Nein - diesmal geht es nicht um die unendliche Fortsetzungsgeschichte der verschleppten Impfkampagne, um die mangelenden Bestellungen, die leerstehenden Impfzentren, die Ausschließung der Hausärzte. Und doch reiht sich auch dieses Versagen nahtlos in die schier endlose Kette der Aussetzer und Versäumnisse ein, die seit nun mehr als dreizehn Monaten den Umgang dieser Regierung mit der Corona-Pandemie ausmachen.
Eigentlich kann man sich jeden Kommentar hierzu sparen. Man braucht nur die Meldung herzusetzen, die zuerst am Montag vom Magazin "Business Insider" zuerst verbreitet wurde: als weiteres Steinchen in einem Mosaik des Staatsversagens, als ein weiterer Eintrag in einem "Echolot", wie es vor einem Vierteljahrhundert Walter Kempowski aus zahlosen Zeitungsmeldungen, Briefen und Tagebucheinträgen zusammengetragen hat - nur diesmal als Protokoll der Gegenwart der angehenden 2020er Jahre in Deutschland.
In der Meldung der "Welt" heißt es heute zum Sachverhalt:
"Wegen des Verdachts auf Betrügereien hat die Bundesregierung die Auszahlung von Corona-Hilfen gestoppt. Eine Sprecherin des Wirtschaftsministerium sagte "Business Insider", betroffen seien mehrere Hilfsprogramme. „Es gebe den Verdacht auf Täuschung und Betrug."
"Es sind nur wenige Sätze, die das Bundeswirtschaftsministerium fast schon verschämt am späten Freitagnachmittag auf einer Unterseite seiner Homepage versteckt hat: „Verdacht auf Betrugsversuche bei Corona-Hilfen“, heißt es da. Und weiter: „Die zuständigen Stellen haben bereits Ermittlungen aufgenommen. Schade, dass hier versucht wird, die Not unserer Unternehmen in der Corona-Krise auszunutzen und sich die von vielen dringend benötigte staatliche Hilfe zu ergaunern.“
"Um was es konkret geht, erklärt das Ministerium nicht. Womöglich aus gutem Grund, geht es doch nach Recherchen von „Business Insider“ um einen groß angelegten Betrug, der regierungsintern als politisch durchaus brisant bewertet wird.
"Denn offenbar haben bislang Unbekannte ein Schlupfloch in gleich mehreren Corona-Hilfen des Bundes ausgenutzt, täuschten sowohl das Bundeswirtschaftsministerium als auch Landesbehörden. Betroffen sind dem Vernehmen nach die November- und Dezemberhilfen sowie die Überbrückungshilfen I bis III.
"Die betroffenen Programme richten sich an Firmen, Selbstständige und Vereine. November- und Dezemberhilfen konnten die beantragen, die seit Anfang November 2020 von Lockdown-Schließungen betroffen waren. Für die Dauer der Schließungen zahlt der Bund über die Länder einen einmaligen Zuschuss von bis zu 75 Prozent des jeweiligen Umsatzes im November beziehungsweise Dezember 2019. Firmen, Selbstständige oder Vereine, die erst ab Mitte Dezember schließen mussten, bekommen dagegen Überbrückungshilfen. Diese orientieren sich an den Fixkosten.
"Damit die Firmen schneller an ihr Geld kommen, zahlt der Bund seit Wochen Abschläge. Insgesamt flossen dabei mehr als sieben Milliarden Euro."
Die BILD-Zeitung ergänzt dazu, ebenfalls heute:
"Bei der Auszahlung der Abschlagszahlungen für die November- und Dezemberhilfen hat das Wirtschaftsministerium von Peter Altmaier (CDU) die Bankverbindungen der Antragssteller nicht mit den Daten der Finanzämter abgeglichen, meldet bild.de. Eine entsprechende Schnittstelle fehle in der Software, mit der die Firmen die staatlichen Zahlungen beantragen konnten. Die Abschlagszahlungen seien dann ohne Prüfung ausgezahlt worden.
"Das Ministerium habe auf Anfrage bestätigt, dass die Korrektheit der Daten nicht durch das Ministerium geprüft worden sei, sondern lediglich durch die mit dem Antrag befassten Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwälte. Zu Wochenbeginn wurden nun sämtliche Hilfszahlungen gestoppt, weil „in einigen Fällen“ der Verdacht bestehe, dass staatliche Hilfsgelder von Betrügern erschlichen worden seien, wie das Ministerium zuvor mitgeteilt habe."
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Trotzdem seien ein paar Worte hinzugefügt, um das Kaliber dieses Versagens zu umreißen. Um die wirtschaftlichen Folgen des Herunterfahrens und Zuschlißens wenigstens ansatzweise abzumildern, hat die Bundesregierung mittlerweile nicht weniger als neun Hilfsprogramme aufgesetzt. Die "Tagesschau" nannte gestern dazu konkrete Summen:
"Seit Beginn der Coronakrise wurden nach Angaben des Ministeriums bereits mehr als 86 Milliarden Euro Staatshilfen für die Wirtschaft bewilligt. Allein für die sogenannte Überbrückungshilfe III, die seit dem 10. Februar beantragt werden kann, wurden demnach Abschlagszahlungen in einer Höhe von mehr als 650,7 Millionen Euro ausgezahlt."
In der nächsten Woche, am 16. März, jährt sich der erste "Lockdown" zum ersten Mal. Es war auch schon vor einem Jahr zu erwarten, daß es wahrscheinlich war, daß es nicht bei diesem einen Mal bleiben würde: von allen Regierungsstellen ist das seit nun 12 Monaten so kommuniziert worden. Es galt, sich auf diese Eventualität vorzubereiten - gerade, weil die Coronakrise dieses Land überrumpelt hat. Aber in einem geschlagenen Jahr haben sich die Ministerien dieses Landes nicht in der Lage gesehen, Programme und Verfahrensweisen aufzustellen, die einheitliches Handeln ermöglichen und zumindest den dreistesten Betrugsversuchen einen Riegel vorschieben. Stattdessen sieht man sich genötigt, das wenige, was an Hilfe fießt, auch noch zu torpedieren, weil man auf den ältesten "Enkeltrick" (so der Kollege Danisch gestern) hereingefallen ist.
Es fügt sich aber nahtlos ins Bild, wenn die Bundesregierung zum Auftakt des neuen Jahres als Erfolgsmeldung verkündet: jetzt (!) seien alle Gesundheitsämter dieses Landes in der Lage, ihren aktuellen Datenstand per EDV an das Robert Koch-Institut zu übermitteln, anstatt auf Fax angewiesen zu sein; wenn heute zu lesen ist, daß die Software "Sormas", die einen einheitlichen Datenabgleich der einzelnen Gesundheitsämter ermöglichen soll und auf deren Einführung seit dem vergangenen Sommer gedrängt wird, bis heute kaum genutzt wird, wenn in den letzten Tagen mehrere Abgeordnete der Regierungspartei CDU ihre politischen Ämter ruhen gelassen haben, weil sie im Verdacht der Vorteilnahme und persönlichen Bereicherung bei der Beschaffung von Schutzmasken stehen. Wenn der Wirtschaftsminister und voraussichtliche SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz am Montag, den 8. März vollmundig ankündigt, das (im Vergleich mit England, Israel und den USA) deplorable Schneckentempo der deutschen Impfkampagne werde Ende März in eine Turbo-Phase mit bis zu 10 Millionen Impfungen pro Woche (!) übergehen, "dafür habe ich gesorgt" - und zwei Tage später das Durchstarten auf Ende April zu verschieben - und die FAZ heute, wieder einen Tag später, meldet:
"Kassenärzte glauben nicht mehr an Impfstart im April
"Eigentlich wollten Gesundheitsminister Spahn und seine Länderkollegen die niedergelassenen Mediziner möglichst schnell einbinden. Doch daraus wird wohl nichts, wenn die Impfzentren bevorzugt beliefert werden.
"Anders als von der Politik geplant, glauben die niedergelassenen Ärzte nicht daran, dass sie im April mit dem flächendeckenden Impfen gegen Covid-19 beginnen können. Damit stehe die dringend benötigte Beschleunigung der Immunisierungskampagne auf der Kippe, warnen sie."
Es dürfte, nach mehr als einem vollen Jahr des fortgesetzten Versagens (man erinnere sich, daß der erste Lockdown damit einherging, daß Schutzmasken nirgendwo erhältlich waren und in Heimarbeit aus Stoff geschneidert wurden!) niemanden mehr in diesem Land geben, der darauf wartet, daß diese vollmundigen Ankündigungen auch erfüllt würden; niemanden, der glaubt, dieses Versagen käme an ein Ende, solange die Pandemie noch anhält; und vor allem: niemanden, der glaubt, daß dieses Versagen für die Verantwortlichen irgendwelche Konsequenzen nach sich zieht. Am wenigstens glauben es wohl diese Verantwortlichen selbst. Sie haben aus den letzten 10 Jahren unter Merkel gelernt, daß dieses Land und seine Bürger nur noch Verschiebungsmasse sind, deren Zweck einzig darin besteht, sie "Politik" spielen lassen zu können, ohne jemals dafür zur Verantwortung gezogen zu werden.
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Doch ich will nicht so sein. Man muß auch gönnen. Bis vor zwei Tagen lautete die Meldung auf der Seite des Bundeswirtschaftsministerium noch, wie von der "Welt" zitiert:
"Schade, dass hier versucht wird, die Not unserer Unternehmen in der Corona-Krise auszunutzen und sich die von vielen dringend benötigte staatliche Hilfe zu ergaunern."
Daß unsere Regierung massive Wirtschaftskriminalität - der sie selbst, nota bene - massiv Vorschub geleistet hat, salopp unter "ergaunern" faßt, paßt ins Bild. Wachtmeister Dimpflmoser und der Räuber Hotzenplotz lassen grüßen. Es geht zwar nur um den Bestand von Hundertausenden von Einzelhändlern und Hoteliers, denen der fortgesetzte Lockdown die Existenz vernichtet und denen der rettende Notgroschen "mal eben gemopst" wurde, aber hey!: Rififi chez les hommes.
Seit vorgestern liest man dort nun den Satz:
"Es ist schade und bedauerlich, dass hier versucht wird, die Not unserer Unternehmen in der Coronakrise auszunutzen und sich die von vielen dringend benötigte staatliche Hilfe zu erschleichen."
PS: In der Pressekonferenz, in der die Frau Bundeskanzler gestern die Verlängerung der "Schweren Vier Monate" ankündigte, sprach sie auch die goldenen Worte:
"Wir versuchen jetzt, die Brücken zu bauen, aber wir wissen auch nicht, wohin wir die genau bauen. Also, das Ufer sehen wir ja auch nicht."
U.E.
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