In Niedersachsen sind gestern die Oberbürgermeister einer Reihe von Großstädten und einige Regionspräsidenten gewählt worden. Diese Stichwahlen fanden überall dort statt, wo im ersten Wahlgang niemand die absolute Mehrheit erreicht hatte. Dazu meldet die Hannoversche Neue Presse:
Die SPD war auch in der Region Hannover zufrieden: Wie die Hannoversche Allgemeine berichtet, setzte sich dort der SPD-Kandidat Hauke Jagau mit 58,5 Prozent durch. "'Uns ist es gelungen, noch einmal zu mobilisieren und so den Vorsprung zu halten. Das ist das Verdienst der Partei', sagte Jagau", so lesen wir es in der Hannover'schen Allgemeinen.
Wie sah diese Mobilisierung aus? Ein paar Zeilen später erfahren wir es: 27,7 Prozent der Wahlberechtigen gingen in der Region Hannover zur Wahl. In der Stadt Hannover waren es 23,3 Prozent.
Wir rechnen: 58,5 Prozent von 27,7 Prozent macht 16,2 Prozent. Sechzehn komma zwei Prozent der Wahlberechtigten haben also Hauke Jagau zum hannoverschen Regionspräsidenten gewählt. Welch eine Mobilisierung!
Über niedrige Wahlbeteiligungen zu lamentieren ist zur Mode geworden. Sie werden als Ausdruck von "Wahlmüdigkeit", von "Politikverdrossenheit" interpretiert. Manche sehen gar schon eine Krise unserer Demokratie heraufziehen.
Wieso eigentlich? Wenn viele Bürger es nicht der Mühe wert finden, zur Wahl zu gehen, dann deutet das darauf hin, daß sie geringe Unterschiede zwischen den Parteien oder Kandidaten sehen.
Was ist daran schlimm? In den meisten demokratischen Rechtsstaaten geht es heute glücklicherweise nicht jedesmal gleich um eine "Richtungsentscheidung", wie einst in der Weimarer Republik mit ihren oft extrem hohen Wahlbeteiligungen.
Gerade in alten, gut funktionierenden Demokratien ist das so. Die großen Parteien sind sich dort meist in den großen Fragen einig und unterscheiden sich nur in der Akzentsetzung - die Demokraten und die GOP in den USA, die sozial angehauchten Konservativen und die liberalen Blair-Sozialisten in GB, die Sozialdemokraten und die sogenannten bürgerlichen Parteien in Schweden.
Das weist auf einen Konsens der Bürger hin, auf politische Stabilität. Der Souverän entscheidet so, wie ein Aufsichtsrat einen Vorstand bestimmt: Man gibt denjenigen den Vorzug, die weniger verbraucht, die ideenreicher, die besser zur Lösung der aktuellen Probleme geeignet erscheinen. Es geht nicht, wie früher einmal, um einen Kampf der Weltanschauungen, gar um "Klasseninteresse".
Manchmal ergeben sich dennoch polarisierende Situationen. Und dann schnellen auch die Wahlbeteiligungen nach oben. Neunundziebzig Prozent bei den Bundestagswahlen 2002, fast achtundsiebzig Prozent drei Jahre später. Eine ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung bei den letzten US-Präsidentschaftswahlen.
Dies gesagt - die geringe Wahlbeteiligung bei kommunalen Stichwahlen scheint mir dennoch auf ein Problem hinzuweisen. Kein fundamentales wie "Politikverdrossenheit", sondern eher ein pragmatisches.
Warum überhaupt Stichwahlen? Weil man möchte, daß derjenige als Sieger hervorgeht, auf den sich eine Mehrheit einigen kann, auch wenn er nicht bei allen die erste Präferenz genießt. Bei der Hauptversammlung eines Vereins zum Beispiel macht das Sinn: Die beiden Bestplazierten treten im zweiten Wahlgang gegeneinander an. Derjenige, der dann den anderen schlägt, hat die Mehrheit hinter sich. Jedenfalls keine Mehrheit gegen sich. Er ist nicht unbedingt der Favorit der Mehrheit, aber die Mehrheit kann mit ihm am besten leben.
Aber bei einer Hauptversammlung ist eben die Wahlbeteiligung kein kritischer Faktor. Wenn zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang - wie bei deutschen Kommunalwahlen üblich - die Wahlbeteiligung drastisch abrutscht, dann schlägt die Logik der Stichwahl in ihr Gegenteil um: Der im zweiten Wahlgang Gewählte hat dann in der Regel nicht mehr, sondern sogar weniger Wähler hinter sich, als wenn schon im ersten Wahlgang mit relativer Mehrheit eine Entscheidung getroffen worden wäre.
Wenn die Wahlbeteiligung nur noch bei einem Viertel der Wahlberechtigten liegt, dann gewinnt am Ende derjenige, dessen Partei nicht die meisten Unentschlossenen überzeugen, sondern die meisten sicheren eigenen Wähler an die Urnen bringen konnte - die Parteimitglieder also, ihr Umfeld.
Das ist nicht der Sinn demokratischer Wahlen, und schon gar nicht rechtfertigt es den organisatorischen Aufwand eines Zweiten Wahlgangs.
Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) zeigte sich mit den Ergebnissen der Stichwahlen zufrieden. "Wir freuen uns, dass wir in Oldenburg und Salzgitter den Wechsel geschafft haben", sagte Wulff am Abend in Hannover. (...) Auch der Chef der SPD-Landtagsfaktion, Wolfgang Jüttner, wertete die Stichwahlen insgesamt als Erfolg für die Sozialdemokraten. "Wir haben allen Grund, mit dem Tag zufrieden zu sein", sagte er.Zufrieden sind sie, Wulff und Jüttner, offenbar darüber, daß mal (wie in Oldenburg) ein Schwarzer einem Roten, mal (wie in Göttingen) ein Roter einem Schwarzen den Oberbürgermeistersessel abgenommen hat.
Die SPD war auch in der Region Hannover zufrieden: Wie die Hannoversche Allgemeine berichtet, setzte sich dort der SPD-Kandidat Hauke Jagau mit 58,5 Prozent durch. "'Uns ist es gelungen, noch einmal zu mobilisieren und so den Vorsprung zu halten. Das ist das Verdienst der Partei', sagte Jagau", so lesen wir es in der Hannover'schen Allgemeinen.
Wie sah diese Mobilisierung aus? Ein paar Zeilen später erfahren wir es: 27,7 Prozent der Wahlberechtigen gingen in der Region Hannover zur Wahl. In der Stadt Hannover waren es 23,3 Prozent.
Wir rechnen: 58,5 Prozent von 27,7 Prozent macht 16,2 Prozent. Sechzehn komma zwei Prozent der Wahlberechtigten haben also Hauke Jagau zum hannoverschen Regionspräsidenten gewählt. Welch eine Mobilisierung!
Über niedrige Wahlbeteiligungen zu lamentieren ist zur Mode geworden. Sie werden als Ausdruck von "Wahlmüdigkeit", von "Politikverdrossenheit" interpretiert. Manche sehen gar schon eine Krise unserer Demokratie heraufziehen.
Wieso eigentlich? Wenn viele Bürger es nicht der Mühe wert finden, zur Wahl zu gehen, dann deutet das darauf hin, daß sie geringe Unterschiede zwischen den Parteien oder Kandidaten sehen.
Was ist daran schlimm? In den meisten demokratischen Rechtsstaaten geht es heute glücklicherweise nicht jedesmal gleich um eine "Richtungsentscheidung", wie einst in der Weimarer Republik mit ihren oft extrem hohen Wahlbeteiligungen.
Gerade in alten, gut funktionierenden Demokratien ist das so. Die großen Parteien sind sich dort meist in den großen Fragen einig und unterscheiden sich nur in der Akzentsetzung - die Demokraten und die GOP in den USA, die sozial angehauchten Konservativen und die liberalen Blair-Sozialisten in GB, die Sozialdemokraten und die sogenannten bürgerlichen Parteien in Schweden.
Das weist auf einen Konsens der Bürger hin, auf politische Stabilität. Der Souverän entscheidet so, wie ein Aufsichtsrat einen Vorstand bestimmt: Man gibt denjenigen den Vorzug, die weniger verbraucht, die ideenreicher, die besser zur Lösung der aktuellen Probleme geeignet erscheinen. Es geht nicht, wie früher einmal, um einen Kampf der Weltanschauungen, gar um "Klasseninteresse".
Manchmal ergeben sich dennoch polarisierende Situationen. Und dann schnellen auch die Wahlbeteiligungen nach oben. Neunundziebzig Prozent bei den Bundestagswahlen 2002, fast achtundsiebzig Prozent drei Jahre später. Eine ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung bei den letzten US-Präsidentschaftswahlen.
Dies gesagt - die geringe Wahlbeteiligung bei kommunalen Stichwahlen scheint mir dennoch auf ein Problem hinzuweisen. Kein fundamentales wie "Politikverdrossenheit", sondern eher ein pragmatisches.
Warum überhaupt Stichwahlen? Weil man möchte, daß derjenige als Sieger hervorgeht, auf den sich eine Mehrheit einigen kann, auch wenn er nicht bei allen die erste Präferenz genießt. Bei der Hauptversammlung eines Vereins zum Beispiel macht das Sinn: Die beiden Bestplazierten treten im zweiten Wahlgang gegeneinander an. Derjenige, der dann den anderen schlägt, hat die Mehrheit hinter sich. Jedenfalls keine Mehrheit gegen sich. Er ist nicht unbedingt der Favorit der Mehrheit, aber die Mehrheit kann mit ihm am besten leben.
Aber bei einer Hauptversammlung ist eben die Wahlbeteiligung kein kritischer Faktor. Wenn zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang - wie bei deutschen Kommunalwahlen üblich - die Wahlbeteiligung drastisch abrutscht, dann schlägt die Logik der Stichwahl in ihr Gegenteil um: Der im zweiten Wahlgang Gewählte hat dann in der Regel nicht mehr, sondern sogar weniger Wähler hinter sich, als wenn schon im ersten Wahlgang mit relativer Mehrheit eine Entscheidung getroffen worden wäre.
Wenn die Wahlbeteiligung nur noch bei einem Viertel der Wahlberechtigten liegt, dann gewinnt am Ende derjenige, dessen Partei nicht die meisten Unentschlossenen überzeugen, sondern die meisten sicheren eigenen Wähler an die Urnen bringen konnte - die Parteimitglieder also, ihr Umfeld.
Das ist nicht der Sinn demokratischer Wahlen, und schon gar nicht rechtfertigt es den organisatorischen Aufwand eines Zweiten Wahlgangs.