29. November 2012

Doch Leben auf dem Mars? Curiosity hat etwas gefunden - aber was? Anmerkungen zu Wissenschaft und Öffentlichkeit


Zuerst habe ich es gestern in der New York Times (NYT) gelesen. Eine kleine Recherche ergab, daß hinter deren Meldung eine Geschichte steckte, die in doppelter Hinsicht interessant ist.

Zum einen geht es um eine Frage, die nicht nur Science-Fiction-Fans bewegt: Gibt es Leben außerhalb der Erde; vielleicht gar auf unserem Nachbarplaneten Mars? Zweitens illustriert die Geschichte das komplizierte Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Forschung und der Öffentlichkeit; und zwar in doppelter Hinsicht:

Wissenschaft besteht größtenteils aus mehr oder weniger gut belegten, im günstigsten Fall sehr gut belegten Vermutungen. Die Öffentlichkeit aber will klare Antworten. Man will wissen, was "die Wissenschaft herausgefunden hat". Ehrliche Wissenschaftler können mit sicher Herausgefundenem meist nicht dienen.

Würden sie über eigene unbegrenzte Geldquellen verfügen, dann könnten die Wissenschaftler diese Erwartung der Öffentlichkeit ignorieren und ehrlich sagen, daß es ihnen an unbezweifelbarem Wissen mangelt. Aber sie brauchen - das ist der zweite Aspekt - Forschungsgelder, und diese hängen wesentlich davon ab, daß ihnen Steuermittel bewilligt werden. Also neigen Wissenschaftler dazu, sich hinsichtlich ihrer Ergebnisse sicherer zu geben, als sie das eigentlich vertreten können.

Vor allem in der Raumforschung gibt es diese Neigung, da deren Finanzierung entscheidend von der Politik abhängt. Wer gute Forschung machen will, der muß den Kongreß und also die Öffentlichkeit davon überzeugen, daß er mit spektakulären Resultaten wird aufwarten können.

Die NASA, für die viele dieser Wissenschaftler arbeiten, ist folglich eine Agentur nicht nur für Raumfahrt, sondern auch eine Agentur zur Selbstdarstellung gegenüber der Öffentlichkeit. Vielleicht mögen Sie einmal auf deren WebSite gehen und sich ansehen, mit welchem Aufwand sich die NASA präsentiert.



Jetzt also geht es um Leben auf dem Mars. Die Meldung der NYT beginnt so:
The Mars rover Curiosity has found something — something noteworthy, in a pinch of Martian sand. But what is it?

The scientists working on the mission who know are not saying. Outside of that team, lots of people are guessing.

Das Marsfahrzeug Curiosity hat etwas gefunden - etwas Bemerkenswertes, in einem Häufchen Marssand. Aber was ist es?

Die mit dem Projekt befaßten Wissenschaftler, die Bescheid wissen, sagen nichts. Außerhalb dieses Teams stellen Leute massenhaft Vermutungen an.
Der Ursprung der Geschichte ist ein Interview, das vor gut einer Woche ein Wissenschaftler dem National Public Radio gegeben hatte; einer öffentlich-rechtlichen Senderkette in den USA, die vor allem Bildungs- und Wissen­schafts­sendungen bringt. Die Sendung mit dem Interview dauert viereinhalb Minuten; sie können sie sich hier anhören.

Der Wissenschaftler war Professor John Grotzinger, der wissenschaftliche Leiter des Curiosity-Projekts. Im vergangenen August hat er in der New York Times dieses Projekt, seine Ziele und seine Methoden anschaulich beschrieben.

Zum ersten Mal seit fast vier Jahrzehnten soll wieder nach Spuren von Leben auf dem Mars gesucht werden. Damals - 1975/76 - hatten das die beiden Sonden Viking 1 und Viking 2 tun sollen; aber die Ergebnisse waren unklar geblieben.

Es war damals so, wie es in der Wissenschaft die Regel ist: Man fand Hinweise (evidence) auf Leben; aber diese Daten ließen sich auch anders interpretieren. Da Wissenschaftler konservativ sind, wurde es zur herrschenden Meinung, daß es für die Existenz von Leben auf dem Mars keine ausreichenden Belege gibt.

Jetzt soll Curiosity diesen damals fallengelassenen Faden wieder aufnehmen (siehe zu diesem Projekt Curiosity - Höhepunkt der bisherigen Marsforschung; ZR vom 5. 8. 2012).

Seine Aufgabe ist es allerdings nicht, direkt nach Leben zu suchen; sondern nach Bausteinen des Lebens - organischen Substanzen. Findet man sie, dann könnte es auf dem Mars Leben gegeben oder gegeben haben. Man hätte eben wieder nur evidence, nur einen Hinweis.

Solche Kohlenstoffverbindungen findet man auf vielen Meteoriten; sie scheinen im All weit verbreitet zu sein. An sich wäre es also keine Überraschung, sie auch auf dem Mars zu finden. Wenn nicht, dann würde das wohl bedeuten, daß die dortigen Bedingungen ungünstig für die Entstehung von Leben sind.

Um das zu klären, wurde Curiosity an einer Stelle abgesetzt, wo die Bedingungen besonders günstig sein sollten - dem Krater Gale mit dem Mount Sharp in seiner Mitte. Dort hat es sehr wahrscheinlich einmal Wasser gegeben, und in seinen Tonschichten könnten sich organische Substanzen - wenn es sie denn auf dem Mars gibt - besonders gut erhalten.

Curiosity hat einen kleinen Schaufelbagger, mit dem es den Marsboden aufgraben kann. Es befördert ihn dann in ein An-Bord-Labor (Sample Analysis on Mars; SAM), das über vielfältige Möglichkeiten zur chemischen Analyse verfügt.



Und was ist nun herausgekommen? In den Interview sagte Professor Grotzinger, man habe "etwas Bemerkenswertes" gefunden. Diese Daten wären "für die Geschichtsbücher". Es sehe "wirklich gut aus".

Mehr wollte er nicht verraten. Am kommenden Montag gibt es in San Francisco eine Konferenz der Vereinigung der amerikanischen Geophysiker. Dort wird Grotzinger einen Vortrag halten und vielleicht mehr berichten. Allerdings hat er schon gesagt, daß die Auswertung der jetzigen Daten noch Wochen dauern wird.

Der Reporter, der das Interview machte, vermutet, daß die NASA liebend gern eine Meldung der Art hätte: "Wir haben jetzt den Beweis dafür, daß es Leben auf dem Mars gegeben hat". Aber Grotzinger wird das nicht liefern können. Erstens, weil evidence eben in den seltensten Fällen ein "Beweis" ist; meist nur ein Hinweis. Und zweitens, weil organische Substanzen zwar Bausteine von Leben sein können, aber auch außerhalb von lebenden Organismen vorkommen.

Manchmal allerdings kann man das gut unterscheiden. Curiosity ist auch dafür eingerichtet, nach Spuren von Methan zu suchen. Sein Spektrometer kann zwischen zwei Isotopen des im Methan enthaltenen Kohlenstoffs unter­scheiden, 12C und 13C. Das Verhältnis der Anteile dieser beiden Isotopen des Kohlenstoffs ist bei Methan organischer Herkunft anders als bei Methan anorganischer Herkunft. Durch Bestimmung dieses Verhältnisses kann man also Methan entdecken, das biologischen Ursprungs ist.

Eine solche Entdeckung - wenn denn Methan überhaupt gefunden wird - wäre vielleicht wirklich etwas für die Geschichtsbücher.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Abbildung: NASA. Als Werk der US-Regierung gemeinfrei. Mit Dank an SF-Leser.