1. Dezember 2008

Mumbai: Wie die Anschläge abliefen. Wie die Täter ausgebildet worden waren

Wieviele Terroristen waren es, die das Blutbad von Mumbai angerichtet haben? Anfangs war in einigen Meldungen von mehreren hundert die Rede.

Als die indische Regierung von wenig über zehn sprach, hielt ich das zunächst für unglaubwürdig. Wie können rund zehn Männer fast zeitgleich an zehn Orten zuschlagen, fast zweihundert Menschen ermorden, ganze Hotels durchkämmen und Geiseln nehmen? Wie können sie eine ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzen?

Inzwischen gibt es Berichte über die Einzelheiten des Ablaufs und über das Training der Terroristen, die diese geringe Zahl doch nicht abwegig erscheinen lassen.



Für die heutige Washington Post hat Emily Wax zusammen mit zwei indischen Journalisten den Ablauf rekonstruiert.

Danach kamen die Terroristen aus dem pakistanischen Karachi. Für die Überfahrt hatten sie einen Fischtrawler gekapert und dessen vierköpfige Besatzung ermordet.

Eine Gruppe ging mit zwei Booten an Land, wobei sie von Fischern beobachtet wurde, und nahm sich zwei Taxen zum Oberai- Hotel. Eine zweite Gruppe landete nah dem Tadsch- Mahal- Hotel. Beide Gruppen teilten sich dann vermutlich in Untergruppen zu je zwei oder drei Personen auf.

Gegen 21.35 Uhr überwältigte eine dieser Untergruppen die Wachen des Oberai- Hotels und drang in dieses ein. Etwa um dieselbe Zeit tauchten zwei andere bei Leopold's Café auf und feuerten wahllos um sich. Anschließend gingen sie zu Fuß zu dem nur drei Minuten entfernten Tadsch- Mahal- Hotel. Dabei passierten sie eine schmale Gasse, in der sie ebenfalls um sich schossen und Menschen ermordeten.

Das Tadsch Mahal betraten sie durch den nur schwach gesicherten Hintereingang. Im Hotel trafen sie sich mit zwei Komplicen und begannen, in der Lobby um sich zu schießen und Geiseln zu nehmen.

Ungefähr zur gleichen Zeit stürmten zwei weitere Terroristen in die drei Kilometer vom Tadsch Mahal entfernte CST-Bahnstation. Sie feuerten mit ihren automatischen Waffen und warfen Granaten. 48 Menschen wurden hier ermordet. Die anwesenden Polizisten gingen in Deckung und taten nichts.

Nach ungefähr zwanzig Minuten begaben sich diese beiden Terroristen wieder auf die Straße und schossen dort weiter um sich. Anschließend bemächtigten sie sich eines Polizeiautos, ermordeten dessen Insassen bis auf einen, der sich tot stellte, und schossen aus diesem Wagen auf eine Menschenmenge.

Das Polizeiauto war auf dem Weg zum Cama- Krankenhaus gewesen, aus dem ein Notruf gekommen war. Offenbar war dort eine weitere Gruppe von Terroristen schon mit der Ermordung von Menschen beschäftigt.



Zumindest in der Größenordnung könnte also die Zahl von etwas mehr als zehn Terroristen zutreffen. Der Eindruck eines viel größeren Angriffs entstand, weil sie in kleinen Gruppen operierten, die in kurzer Zeit von Tatort zu Tatort eilten. Dies war aufgrund der geringen Entfernungen möglich.

Damit eine so kleine Gruppe derart wirksam operiert - und das drei Tage durchhält -, müssen die Terroristen allerdings hoch trainiert gewesen sein. Über ihr Training berichtet heute in den indischen Rediff News Vicky Nanjappa. Sie beruft sich auf einen indischen Geheimdienst- Offizier, der die Trainingsmethoden der Terroristen dokumentiert hat.

Es handelt sich danach um ein Trainingsprogramm, das von der Kaida entwickelt und von der Lashkar-e-Tayiba übernommen wurde, die möglicherweise hinter den jetzigen Anschlägen steht. Unterschieden wird zwischen Fedayin, den Kämpfern, und Mudschahedin, den Elitekämpfern, die bei einem solchen Anschlag eingesetzt werden. Nur etwa jeder zwanzigste der Fedayin, die sich für das Ausbildungs- Programm bewerben, durchlaufen es und werden zu Mudschahedin geadelt.

Das Programm umfaßt drei Stufen.

Die erste besteht in einer Gehirnwäsche. Den Kämpfern wird eingehämmert, daß ihre Aufgabe sei, so viele Menschen wie möglich zu töten, und daß die Erfüllung dieser Aufgabe ihren eigenen Tod einschließen werde. Nur wer diesen Teil "erfolgreich" absolviert, also die Mentalität einer Killermaschine erwirbt, gelangt in den zweiten Teil der Ausbildung. Er ist dann auch motiviert für das harte körperliche Training, das nun folgt und fünf bis sechs Monate dauert.

Das Ausbildungsziel sind körperliche Höchstleistungen: 100 Meter in 12 Sekunden, 10.000- Meter- Lauf, fünfstündiger Marsch mit 20 Kilo Gepäck. Weiterhin wird trainiert, fünf Nächte ohne Unterbrechung wach zu bleiben und zwei Tage ohne Nahrung auszukommen, und es wird eine allgemeine Combat- Ausbildung durchgeführt.

Der dritte Teil besteht in spezieller Ausbildung an der Waffe; vor allem an automatischen Gewehren und im Umgang mit Granaten.

Diese Mudschaheddin haben also wenig mit den "Selbstmord- Attentätern" gemein, die sich im Irak einen Sprengstoff- Gürtel umschnallen und diesen irgendwo zünden. Sie sind den Spezialeinheiten regulärer Streitkräfte vergleichbar. Das erklärt, wie sie in Mumbai derart wirksam zuschlagen und so lange durchhalten konnten.



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