16. Mai 2011

Marginalie: Die Affäre Strauss-Kahn aus französischer Sicht. Es blühen bereits die Verschwörungstheorien

Dominique Strauss-Kahn verhaftet, noch dazu in den USA - das ist eine Nachricht, die Frankreich emotionalisiert. Denn DSK war in den vergangenen Monaten zu so etwas wie einem nationalen Hoffnungsträger geworden.

Nicolas Sarkozy ist so unbeliebt wie kaum je ein Präsident. Außerhalb der Linken gibt es bisher keinen ernstzunehmenden Gegenkandidaten für die Wahl im Frühjahr 2012; außer der Rechtspopulistin Marine Le Pen. Die oppositionellen Sozialisten haben unter ihren aktiven Politikern alles andere als eine schmucke Riege aufzuweisen: Die 2007 gescheiterte Ségolène Royal; ihren ehemaligen Lebenspartner François Hollande, einen politisch blassen langjährigen Parteisekretär; die dröge Martine Aubry.

Aber da war ja DSK: Ein rechter Sozialdemokrat, also auch wählbar für Wähler der Mitte. Jurist, Wirtschaftsprofessor und Ende der neunziger Jahre erfolgreicher Wirtschaftsminister; ein weltläufiger Mann mit der Statur eines Präsidenten. Nach der letzten Umfrage von Ende April würde er in einem ersten Wahlgang die meisten Stimmen von allen Kandidaten erhalten und in einem zweiten Wahlgang gegen Sarkozy mit 65 zu 35 Prozent triumphal gewinnen.



Und jetzt dieser Absturz. Denn heil wird DSK aus dieser Affäre nicht herauskommen; selbst wenn er am Ende nicht verurteilt werden sollte. Das Entsetzen in Frankreich ist gewaltig. Es geht eben nicht nur darum, daß ein Prominenter in eine Kriminalaffäre mit sexuellem Hintergrund verwickelt ist; sondern ein Erdbeben hat die französische Innenpolitik durcheinandergeschüttelt. Im Nouvel Observateur schreibt Serge Raffy:
Le festival de Cannes, l'exécution de Ben Laden, la grossesse de Carla, le retour de Ségolène. DSK, le roi du monde, le sauveur de la planète, embringué dans une sale affaire de mœurs dans une chambre d'hôtel de New York, a tout balayé.

Das Festival von Cannes, die Exekution von Bin Laden, die Schwangerschaft von Carla [Bruni, der Frau Sarkozys; Zettel], die Rückkehr von Ségolène Royal. DSK, der König der Welt, der Retter des Planeten, in einem Hotelzimmer in New York in eine schmuddelige Affäre verwickelt - das hat das alles hinwegefegt.
Der Nouvel Observateur hat gegenwärtig auf der Startseite seiner Internet-Ausgabe nicht weniger als 12 Artikel, die sich mit der Affäre und ihren Folgen befassen. Hier sind daraus einige Informationen, die, soweit ich sehe, in der deutschen Berichterstattung zu kurz kommen:
  • DSK bestreitet die Vorwürfe des Zimmer"mädchens" (tatsächlich einer 32jährigen Mutter) vehement. Seine Anwälte verweisen darauf, daß er selbst seine Festnahme auf dem Flughafen ermöglicht habe, indem er von dort das Hotel Sofitel wegen des versehentlich liegengelassenen Handys angerufen habe. Auch sei der Flug nach Paris bereits vor dem Zeitpunkt, zu dem die Tat geschehen sei, gebucht gewesen. Es hätte also keine überstürzte Flucht stattgefunden.

  • DSK könnte sich einer Verurteilung durch einen Deal mit der Justiz entziehen. Nur 10 Prozent der in New York eingeleiteten Strafverfahren führen überhaupt zu einem Prozeß.

  • Ob er gegen Kaution freikommt, wird heute Nachmittag um 16.30 MEZ durch einen Untersuchungsrichter entschieden. Inzwischen finden DNA-Analysen an DSKs Körper und Kleidung statt.

  • In Frankreich blühen die Verschwörungstheorien. Es wird behauptet, DSK sei einem Komplott der Regierungspartei UMP zum Opfer gefallen. Der sozialistische Politiker Gilles Savary schreibt beispielsweise in seinem Blog, DSK sei als libertin bekannt (also als sexuell freizügig):
    Du coup, il y est aisé d'y piéger une personnalité aussi peu résistante aux attraits de la gent féminine que Dominique Strauss-Kahn. Car, il serait tout de même hallucinant que ce dernier, instruit d'un premier incident mutuellement consenti pourtant au FMI, exposé par ses fonctions et sa présidentialisation française, se soit rué sur une femme de chambre. Qui connait DSK sait que sa séduction n'a jamais manqué de répondant féminin au point de prendre un risque politique et personnel aussi fou!

    Daher ist es einfach, einer Persönlichkeit, die den Reizen des weiblichen Geschlechts so wenig widerstehen kann wie Dominique Strauss-Kahn, eine Falle zu stellen. Denn es wäre schließlich wahnwitzig, wenn dieser, gewarnt durch einen früheren Vorfall mit einvernehmlichen Sex, immerhin beim Weltwährungsfonds, durch seine Funktion und dadurch, daß er als Präsidentschaftskandidat gehandelt wird, in exponierter Stellung, sich auf das Zimmermädchen gestürzt hätte. Wer DSK kennt, der weiß, daß es für seine Verführungskünste nie an weiblichem Entgegenkommen gefehlt hat, so daß er doch kein derart verrücktes persönliches und politisches Risiko eingegangen wäre!
    Auch die Sozialistin Michelle Sabban wittert eine Verschwörung; es handele sich um eine "neue Form eines politischen Attentats". DSK sei als Präsident der Weltbank "der mächtigste Mann nach Obama" gewesen. Die Verschwörer hätten die Weltbank "enthaupten" wollen.
  • Und natürlich wird jetzt auch spekuliert, wer nun für die Sozialisten in knapp einem Jahr gegen Sarkozy antreten wird. Mit der Generalsekretärin der Sozialistischen Partei (PS), Martine Aubry, hatte DSK den "Vertrag von Marrakesch" geschlossen, wonach sie bei der Auswahl des Kandidaten nicht gegen ihn antreten werde. Jetzt ist der Weg frei für Aubry. Aber auch François Hollande ist jetzt wieder im Rennen, für den gestern erstaunlich gute Umfragewerte publiziert wurden.
    Zettel



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