13. Mai 2007

Zettels Meckerecke: Ein Musik-Wettbewerb? Ein völkischer Zählappell

Zu der Veranstaltung, die in Deutschland seltsamerweise zunächst unter ihrem französischen Namen Grand Prix Eurovision de la Chanson firmierte, dann unter ihrem englischen Namen Eurovision Song Contest, habe ich eine sentimentale Beziehung.

Das geht auf die Zeit Ende der sechziger Jahre zurück, als ich vom Studenten zum Geldverdiener aufgestiegen war und mir - zum Preis von 498 Mark, in bequemen Raten zu bezahlen - einen Fernseher hatte leisten können.

Da erschloß sich eine mir zuvor völlig unbekannte Welt; denn in der Familie meiner Eltern hatte es kein TV gegeben. Also habe ich, im Alter von Anfang zwanzig, mit Kinderaugen in diese neue, aufregende Welt geguckt und mich an ihr gefreut.

Und da war dieser Grand Prix de l'Eurovision eben etwas Besonderes. Ein Highlight, ein Event würde man heute auf Deutsch sagen. Ich habe das genossen, wie das "Raumschiff Enterprise", wie die Mondlandung, wie die Berichte von Peter von Zahn.



Wie das so ist mit solchen emotionalen Beziehungen - die Jahre gehen ins Land, die Welt ändert sich, aber diese Verbindung, diese Besetzung, wie Freud es nannte, bleibt hartnäckig bestehen. Man ist halt konditioniert.

Also habe ich die "Kommissar"-Filme, als 3Sat sie kürzlich wiederholte, mit viel Bewegung gesehen. Also gucke ich mir Jahr für Jahr, wenn es irgend geht, diesen Grand Prix an, diesen Song Contest. Inzwischen läuft er allerdings nur noch im Hintergrund, während ich am Rechner sitze. Viel Aufmerksamkeit braucht er ja nicht.

Gestern Abend also war es wieder einmal so weit. Ich habe mich gewundert, wie schnell ein Jahr herum ist - gerade hatte doch erst Texas Lightning diesen hübschen Country Song gesungen.

Nun ja. Die gefühlte Zeit zwischen Dinner for one und Dinner for one wird ja auch immer kürzer. Die wahrgenommene Zeit ist offenbar keine lineare Funktion der physikalischen Zeit; vielleicht eine logarithmische oder eine Potenzfunktion mit einem Exponenten kleiner eins.



"Zettels Meckerecke?" Ja. Denn nach dieser etwas nostalgischen Einleitung werde ich jetzt meckern. Und zwar kräftig.

Daß auch nationale Präferenzen bei der Abstimmung für diesen Preis eine Rolle spielten, das war immer so. Aber daß die Abstimmung dadurch ad absurdum geführt wird, daß praktisch nur noch nach nationalen Präferenzen abgestimmt wird, das ist eine Entwicklung der Zeit seit den neunziger Jahren.

Gewiß, die Holländer und die Österreicher haben selten viele Punkte an die Piefkes, an die Moffen vergeben. Die Skandinavier haben einander immer gut gefunden, die damals so genannten Benelux- Länder ebenso. Spanier mochten portugiesische Beiträge, und umgekehrt - das war halt der gemeinsame Geschmack gewesen.

Aber das waren doch nur kleine Einflüsse, die das Ergebnis nicht entschieden. Wer gewann, wer vorn lag - das hing von der Qualität ab.

Natürlich von der Qualität in Relation zum Zeitgeschmack. Also konnte Nicole 1982 gewinnen, als ganz Europa sich nach einem "bißchen Frieden" sehnte. Also lag man so gut oder so schlecht, wie man eben - mit hinreichender Qualität - das zu treffen wußte, was der Zeitgeist verlangte.



Vorbei. Heute kann man das Abstimmungsergebnis der meisten Länder vorhersagen, ohne auch nur den jeweiligen Beitrag gehört zu haben:
  • Erstens stimmt man für seine völkisch (politically correct: ethnisch) verwandten Nachbarn. Es gibt einen russischen Block, zu dem neben Rußland die sonstigen Nachfolgestaaten der UdSSR gehören. Es gibt, das gewissermaßen überwölbend, einen slawischen Block, zu dem beispielsweise auch Polen gehört. Es gibt einen Balkan- Block, der sich wieder in einen serbokroatischen und einen griechischen unterteilt. Es gibt einen kleinen rumänischen Block, zu dem die Länder mit rumänischer Bevölkerung gehören - also Moldawien, Ungarn, andere Anrainerstaaten Rumäniens. Und so fort. Man kann das quer durch ganz Europa verfolgen, für den skandinavischen Block, den iberischen.

  • Zweitens stimmen Auswanderer für ihre alte Heimat. Folglich bekommt die Türkei seit Jahren "von Deutschland" zwölf Punkte. Folglich schneiden die Nachfolgestaaten der UdSSR in Israel ganz vorn ab. Wo es einen erheblichen Anteil islamischer Einwanderer gibt, da liegt die Türkei - das einzige islamische Land, das an diesem Wettbewerb teilnimmt; Bosnien- Herzegowina ist ja noch nicht so weit - durchweg ganz vorn.


  • Kurzum: Diese Veranstaltung ist zu einer lächerlichen Farce geworden. Diejenigen Länder, in denen ja eigentlich keine schlechte Musik gemacht wird, die aber keinen dieser beiden Vorteile genießen - Frankreich, England, Deutschland, Italien zum Beispiel - landen auf den hinteren Rängen. Und diejenigen, die von dieser Blockbildung, die von den Stimmen von Auswanderern profitieren, liegen ganz vorn.

    Was soll das also? Was folgt aus dieser zunehmend absurder werdenden Situation? Meine sehr subjektive Reaktion ist: Laßt diese Lachnummer sein.

    Ja, zugegeben, mir würde etwas fehlen, wenn es diesen Event nicht mehr gibt.

    Aber ich glaube, ich könnte das verkraften. Während eine Abstimmung, die keine mehr ist, sondern ein völkischer Zählappell, Europa nur schaden kann. Und der Musik- Kultur noch mehr.