30. November 2012

Zettels Meckerecke: Der Unfug mit der "Kanzlermehrheit"

Wieder einmal wird nach einer Abstimmung, die von der Regierung deutlich gewonnen wurde, gemäkelt, es sei aber keine "Kanzlermehrheit" erreicht worden. "Merkel verfehlt die Kanzlermehrheit" titelt "Spiegel-Online" aktuell. Und auch in FAZ.Net heißt es: "473 Abgeordnete stimmt mit 'Ja'. Eine Kanzlermehrheit brachte die Koalition nicht zustande".

So war es beispielsweise auch im Februar dieses Jahres, als es ebenfalls um ein Rettungspaket für Griechenland gegangen war. Jetzt könnte ich eigentlich diese Meckerecke schon beenden und auf das verweisen, was ich damals geschrieben habe:
Hat Angela Merkel am Montag die Kanzlermehrheit verfehlt? Keineswegs. Entsprechende Berichte sind schlicht falsch; ZR vom 29. 2. 2012
Vielleicht mögen Sie das nachlesen. Hier eine Kurzfassung:

"Kanzlermehrheit" ist eine saloppe Bezeichnung für das, was in Artikel 121 des Grundgesetzes definiert ist:
Mehrheit der Mitglieder des Bundestages und der Bundesversammlung im Sinne dieses Grundgesetzes ist die Mehrheit ihrer gesetzlichen Mitgliederzahl.
Eine solche Mehrheit ist vor allem - aber nicht ausschließlich - bei der Wahl des Kanzlers in den ersten beiden Wahlgängen erforderlich; daher die Bezeichnung "Kanzlermehrheit".

Wurde bei der heutigen Abstimmung die Kanzlermehrheit verfehlt? Keineswegs: Das Gesetz zur Griechenlandhilfe erhielt 473 Stimmen; weit mehr als die Kanzlermehrheit von 311 Stimmen.

Nicht alle diese Stimmen kamen aus dem Lager der Koalition; aber das spielt für die Kanzlermehrheit keine Rolle. Wer den Kanzler wählt, ist für das Ergebnis unerheblich und bei dieser geheimen Abstimmung auch gar nicht zu ermitteln. Auch wenn bei offener Abstimmung eine Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder erforderlich ist, bleibt es völlig irrelevant, aus welchen Fraktionen die Stimmen kommen.

Die Regierung hat also die Kanzlermehrheit mühelos erreicht. Hatte sie auch eine eigene Mehrheit? Ja, ebenfalls. An der Abstimmung nahmen 584 Abgeordnete teil. Von ihnen stimmten aus den beiden Regierungsfraktionen 297 für das Gesetz. Die absolute Mehrheit hätte bei 293 Abgeordneten gelegen.

Die Sachlage ist also sehr einfach:

Die Regierung hat die Kanzlermehrheit erreicht, denn deutlich mehr als 311 Abgeordnete stimmten mit "ja".

Die Regierung hat eine eigene absolute Mehrheit erreicht, denn selbst dann, wenn alle Abgeordneten der Opposition, die an der Abstimmung teilnahmen, mit "nein" gestimmt hätten, wäre das Gesetz mit 297 zu 287 Stimmen angenommen worden.



Was also soll das Gerede von der "verfehlten Kanzlermehrheit"? Der Regierung schaden; eine andere Erklärung sehe ich nicht.

Man verrührt zwei Dinge, die nichts miteinander zu tun haben: Die Frage, ob eine Kanzlermehrheit erricht wurde, und die Frage, ob eine Regierung eine eigene Mehrheit hatte, also auch ohne Stimmen aus der Opposition ein Gesetz hätte durchbringen können.

Heute hatte die Regierung eine eigene Mehrheit. Heute wurde die Kanzlermehrheit erreicht. Die Mäkelei hängt sich an einem Konstrukt auf, das es in keiner gesetzlichen Bestimmung gibt und das auch gar keinen Sinn macht: Einer Kanzlermehrheit, die zugleich auch noch eine eigene Mehrheit sein soll.
Zettel



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