief gegen einen wissenschaftlichen Artikel Front gemacht. Sie werfen ihm methodische Mängel vor; aber im Kern kritisieren sie, daß die Forschung, die publiziert werden soll, nicht politisch korrekt sei.
Worum geht es?
Zwei amerikanische Ökonomen, Quamrul Ashraf vom Williams College und Oded Galor von der Brown University, haben in einem umfangreichen Forschungsprojekt nach Zusammenhängen zwischen genetischer Diversität (also dem Grad der genetischen Verschiedenheit von Menschen in einer Population) und ökonomischem Erfolg gesucht.
Sie haben ihre Ergebnisse in einem Artikel zusammengefaßt, der demnächst in der renommierten Fachzeitschrift American Economic Review erscheinen wird; Titel: The Out of Africa Hypothesis, Human Genetic Diversity, and Comparative Economic Development (Die Aus-Afrika-Hypothese, genetische Diversität beim Menschen und ökonomische Entwicklung im Vergleich).
Informationen zu dem Artikel finden Sie hier. Die Brown University bietet ihn auch zum Herunterladen an.
Es ist eine inzwischen weithin akzeptierte Annahme zur Evolution des Menschen, daß sich seine Entwicklung bis vor relativ kurzer Zeit (90.000 bis 70.000 Jahre) nur in Afrika abgespielt hat und daß erst dann mehrere Wellen der Auswanderung out of Africa einsetzten, die zur Ausbreitung der Gattung über die ganze Erde führten. Ein wesentlicher Befund, der diese Theorie stützt, besteht darin, daß die genetische Diversität in Afrika am größten ist und abnimmt, je weiter von Afrika entfernt eine Population beheimatet ist. (Falls Sie sich den Artikel ansehen: Das ist in Abb. 1 auf Seite 2 dargestellt).
Die Theorie der Autoren ist nun, daß genetische Diversität zwei gegenläufige Auswirkungen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft hat: Je verschiedener die Menschen sind, umso mehr Spezialisierungen sind möglich, die dem technischen Fortschritt dienen. Je verschiedener sie sind, umso mehr Potential für gesellschaftliche Konflikte gibt es andererseits aber auch. Also - so die These der Autoren - ist zu erwarten, daß ein mittlerer Grad an genetischer Diversität am günstigsten ist.
Diese Erwartung formulieren sie in mathematischen Modellen, die sie an Datensätzen aus der Zeit um 1500 n. Chr. und der Gegenwart prüfen; im ersteren Fall setzen sie die genetische Diversität zur Bevölkerungsdichte als Maß wirtschaftlichen Erfolgs in Beziehung, im zweiten zum Pro-Kopf-Einkommen. Jeweils ergab sich in der Tat eine umgekehrt U-förmige Beziehung: Bis zu einer mittleren genetischen Diversität wuchs der Indikator für wirtschaftlichen Erfolg und nahm dann wieder ab.
Das Manuskript wurde, wie es bei guten Fachzeitschriften selbstverständlich ist, vor der Publikation begutachtet; in diesem Fall von fünf Fachgutachtern (peer reviewing). Die Forschung wurde u.a. von der National Science Foundation gefördert, einer unserer Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) vergleichbaren Einrichtung. Die Autoren haben ihre Ergebnisse und ihre Theorie vor der Publikation auf zahlreichen internationalen Konferenzen vorgetragen und mit Dutzenden von Kollegen diskutiert, denen sie für deren Kommentare danken.
Es handelt sich also nicht um windige Pseudowissenschaft, sondern um Forschung nach internationalen Standards. Natürlich kann auch eine solche Arbeit Mängel aufweisen; und allemal kann eine Theorie, die jemand publiziert, sich als falsch herausstellen. Höchst ungewöhnlich aber ist es, daß Fachkollegen ihre Kritik nicht in Form eines Kommentars in der betreffenden Fachzeitschrift äußern (auf den dann den Kritisierten ein rejoinder - eine Entgegnung - zusteht), sondern in Form eines Offenen Briefs.
Nicht nur ungewöhnlich, sondern nachgerade ein Skandal ist es, daß sie dabei ihre wissenschaftliche Kritik auf wenige allgemeine Sätze beschränken, aber vor allem politische Bedenken gegen die wissenschaftliche Arbeit äußern. In ihrem als Offener Brief publizierten Kurzkommentar schreiben 18 Harvard-Wissenschaftler - überwiegend Anthropologen, dazu zwei Biologen und zwei Mediziner - dies:
Aber darum geht es ja gar nicht. Wie immer eine solche Arbeit zu bewerten ist, was die Richtigkeit der betreffenden Theorie angeht - es kann und darf für die Publikation kein Maßstab sein, wie die eventuellen politischen Folgen aussehen würden. Wissenschaftliche Dispute haben auf dem Feld der Wissenschaft ausgetragen zu werden, nicht auf dem der Politik.
Forschung, die sich der Politik unterordnet, ist korrumpiert. Daß 18 Wissenschaftler der Universität Harvard politische Argumente gegen eine wissenschaftliche Theorie ins Feld führen und auf dieser Ebene eine Publikation kritisieren, bevor sie überhaupt erschienen ist, sollte zu denken geben. Wie würden diese Forscher sich wohl verhalten, wenn ihre eigenen Forschungsergebnisse nicht mit dem übereinstimmten, was sie als politisch korrekt ansehen?
Aufmerksam geworden bin ich auf das Thema durch einen Artikel der Wissenschaftsjournalistin Stefanie Schramm in der "Zeit" der vorvergangenen Woche, der seit vorgestern auch bei "Zeit-Online" zu lesen ist. Er befaßt sich - informativ, sachlich und zurückhaltend - mit diesem Vorgang, ohne aber zur selben Wertung zu kommen wie ich.
Worum geht es?
Zwei amerikanische Ökonomen, Quamrul Ashraf vom Williams College und Oded Galor von der Brown University, haben in einem umfangreichen Forschungsprojekt nach Zusammenhängen zwischen genetischer Diversität (also dem Grad der genetischen Verschiedenheit von Menschen in einer Population) und ökonomischem Erfolg gesucht.
Sie haben ihre Ergebnisse in einem Artikel zusammengefaßt, der demnächst in der renommierten Fachzeitschrift American Economic Review erscheinen wird; Titel: The Out of Africa Hypothesis, Human Genetic Diversity, and Comparative Economic Development (Die Aus-Afrika-Hypothese, genetische Diversität beim Menschen und ökonomische Entwicklung im Vergleich).
Informationen zu dem Artikel finden Sie hier. Die Brown University bietet ihn auch zum Herunterladen an.
Es ist eine inzwischen weithin akzeptierte Annahme zur Evolution des Menschen, daß sich seine Entwicklung bis vor relativ kurzer Zeit (90.000 bis 70.000 Jahre) nur in Afrika abgespielt hat und daß erst dann mehrere Wellen der Auswanderung out of Africa einsetzten, die zur Ausbreitung der Gattung über die ganze Erde führten. Ein wesentlicher Befund, der diese Theorie stützt, besteht darin, daß die genetische Diversität in Afrika am größten ist und abnimmt, je weiter von Afrika entfernt eine Population beheimatet ist. (Falls Sie sich den Artikel ansehen: Das ist in Abb. 1 auf Seite 2 dargestellt).
Die Theorie der Autoren ist nun, daß genetische Diversität zwei gegenläufige Auswirkungen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft hat: Je verschiedener die Menschen sind, umso mehr Spezialisierungen sind möglich, die dem technischen Fortschritt dienen. Je verschiedener sie sind, umso mehr Potential für gesellschaftliche Konflikte gibt es andererseits aber auch. Also - so die These der Autoren - ist zu erwarten, daß ein mittlerer Grad an genetischer Diversität am günstigsten ist.
Diese Erwartung formulieren sie in mathematischen Modellen, die sie an Datensätzen aus der Zeit um 1500 n. Chr. und der Gegenwart prüfen; im ersteren Fall setzen sie die genetische Diversität zur Bevölkerungsdichte als Maß wirtschaftlichen Erfolgs in Beziehung, im zweiten zum Pro-Kopf-Einkommen. Jeweils ergab sich in der Tat eine umgekehrt U-förmige Beziehung: Bis zu einer mittleren genetischen Diversität wuchs der Indikator für wirtschaftlichen Erfolg und nahm dann wieder ab.
Das Manuskript wurde, wie es bei guten Fachzeitschriften selbstverständlich ist, vor der Publikation begutachtet; in diesem Fall von fünf Fachgutachtern (peer reviewing). Die Forschung wurde u.a. von der National Science Foundation gefördert, einer unserer Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) vergleichbaren Einrichtung. Die Autoren haben ihre Ergebnisse und ihre Theorie vor der Publikation auf zahlreichen internationalen Konferenzen vorgetragen und mit Dutzenden von Kollegen diskutiert, denen sie für deren Kommentare danken.
Es handelt sich also nicht um windige Pseudowissenschaft, sondern um Forschung nach internationalen Standards. Natürlich kann auch eine solche Arbeit Mängel aufweisen; und allemal kann eine Theorie, die jemand publiziert, sich als falsch herausstellen. Höchst ungewöhnlich aber ist es, daß Fachkollegen ihre Kritik nicht in Form eines Kommentars in der betreffenden Fachzeitschrift äußern (auf den dann den Kritisierten ein rejoinder - eine Entgegnung - zusteht), sondern in Form eines Offenen Briefs.
Nicht nur ungewöhnlich, sondern nachgerade ein Skandal ist es, daß sie dabei ihre wissenschaftliche Kritik auf wenige allgemeine Sätze beschränken, aber vor allem politische Bedenken gegen die wissenschaftliche Arbeit äußern. In ihrem als Offener Brief publizierten Kurzkommentar schreiben 18 Harvard-Wissenschaftler - überwiegend Anthropologen, dazu zwei Biologen und zwei Mediziner - dies:
In today’s economic climate, it is easy – and irresponsible -- to blame the economic status of entire regions or peoples on uncontrollable factors like genetic variation. (...) For example, the suggestion that an ideal level of genetic variation could foster economic growth and could even be engineered has the potential to be misused with frightening consequences to justify indefensible practices such as ethnic cleansing or genocide.Ob die im letzten Halbsatz geäußerte wissenschaftliche Kritik zutrifft, können nur Fachleute beurteilen; Belege für dieses negative Urteil finden sich in dem Offenen Brief nicht. Wenn eine angesehene Fachzeitschrift ein Manuskript publiziert, nachdem es von fünf fachlich ausgewiesenen Gutachtern geprüft wurde, dann wird man unterstellen können, daß es üblichen wissenschaftlichen Standards genügt.
Similar arguments have historically had massively disastrous consequences. Scientists need to be cautious about making claims of genetic determinism, especially when they reflect only speculation, flimsy evidence, and weak statistics
Im heutigen wirtschaftlichen Klima ist es leicht - und unverantwortlich -, für die wirtschaftliche Lage ganzer Regionen oder Völker unkontrollierbare Faktoren wie genetische Variation verantwortlich zu machen. (...) Die Aussage beispielsweise, daß ein ideales Ausmaß genetischer Variation das Wirtschaftswachstum begünstigen und daß es vielleicht sogar gesteuert werden könnte, birgt das Potential dazu, mit erschreckenden Konsequenzen zur Rechtfertigung unvertretbarer Praktiken wie ethnischer Säuberungen oder Genozid mißbraucht zu werden.
Ähnliche Argumente hatten und haben in der Geschichte äußerst verheerende Konsequenzen. Wissenschaftler sollten Vorsicht dabei walten lassen, Behauptungen über genetischen Determinismus aufzustellen, besonders wenn sie nur Spekulation, dürftige Belege und schwache Statistik beinhalten.
Aber darum geht es ja gar nicht. Wie immer eine solche Arbeit zu bewerten ist, was die Richtigkeit der betreffenden Theorie angeht - es kann und darf für die Publikation kein Maßstab sein, wie die eventuellen politischen Folgen aussehen würden. Wissenschaftliche Dispute haben auf dem Feld der Wissenschaft ausgetragen zu werden, nicht auf dem der Politik.
Forschung, die sich der Politik unterordnet, ist korrumpiert. Daß 18 Wissenschaftler der Universität Harvard politische Argumente gegen eine wissenschaftliche Theorie ins Feld führen und auf dieser Ebene eine Publikation kritisieren, bevor sie überhaupt erschienen ist, sollte zu denken geben. Wie würden diese Forscher sich wohl verhalten, wenn ihre eigenen Forschungsergebnisse nicht mit dem übereinstimmten, was sie als politisch korrekt ansehen?
Aufmerksam geworden bin ich auf das Thema durch einen Artikel der Wissenschaftsjournalistin Stefanie Schramm in der "Zeit" der vorvergangenen Woche, der seit vorgestern auch bei "Zeit-Online" zu lesen ist. Er befaßt sich - informativ, sachlich und zurückhaltend - mit diesem Vorgang, ohne aber zur selben Wertung zu kommen wie ich.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.