Um mit einer Aktualisierung des Auftakts anzufangen, mit dem ich meinen Beitrag vom 4. März begann: Ich schreibe dies hier am Tag 128 des 28-tägigen "Wellenbrecher-Lockdowns," den wir unbedingt benötigen, um Weihnachten 2020 unbeschwert im Kreis unserer Familie feiern zu können. Bekanntlich ist diese Maßnahme gestern auf der Konferenz der Bundesminister und der Regierungspräsidenten aufgrund des überwältigenden Erfolges in die sechste Verlängerung bis zum Tag 154 gegangen.
Niemand dürfte daran gezweifelt haben, daß die erneute Verlängerung schon lange vor der gestrigen MPK eine beschlossene Sache war; so sicher, wie es jetzt schon feststehen dürfte, daß auch das nächste Treffen am 12. April nur der weiteren unabsehbaren Forsetzung des Lockdowns dienen wird. Frau Merkel und ihre Getreuen (das Wort "Hofstaat" verkneife ich mir, um nicht in billige Polemik abzugleiten, auch wenn es die Sache gut trifft) haben seit dem erneuten Herunterfahren der Wirtschaft und der Kasernierung der Bürger im Spätherbst - und eigentlich schon seit dem ersten Lockdown vor nun über einem Jahr - kein Mittel gefunden, das ihnen den Anschein eines "entschlossenen Handelns" verliehen hätte. Die bewußte Torpedierung der Impfstoffbeschaffung, die grell sichtbare Weigerung, Strategien zur erfolgreichen Bekämpfung der Pandemie wie in Ostasien, Australien, Neuseeland oder auch bei uns vor Ort wie in Rostock oder Tübingen auch nur zur Kenntnis zu nehmen - geschweige denn, daraus etwas zu lernen - spricht Bände.
Nun gibt es den alten und bewährten Grundsatz, nicht Absicht und planvolles Handeln zu unterstellen, wenn Unfähigkeit, Blindheit der Akteure und administratives Chaos als Erklärung ausreichen. Aber nach einem Jahr fortgesetzten Scheiterns, nach Versagen auf allen Ebenen, nach dem Ausbleiben auch der kleinsten Konsequenzen für die, die hier ihre Unfähigkeit vor aller Augen wieder und wieder vorführen, fällt dies zusehends schwerer. Das Versagen von Gesundheitsminister Spahn bei der Beschaffung von Masken und Schutzkleidung vor einem Jahr, das Versagen bei der Entwicklung einer wirksamen und zuverlässigen Corona-Warn-App, die planvolle Sabotierung einer ausreichenden Impfstoffbeschaffung durch Frau Merkel, die Nichtbeschaffung von Schnelltests, auf die die im Februar versprochene Lockerungsstrategie angewiesen ist, der hanebüchene Schlendrian beim Genehmigungsverfahren für die November- und Dezemberhilfen, der zu massenhaftem Betrug einlud und jetzt zum Aussetzen dieser Überlebenshilfen für Handel und Gastronomie geführt hat: wollte man unterstellen, hier sei ein planvoll organisiertes Verbrechen durch diesen Staat in Szene gesetzt worden, ließen sich zumindest beunruhigend viele Punkte für einen Anfangsverdacht anführen.
Wenn aber gestern, bei der armseligen Veranstaltung der Ministerpräsidentenkonferenz, jenem Gremium, dem nach den Bestimmungen der Gesetze keinerlei Weisungsbefugnis zusteht (das Wort "Affentheater" verkneife ich mir aus den gleichen Gründen wie den "Hofstaat") eines deutlich geworden sein sollte, und zwar auch dem Staatsgläubigsten und Mediengetreuesten, dann dies: daß diese Regierung, daß Frau Merkel, ihre Ministerrunde und die Regierungspräsidenten der 16 Bundesländer nicht nur unfähig sind, der Pandemie Herr zu werden, sondern vor allem eins: UNWILLIG. Anders ist dieses Agieren, dieses Nicht-Agieren, dieses Schein-Handeln nicht mehr zu deuten.
Nur um es noch einmal herauszustreichen: die Beschlüsse der MPK betreffen das fortgesetzte Herunterfahren der Wirtschaft dieses Landes, das Kassieren der zaghaften Lockerungen, das Kasernieren der Bürger und die Beschneidung der Grundrechte. Eben diese Bürger dürfen nicht nur verlangen, daß diese Sitzungen in den Wochen, die ihnen vorausgehen, penibel vorbereitet werden, daß die Entwirklung der Neufälle, der Intensivbettenbelegung in sie eingeht, daß aus den in anderen Ländern gemachten Erfahrungen Bilanz gezogen wird. Die Bürger dürfen darauf bestehen, daß diese Regierung, diese Ministerien dieser Aufgabe nachkommen. ES GIBT SEIT NUNMEHR EINEM JAHR KEINE ANDERE AUFGABE DER POLITIK MEHR. KEINE.
Stattdessen meldete etwa gestern der News-Ticker des FOCUS dies:
18.32 Uhr: Auf dem Corona-Gipfel ist die Kanzlerin offenbar mit Verkehrsminister Scheuer aneinandergeraten. Wie die "Bild" berichtet habe der CSU-Politiker auf der Sitzung die Aufgabe bekommen, die Airlines anzufragen, ob diese ihre Passagiere bei der Einreise testen können.
Doch in der kurzen Zeit erreichte der Minister offenbar nicht jede Airline: "Ja, also ich habe jetzt in anderthalb Stunden noch nicht alle erreicht. Aber einen habe ich abgedeckt: Lufthansa/Eurowings könnten das wohl machen", soll der Minister berichtet haben. Daraufhin habe er eine trockene Antwort der Kanzlerin bekommen: "Immerhin hast du mit einer Airline telefoniert."
Auf die Gefahr hin, dies auf Klippschul-Niveau auszubreiten (offensichtlich ist dies bei diesem Amtsträgern tatsächlich notwendig): für Flug- und Fernreisen ist die Durchführung einer Schnelltest-Strategie das A und O - neben dem Immunitätsnachweis durch Impfung oder überstandener Infektion, womit es in diesem Land bekanntlich armselig steht. Bekannt ist dies spätestens seit dem vergangenen Sommer; den zuständigen Ministerien und Amtsträgern MUSS es seit damals klar sein, das dies zur Grundvoraussetzung für die Rückkehr zum Status quo ante zählt. Und nicht einmal seit dem letzten "Corona-Gipfel" vor drei Wochen haben es Kanzleramt und Verkehrsministerium als zuständige Stellen für nötig befunden, diese Frage im Vorab zu klären? Eine Behörde mit tausenden von Beamten, mit Dutzenden von Staatsskretären? Stattdessen wird der zuständige Bundesminister mal eben, unvorbereitet, mitten in der Krisensitzung, damit beauftragt, diese Frage durch Herumtelefonieren zu klären, wie ein kleiner Abteilungsleiter? (Und somit ohne schriftliche Belege und Aktenvorgänge??) Dergleichen fällt nicht mehr unter "Dilettantismus," dafür muß erst noch ein Wort erfunden werden.
Genau in dieses Bild fügt es sich, wenn die Frau Bundeskanzler die Sitzung mal eben für sieben Stunden (!) von halb sieben bis weit nach Mitternacht unterbricht, weil sie sich sperrt, gemäß der medialen Hofberichterstattung, ihren Namen unter einen Passus zu setzen, der Osterurlaub unter Quarantänebedingungen im eigenen Bundesland zuläßt. Und es fügt sich darin, was die Frau Kanzler ihren Untertanen als Ostergabe aufs Auge drückt unter der Bezeichnung "Erweiterte Ruhezeit zu Ostern": die Deklarierung von Gründonnerstag und Karsamstag als "Ruhetage," die Schließung selbst der Lebensmittelmärkte über einen Zeitraum von fünf Tagen. (Als huldvollen Gnadenakt hat sie uns schließlich den Samstag noch zugestanden.) Ostern ist für viele Familien aufgrund des hohen Festtagscharakters und der drei Feiertage schon in krisenfreien Zeiten eine logistische Herausforderung. Nicht einmal vor einem Jahr, als angesichts der Bilder aus Wuhan und Bergamo ein unkontrolliertes exponentielles Wachstums und ein Kollaps der intensivmedikzinischen Versorgung durchaus realistisch schienen, hat sich diese Regierung zu solchen Maßnahmen entschlossen.
Und vor allem: gerade wenn die Bundesregierung von der größeren Bedrohung durch die Mutantion B.1.1.7 überzeugt ist (O-Ton Merkel gestern: "Wir haben eine neue Pandemie") - nach mehr als vier Monaten "Lockdown II" und den daraus resultierenden Verlaufskurven der Neufälle sollte selbst einem Herrn Spahn und einer Frau Merkel begreiflich sein, daß zwei Tage der Zusperrens der Lebensmittelversorung keinerlei Auswirkung auf den Verlauf der Pandemie in den nächsten Wochen haben werden.
Nein: hier ist unübersehbar, daß es um etwas anderes geht: um Schikane. Um willkürliche Zumutungen an den Bürger, den Souverän, einzig aus dem Grund, weil die Kamarilla, die sich Regierung nennt, dies leisten kann. Weil die Bürger diesen Zumutungen wehrlos ausgeliefert sind. Und sie werden es so lange fortsetzen, bis sie durch äußere Umstäände daran gehindert werden. Wenn wir eines gelernt haben aus der endlosen Kette der desaströsen Fehlentscheidungen, für die Frau Merkel seit 10 Jahren verantwortlich ist - vom Atomausstieg bis zur Grenzöffnung und der unterbliebenen "Rückführung" und "europäischen Lösung der Flüchtlingsfrage", dann ist es dies: NIEMALS ist eine solche Entscheidung korrigiert und zurückgenommen worden, nie war der Rest des Personals auch nur ansatzweise fähig oder auch nur gewillt, Merkels autokratische Alleingänge zu beenden. Und daß die Bürger dieses Landes in der Lage sind, von sich aus "den Aufstand zu proben" - sei als per Wahlentscheid oder durch einen tatsächlichen Generalstreik, dürfte ebenfalls als gesichert gelten. (Eine ironische Volte des Weltgeistes hat es so gefügt, daß ein solcher "Generalstreik" unter Corona-Bedingungen so aussehen würde, daß die Geschäftsinhaber und Gastronomen, die Käufer und Handwerker nicht ihre Arbeitskraft verweigern, sondern die Einschränkungen, die ihnen diese Regierung auferlegt, schlicht per Levée en masse ignorieren.)
Das Oberverwaltungsgericht Münster hat gestern per Gerichtsbeschluß verfügt, daß sämtliche Einschränkungen des Geschäftslebens unrechtmäßig und sofort aufzuheben sind. Da die Klage auf die Ungleichbehandlung einiger Branchen abhob (etwa des Buchhandels, der seit Anfang der Woche wieder öffnen darf), hat die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen umgehend damit reagiert, diese punktuellen Lockrungen zurückzunehmen, obwohl dies im Maßnahmenkatalog zu Anfang des Monats ausdrücklich so vorgesehen war. Von dieser Regierung, ob nun auf Landes- oder Bundesebene, hat der Bürger keinerlei Hilfe mehr zu erwarten. Die Rechts- und Planungssicherheit ist nicht mehr gegeben. Welche Folgen sich daraus, neben den verheerenden Konsequenzen des wirtschaftlichen Lockdowns, ergeben, steht noch dahin. Aus der Sicht der Bürger gibt es keinen Grund mehr, sich dem Generalstreik gegen die Regierung zu verweigern, zu entziehen. Außer dem realististischsten, dem naturgegebenen: weil der Leidensdruck auf die Bevölkerung noch längst nicht groß genug geworden ist, um gegen diese Regierung - und das heißt eben auch: gegen diesen Staat, dem drei Generationen die Werte der Freiheit und der Demokratie verdanken, auf die Barrikaden zu gehen und radikal die Gefolgschaft aufzukündigen.