25. Mai 2007

Warum Doping absurd ist und zugleich rational - spieltheoretische Anmerkungen

Im Grunde ist es absurd: Rad-Profis riskieren ihre Gesundheit, lügen und betrügen, machen sich von einer Mafia abhängig, leben Jahrzehnte mit schlechtem Gewissen - und das alles ohne jeden Vorteil für irgendwen von ihnen. Ohne Vorteil für ihre Rennställe, für die Sponsoren, für das Publikum.

Das alles war und ist schlicht für die Katz - sieht man von ein paar Kriminellen ab, die am Doping verdienen, indem sie die betreffenden Mittel herstellen, ihren Vertrieb organisieren, mafiöse Strukturen aufbauen und unterhalten



Sonst hat niemand etwas von dieser Praxis. Alle Beteiligten sind die Dummen.

Denn angenommen, niemand würde dopen - dann hätten die Radsport- Fans genauso viel Spaß wie jetzt. Es würde im Radsport genauso viel Geld verdient werden wie jetzt. Die Radrennen, die großen Rundfahrten wären keinen Deut langweiliger als jetzt. Kein Rennstall würde sich schlechter stellen, kein Sponsor weniger Publicity gewinnen

Ja, man würde überhaupt nichts merken - kein Zuschauer kann das unterscheiden, ob alle nun ein wenig schneller oder ein weniger langsamer fahren.

Ergo: Die Rennställe, die Fahrer schaden sich selbst, ohne jeden Vorteil für sich selbst. Warum benehmen sie sich wie die Idioten?



Das ist eine der Fragen, mit denen sich die Spieltheorie befaßt. Eigentlich keine "Theorie", sondern eine interdisziplinäre Wissenschaft zwischen Mathematik, Sozialpsychologie, Ökonomie und auch ein wenig der Philosophie.

Eine alles andere als spielerische Wissenschaft, trotz ihres Names. Eine Wissenschaft, die gern bestimmte Szenarien untersucht; ähnlich, wie das in der modernen analytischen Philosophie die Ethik macht. Ich habe das in einem früheren Beitrag anhand des Trolley-Problems zu erläutern versucht.

Hier ist ein anderes Problem einschlägig, oder vielmehr ein Dilemma: das Gefangenen- Dilemma.

Zwei Gefangene sind in diesem Szenario getrennt eingesperrt. Jeder muß mit dem Schlimmsten rechnen, wenn der Andere ihn verrät. Er kann das aber abwenden, indem er seinerseits den Anderen verrät.

Beide handeln also rational, wenn sie den Anderen verraten. Aber beide stünden sich besser, wenn sie kooperierten und einander nicht verraten würden.



Nur setzt Kooperation Vertrauen voraus. Wenn einer kooperiert und der andere nicht, dann ist der Kooperierende der Gelackmeierte. Man kann also, wenn die Situation einmalig ist, vernünftigerweise nicht kooperieren; es wäre selbstmörderisch.

Aber wenn man das Spiel wiederholt - es "iterativ" spielt -, dann kann man sozusagen Vertrauen aufbauen. Bis am Ende beide Beteiligte überzeugt sind, daß die Kooperation beiden nützt, und sie sich daran halten.

Freilich kann jederzeit einer wieder auf Verrat umsteigen und sich damit einen Vorteil verschaffen. Einen Vorteil, der für den Kooperierenden unter Umständen tödlich ist.

Deshalb kann Kooperation dauerhaft nur funktionieren, wenn gegenseitige Kontrolle gewährleistet ist. Die Abrüstung der damaligen Supermächte in den achtziger Jahren wurde erst durch die Fortschritte in der Satelliten- Spionage möglich.



Aus spieltheoretischer Sicht ist es also trivial, daß jeder Sportler dopt, wenn er voraussetzen muß, daß es auch der Konkurrent tut. Er hat gar keine Wahl - es sei denn die, aus dem Spiel auszusteigen; also seinen Beruf aufzugeben, seinen Arbeitsplatz zu opfern.

Ich kann deshalb nicht sehen, daß dem einzelnen Radrennfahrer, der gedopt hat, ein Vorwurf zu machen ist. Der Fehler lag und liegt in einem System, das nach dem Szenario des Gefangenen- Dilemmas konstruiert war und ist.

Auch hier helfen nur gewissermaßen Abrüstungs- Verhandlungen - und verbesserte Kontrollen. Alle Beteiligten, mit Ausnahme wie gesagt der Mafia, haben Interesse daran, das Doping abzuschaffen. Das geht nur, wenn sie kooperieren. Und kooperieren können sie nur, wenn sie sich gegenseitig kontrollieren; wie die Großmächte in den achtziger Jahren mit der Satellitenspionage.



Wie man das im einzelnen organisieren könnte, kann ich nicht beurteilen. Vielleicht könnte man die Mannschaftsärzte regelmäßig zwischen den einzelnen Teams austauschen, so wie das Militär das traditionell mit Manöverbeobachtern macht. Vielleicht könnte man - als "vertrauensbildende Maßnahme", wie seinerzeit zwischen den Großmächten - sogar einzelne Fahrer zwischen den Teams austauschen; warum eigentlich nicht?

Jedenfalls legt die Spieltheorie nahe, daß das Problem sich nicht durch schärfere Gesetze, nicht durch Überwachung von außen und dergleichen lösen läßt. Es läßt sich nur dadurch lösen, daß die Beteiligten ihr gemeinsames Interesse entdecken und Wege finden, diesem Interesse kooperierend gerecht zu werden.