23. November 2012

Zettels Meckerecke: "Die besten Zeitungen der Welt" - ausgerechnet in Deutschland? Doch wohl eher "abstoßende Konformität der Meinungen"

Der Chefredakteur einer der größten (Wochen-)Zeitungen Deutschlands hat in der aktuellen Ausgabe seines Blatts einen Artikel publiziert, in dessen Vorspann steht, hierzulande gebe es "die wohl besten Zeitungen der Welt".

Nichts gegen ein gesundes Selbstbewußtsein; aber wie kommt Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der "Zeit" zu dieser erfreulichen Bewertung? Im Text wird das nicht recht deutlich; dort wird die Behauptung nur - in einer zierlicheren Formulierung - wiederholt. Die Rede ist nun von der "in ihrer Vielfalt, Ernsthaftigkeit und Unabhängigkeit vielleicht besten Medienlandschaft der Welt".

Vielfalt? Wieso ist die deutsche Medienlandschaft vielfältiger als die, sagen wir, Frankreichs, der USA oder Englands? Unabhängigkeit? Ja, sind denn die New York Times, die Washington Post, Le Monde und der Guardian abhängiger als die FAZ oder die "Welt"?

Bleibt die Ernsthaftigkeit. Wenn di Lorenzo damit einen öden Stil meint, dann mag er Recht haben. Gerade sein Blatt fällt selten durch knackige Formulierungen auf. Daß die Journalisten anderer Länder aber mit weniger Ernst ihrem Beruf nachgingen als die deutschen, wird di Lorenzo wohl kaum belegen können.

Das eigentliche Thema seines Artikels ist die Frage, welche Chance gedruckte Zeitungen noch im digitalen Zeitalter haben.

In diesem Kontext kommt er zu einer Charakterisierung der deutschen Medien, die nun allerdings sein Lob auf bemerkenswerte Weise dementiert:
Allerdings ist das gedruckte Medium überhaupt nicht am Ende, es muss sich nur immer wieder öffnen für jene, die es erreichen will. Es darf sein Relevanzversprechen nicht brechen durch eine permanente Skandalisierung des politischen Lebens oder eine auf Dauer abstoßende Konformität der Meinungen.
Permanente Skandalisierung des politischen Lebens. Eine auf Dauer abstoßende Konformität der Meinungen.

Gut gesagt. Und ein wenig näher an der Wahrheit als das vollmundige "beste Zeitungen der Welt".



Wenn man die deutsche "Qualitätspresse" mit den seriösen Zeitungen anderer Länder vergleicht, dann fällt in der Tat das auf, was di Lorenzo nennt:

Das Meinungsspektrum ist erstens eng. Allein unter den Kommentatoren und Kolumnisten der Washington Post gibt es eine größere Meinungsvielfalt - von weit links bis ausgeprägt konservativ - als in der gesamten deutschen Qualitätspresse.

In Deutschland ist man nicht prononciert, sondern ausgewogen; was heißt, daß alles sich in der linken Mitte drängt. Das ist für den Leser nicht gerade aufregend. Die Aufregung soll dann das liefern, was die Lorenzo die "permanente Skandalisierung" nennt. Affären, oft nur Affärchen, von Guttenberg über Wulff bis jetzt aktuell zu Steinbrück, sollen die Würze bringen; sollen der Fadheit entgegenwirken, die sich bei einer "abstoßenden Konformität der Meinungen" nun allerdings einstellt.
Zettel



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