12. September 2006

Zettels Meckerecke
Greller Spot

Zu dem Verderben, das der Marxismus angerichtet hat, gehört die Verbreitung eines generalisierten Mißtrauens, was die Motive von Menschen angeht. Was immer sie an Triebfedern für ihre Entscheidungen, für ihre Handlungsweisen angeben - der Marxist weiß, daß sie in Wahrheit ihren ökonomischen Interessen folgen. Mag sein, daß die Menschen sich selbst darüber täuschen. Mag sein, daß sie der kollektiven Täuschung eines "falschen Bewußtseins", einer Ideologie, zum Opfer fallen - für den Marxisten gilt es, unter die Oberfläche zu blicken, den Schleier weg- und die Maske herunterzuziehen. Und derart die egoistischen Interessen hervorzuziehen, die - so denkt er, der Marxist, - unser Handeln bestimmen wie die Puppenspieler das Hampeln ihrer Marionetten.

Diese Haltung des mißtrauischen Ökonomisierens ist seit der Zeit der Achtundsechziger zum Gemeingut vielleicht nicht der Deutschen geworden, aber, sagen wir, der Mehrheit der schreibenden Deutschen. Das wollen wir doch mal sehen, ist der Tenor ihrer Schreibe, welche wirtschaftlichen Interessen jemand verfolgt, wenn er sich vordergründig zu einem Sachthema äußert, wenn er gar von Werten, von Anstand, von Persönlichkeitsrechten spricht. So denkt er, der mediokre deutsche Journalist, so schreibt er.



Vergangene Woche ist eine Auseinandersetzung an die Öffentlichkeit gelangt, die die bevorstehende Uraufführung eines Theaterstücks betrifft: Das Hamburger Thalia-Theater probt ein neues Stück von Elfriede Jelinek, von dem man Auszüge unter dem Titel "Ulrike Maria Meinhof" auf Jelineks Website lesen kann; die Uraufführung soll am 28. Oktober sein. Gegen bestimmte Aspekte dieses Stücks hat sich Bettina Röhl, eine Tochter von Ulrike Marie Meinhof, gewandt und Textänderungen verlangt.

Das Hamburger Abendblatt zitiert Bettina Röhl über Jelinek:
"Jelinek zerrt Meinhof als Mutter auf die Bühne und in diesem Zusammenhang auch die real lebenden Menschen in Gestalt von meiner Schwester und mir. Was Jelinek über Mutter Meinhof liefert, ist historisch, faktisch, wenn ich es so positiv als möglich ausdrücken darf, ein einziger Schmarrn. Meinhof wird irgendwie allgemein als so etwas wie Volkseigentum angesehen und diejenigen, die mit Meinhof zu tun hatten oder zu ihrer Familie gehörten, je nach Bedarf gleich mit".
Und in einem weiteren Artikel im Hamburger Abendblatt steht dieses Zitat von Bettina Röhl:
"Ich habe Jelinek persönlich geschrieben und ihr ausführlich den Sachverhalt, die historischen Tatsachen, die Rechte und auch die unerträgliche Perpetuierung des RAF-Mythos, den sie angeblich zerstören will, auseinandergesetzt. (...) Meinhof und auch ich sind Menschen aus Fleisch und Blut und keine Jelinekschen Kunstfiguren."
Verständlich genug, sollte man meinen. Bettina Röhl wehrt sich dagegen, daß ihre Familie zum Gegenstand eines Stücks gemacht wird, mit dessen Tendenz sie nicht einverstanden ist.



Bisher hat sich hauptsächlich das Hamburger Abendblatt des Themas angenommen; aber es beginnt sozusagen geographische Kreise zu ziehen. Gestern hat es die TAZ aufgegriffen, wenngleich erst in ihrer Nordausgabe. Autor oder Autorin ist ein(e) gewisse(r) PS.

PS schreibt unter dem Titel "Greller Spot auf Mutter Meinhof":
"Elfriede Jelinek, des Konservatismus unverdächtig, hat es also gewagt: Im Stück "Ulrike Maria Stuart" konfrontiert sie Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin als konkurrierende Königinnen. Im Mai hat es am Hamburger Thalia Theater eine Probe jenes Stücks gegeben, das der Tochter nun ganz und gar nicht gefällt. Sie verlangt Änderungen. (...) Den Ruf nach einer neuen RAF hört sie in Stemanns Inszenierung. Den Humus für neue Terror-Ideen sieht sie darin keimen. Und überdies ihre Persönlichkeitsrechte verletzt (...)"
So weit, so gut; sieht man vom "keimenden Humus" ab. Aber nun kommt's. Nun kommt es so, wie MarxistInnen sich das Leben vorstellen:
"Was motiviert Bettina Röhl, die sich Freitag zum Gespräch mit dem Thalia-Intendanten Ulrich Khuon traf, aber dann, Änderungen an Inszenierung und Text zu verlangen? Vielleicht die Lust auf Aufmerksamkeit, erzeugbar durch die virtuose Nutzung propagandistischen Bestecks. Ein geschicktes Prozedere in Zeiten, in denen wieder einmal - siehe Eva Herman - über Mutterrollen diskutiert wird. Auch der Ruf nach Wahrung der Privatsphäre ist - siehe den Prozess gegen Maxim Biller - modern und medienkompatibel."
Nicht um ihr Persönlichkeitsrecht geht es Bettina Röhl, hoho, haha. Runter mit der Maske - und was sehen wir dann? Die "Lust auf Aufmerksamkeit", die "virtuose Nutzung propagandistischen Bestecks", ein "geschicktes Prozedere" der Publizistin Röhl, die bekanntlich gerade ein Buch über Ulrike Marie Meinhof publiziert hat.

Schreibt PS, der (oder die) es ja wissen muß, als jemand, der (oder die) "medienkompatibel" die TAZ mit diesem Beitrag beliefert hat.



"Nichts ist verächtlicher, als wenn Literaten Literaten Literaten nennen", hat Tucholsky geschrieben.