12. Mai 2007

Renegaten, Bekehrte, Einsichtige: Überlegungen anhand der Affäre Posener-Diekmann

Apocalypso, also Alan Posener, steht in der Blogroll von "Zettels Raum". Nicht, weil ich immer oder auch nur meistens mit dem übereinstimmen würde, was Alan Posener schreibt. Sondern weil ich - was für alle hier verlinkte Blogs gilt - die liberale Grundhaltung mit ihm teile, weil er intelligent schreibt und weil ich glaube, daß er meint, was er sagt.

Nun hat er vor etlichen Tagen etwas geschrieben, was im Haus Springer Stirnrunzeln ausgelöst hat; naja, ein sozusagen lautes Stirnrunzeln.

Und so frei ist man im Haus Springer nun auch wieder nicht, daß man einen schreiben läßt, was er schreiben mag, auch wenn es gegen einen Kollegen aus dem Haus Springer geht. Das entspricht nicht, wie es hieß, der "Unternehmenskultur".

Der Unternehmenskultur entsprach es nach dem Selbstverständnis des Hauses Springer, daß man den betreffenden Kommentar aus dem Netz nahm.



Es ist ja ein gängiger Konflikt: Loyalität, Kollegialität in sozusagen Idealkonkurrenz zu dem Bedürfnis, seine Meinung öffentlich zu machen.

Ich kenne das vom Wissenschaftsbetrieb. Muß der Kollege X unbedingt sagen, daß er mit dem Kollegen Y in einer bestimmten Frage überhaupt nicht übereinstimmt, obwohl jeder weiß, daß beide sich um den Lehrstuhl A bewerben?

Was bedeutet es, wenn jemand, der jahrelang Assistent von K gewesen ist, jetzt auf einmal die wissenschaftlichen Ansichten von I vertritt, der schon immer ein erbitterter Gegner von K gewesen ist?



Nur kann man ja auch diese ganze Menschelei beiseitelassen und einfach fragen, ob denn das stimmt, was einer schreibt. Also seine Aufmerksamkeit, linguistisch formuliert, nicht auf den pragmatischen, sondern auf den denotativen Aspekt seiner Äußerung richten.

Das ist die Haltung, zu der ich bei Dergleichen grundsätzlich neige.

Natürlich laufen da die üblichen Intrigen und Machtkämpfe.

Aber zugleich geht es ja um Meinungen, um Sachverhalte. Die interessieren mich viel mehr. Sie gucken sozusagen durch alle diese sozialen Klimmzüge hindurch; so, wie aus allen Animositäten und Intrigen von Wissenschaftlern am Ende doch ein Fortschritt der Erkenntnis herauskommt.




Zweitens interessiert mich an dieser Affäre ein anderer, aber damit eng zusammenhängender Aspekt: Der Wechsel politischer Fronten. In einem interessanten, auch sehr schön geschriebenen Beitrag von Karsten in B.L.O.G. habe ich den Hinweis auf einen Hintergrund- Artikel von André F. Lichtschlag gelesen.

Dort schreibt André F. Lichtschlag Lesenswertes über die, sagen wir, politischen Biographien nicht nur der jetzigen Kontrahenten, sondern überhaupt der Journalisten des Hauses Springer.

Daß Alan Posener Maoist gewesen war, bevor er eine vernünftige politische Haltung einnahm, das hatte ich gewußt. Aber daß auch etliche andere Redakteure der "Welt" ein solches Saulus- Paulus- Erlebnis hinter sich haben, das war mir neu gewesen.

Lichtschlag schreibt (und ich zitiere das jetzt, ohne es nachgeprüft zu haben):
Bei "Welt" und "Welt am Sonntag" haben nämlich in den letzten Jahren einige Altachtundsechziger die redaktionelle Macht übernommen. (...) Jene, um die es hier geht, wurden vom Springer-Verlagschef Mathias Döpfner ins Haus geholt. Etwa Chefredakteur Thomas Schmid (ehemals linker "Sponti" und Lektor im Klaus-Wagenbach-Verlag), seine Stellvertreterin Andrea Seibel, Chefreporterin Mariam Lau (beide ehemals "taz"), auffällig viele Gastkommentatoren aus der alten Frankfurter "Sponti-Szene" oder eben jener Kommentarchef Alan Posener, der einst als Kader des Kommunistischen Studentenverbands auch in der maoistischen KPD aktiv war.
Ich setze also jetzt einmal voraus, daß diese Informationen zutreffen. Dann sind sie ein wenig Nachdenken wert.



Seine politische Meinung zu ändern ist nicht nur keine Schande, sondern es ist oft eher zu bewundern. Wer zum Beispiel als "Renegat" die kommunistische Bewegung verlassen hat, der hatte oft eine lange Zeit inneren Konflikts hinter sich; er hatte ja die Entscheidung getroffen, nicht nur seine Ideologie aufzugeben, sondern auch sein soziales Umfeld zu opfern, der Gegner seiner besten Freunde zu werden. Zum Feind überzulaufen, so wurde das ja oft gesehen.

Die das dennoch getan haben, die großen Renegaten - Arthur Koestler, Wolfgang Leonhard, Ernst Reuter, Fritz Schenk, André Malraux; später dann Alain Finkielkraut und André Glucksman, um nur einige zu nennen - verdienen dafür Bewunderung.

Die Älteren mehr als die Jüngeren, weil für sie ungleich mehr auf dem Spiel stand.



Nur, dies gesagt: Wie kommt es, daß Menschen ihre politische Meinung, ihre politische Loyalität so radikal ändern? In welcher Hinsicht tun sie das eigentlich?

Mir scheint, sie tun das in sehr unterschiedlicher Weise. Ich versuche jetzt eine kleine Systematik; die natürlich nicht mehr will und kann als jede Systematik: Ein wenig Ordnung schaffen.
  • Erstens: Der Wechsel besteht darin, daß dieselbe Grundhaltung ein anderes Etikett bekommt. So war es bei vielen Nazis, die in der SBZ, dann der DDR, Kommunisten wurden. Sie brauchten im Grunde nichts Substantielles an ihrer Weltanschauung zu ändern: Sie waren weiter gegen den Kapitalismus, gegen die Demokratie, für das Führerprinzip. Statt gegen "die Juden" waren sie jetzt halt gegen die "Ostküste"; der Kapitalismus war für sie nun weniger eng mit dem Judentum verbunden.

    Statt Hitler- Jugend hieß es jetzt Junge Pioniere und FDJ, statt der Gestapo arbeitete man jetzt dem MfS zu. Statt der KdF war es der FDGB, der die Untertanen in den Urlaub verfrachtete. Man brauchte nicht umzudenken, nur mußte man seine Terminologie anpassen.

  • Zweitens gibt es, sagen wir, die Reifung. "Wer in seiner Jugend kein Kommunist war, der wird nie ein guter Sozialdemokrat". So war das bei Willy Brandt, bei Ernst Reuter, bei Axel Eggebrecht, um auch einen Intellektuellen zu nennen. (So war es nicht bei Herbert Wehner, der sein Leben lang ein Kommunist geblieben ist, ein leninistischer Intrigant unangenehmster Art.)

    Vielleicht kann man einige der heutigen (oder gestrigen) Protagonisten der Linken dieser Kategorie zuordnen - Joschka Fischer, Jürgen Trittin, Ulla Schmidt, Reinhard Bütikofer, Antje Vollmer, Daniel Cohn-Bendit; alle Altkommunisten, alle - für mich überzeugend - heute keine Kommunisten mehr.

    Aber anders als Ernst Reuter, als Willy Brandt sind diese Gereiften immer noch mehr oder weniger links oder linksextrem. Voll Verständnis nach wie vor für die Kommunisten; ohne einen wirklichen Bruch mit ihrer Vergangenheit. Manche sind nicht wirklich erwachsen geworden, sondern es sind Menschen, die in ihrer Jugend steckengeblieben sind und sie nun verklären, freilich aus der Sicht eines ironisch, oft auch zynisch, gewordenen Alters. Von keinem der Genannten wüßte ich jedenfalls, daß er oder sie sich am Kampf gegen den Kommunismus beteiligen würde.

  • Dritte Kategorie: Die, sagen wir, radikal Bekehrten. Das sind die, die ich wirklich bewundere. Allen voran Arthur Koestler, einer der intelligentesten Journalisten des Zwanzigsten Jahrhunderts. Wolfgang Leonhard hat genauso radikal den Marxismus als eine Dummheit und eine Inhumanität erkannt, aber ihm fehlt die intellektuelle Brillanz Koestlers.

  • Und nun gibt es, denke ich, noch eine vierte Kategorie. Die für mich problematischste. Das sind Diejenigen, die gewissermaßen die Inhalte ihrer linksextremen Periode aufgegeben haben, die sich aber nicht wirklich von den Charakteristiken linken Denkens gelöst haben.

    Sie haben sich inhaltlich radikal gewandelt. Aber ich bin nicht sicher, daß sie sich in den Strukturen ihres Denkens ebenso radikal gewandelt haben. Manchmal kommt es mir so vor, daß sie gewissermaßen dieselben Formeln verwenden, nur das Plus durch ein Minus und das Minus durch ein Plus ersetzt haben.


  • Ich habe, anders gesagt (manchmal, wenn auch eher selten, sogar in der Blogokugelzone) den Eindruck, daß man immer noch nach der verbindlichen "Linie" sucht. Daß diejenigen, die zu einem bestimmten Thema anderer Meinung sind, nicht als Leute gesehen werden, die das halt anders beurteilen, - sondern als solche, die sich verirrt haben. Daß man sich über eine andere Meinung nicht freut, sondern den Betreffenden zur Räson zu bringen trachtet.

    Da scheint mir sozusagen die Bekehrung auf halben Weg Halt gemacht zu haben.

    Gewiß, die Inhalte sind radikal anders. Die Sicht ist umgekehrt, wie in einem Spiegel vollständig um eine Achse gedreht.

    Aber dasselbe Denken, das sich vor dreißig Jahren vorbehaltlos auf der Seite der Palästinenser sah, sieht sich nun - so erscheint es mir manchmal - nicht minder vorbehaltlos auf der Seite der Israelis. Diejenigen, die sich China verschrieben hatten, verschreiben sich nun - so scheint mir - mit demselben Engagement den USA. Ein gewisses Zelotentum hat sich neue Inhalte gesucht, aber sich nicht selbst in Frage gestellt.



    Um nicht mißverstanden zu werden: Ich freue mich über jeden Kommunisten, der zur Vernunft gefunden hat. Ich bin auch weit davon entfernt, irgendwen zu kritisieren, weil er sich geirrt und diesen Irrtum eingesehen hat. (Schließlich bin ich ja selbst vom Sozialliberalen zum Liberalkonservativen mutiert).

    Nur sollten diejenigen, die sich einmal radikal geirrt hatten, vielleicht ein wenig tolerant sein. Nur sollten sie nicht mit demselben Anspruch, die Wahrheit abonniert zu haben, jetzt das Gegenteil von dem verkünden, von dem sie in ihrer Jugend überzeugt gewesen waren.

    A bisserl mehr Skepsis, a bisserl mehr Bescheidenheit. A bisserl mehr Einsicht darin, daß die Welt groß genug ist, daß wir alle Unrecht haben können: Das kann man von einem Renegaten, einem Gewendeten, einem Bekehrten, denke ich, schon verlangen.