Der Mann, der immer noch Präsident des Weltwährungsfonds (International Monetary Fund, IMF) ist und damit einer der mächtigsten Männer der Welt; der bisher vom Leben verwöhnte Millionär und Erfolgsmensch Dominique Strauss-Kahn lebt gegenwärtig auf einer Insel für Gefangene.
Sie heißt Rikers Island, liegt im East River zwischen den New Yorker Stadtteilen Queens (zu dem sie verwaltungsmäßig gehört und mit dem sie durch eine Brücke verbunden ist) und Bronx, ist 1.672 km2 groß und hat etwas mehr als 20.000 Bewohner.
Davon sind 13.000 bis 14.000 Häftlinge; keine Langzeitgefangenen (und also nicht die "gefährlichsten Verbrecher", wie "Spiegel-Online" behauptet), sondern Untersuchungsgefangene, Häftlinge mit einer Freiheitsstrafe unter einem Jahr sowie Gefangene, die dort vorübergehend untergebracht sind, bevor sie in eine andere Haftanstalt verbracht werden.
Neben diesen eingesperrten Bewohnern halten sich auf der Insel im Schnitt rund 7.000 Angehörige des Wachpersonals und 1.500 weitere Personen auf. Diese betreuen unter anderem die Infrastruktur einer Kleinstadt, zu der Geschäfte, ein Krankenhaus und eine Schule gehören.
Diese Gefängnisstadt gliedert sich in verschiedene Haftanstalten, die so klangvolle Namen tragen wie Otis Bantum Correctional Center (OBCC), Robert N. Davoren Complex (RNDC), Anna M. Kross Center (AMKC), George Motchan Detention Center (GMDC), North Infirmary Command (NIC), Rose M. Singer Center (RMSC), Eric M. Taylor Center (EMTC), James A. Thomas Center (JATC), George R. Vierno Center (GRVC) und West Facility (WF).
Jede beherbergt eine besondere Gruppe von Insassen. Im Robert N. Davoren Complex zum Beispiel sitzen männliche Gefangene zwischen 16 und 18 Jahren, im Rose M. Singer Center weibliche Gefangene und in der West Facility Häftlinge, die wegen einer ansteckenden Krankheit in Einzelzellen gehalten werden. Die West Facility ist das mit Abstand kleinste Gefängnis auf Rikers Island; dort befinden sich nur rund dreißig Gefangene.
Dort sitzt DSK in seiner Einzelzelle. Zwar ist nicht bekannt, daß er unter einer ansteckenden Krankheit leidet, aber er ist ein Prominenter. In den Gefängnissen von Rikers Island herrscht ein hohes Maß an Gewalt zwischen den Häftlingen. Prominente gelten als besonders gefährdet und werden deshalb grundsätzlich isoliert in Einzelzellen gehalten; wie eben auch die Häftlinge mit ansteckenden Krankheiten.
Wie DSK dort in seiner Zelle lebt, kann man heute in der Internetausgabe des Nouvel Observateur lesen:
Er bewohnt eine Einzelzelle von 12 m2. Zu essen bekommt er die Gefängniskost, die nach Aussage des prominenten Rechtsanwalts Gerald Lefcourt "abscheulich" (horrible) ist. Die Geräuschkulisse wird beherrscht vom Zuschlagen schwerer Eisengitter-Türen.
Jeder Kontakt mit anderen Gefangenen ist für DSK unmöglich. Wenn er seine Zelle verläßt, wird er von einem Aufseher begleitet. In der Zelle gibt es kein Fernsehen. Ob DSK Bücher und/oder Zeitschriften bekommt, ist offenbar noch nicht entschieden. Eine Stunde am Tag ist für körperliche Ertüchtigung vorgesehen.
Um 23 Uhr wird das Licht abgeschaltet. DSK darf (abgesehen von den Besuchen seiner Anwälte) nur dreimal in der Woche Besucher empfangen. Er hat als Untersuchungsgefangener immerhin das Privileg, statt der orangefarbenen Gefängniskluft seine eigene Kleidung zu tragen.
Stammleser von ZR werden sich vielleicht erinnern, daß ich schon einmal eine ähnliche Schilderung von Haftbedingungen eines Untersuchungsgefangenen gegeben habe. Das ist jetzt gut ein Jahr her; der Artikel war ebenfalls eine Meckerecke und hieß "Er macht einen sehr niedergeschlagenen Eindruck, ist aber nicht suizidgefährdet". Der Albtraum des Jörg Kachelmann. Eine Empörung (ZR vom 25. 3. 2010).
Die beiden Fälle ähneln einander in der Tat. Das gilt für die Haftbedingungen, denen man jemanden unterwirft, der als unschuldig zu gelten hat; und es gilt ebenso für die Art, wie der jeweilige "Fall" (von dem niemand weiß, ob er überhaupt einer ist und nicht nur ein Schicksalsschlag, wenn nicht eine böswillige Inszenierung) zum Gegenstand öffentlichen Interesses, der öffentlichen Zurschaustellung gemacht wird.
Ein Prominenter wird schwerer sexueller Übergriffe bezichtigt. Die Anschuldigungen stützen sich - bei derartigen Delikten nicht selten - hauptsächlich auf die Bekundungen der betreffenden Frau. Bevor ein Gericht überhaupt entschieden hat, ob der Mann schuldig oder unschuldig ist, wird er in der Öffentlichkeit vorverurteilt. Sein Leben, seine Karriere sind zerstört, ob er nun am Ende für schuldig erkannt oder freigesprochen wird.
Dazu schreibt heute, ebenfalls in der Internetausgabe des Nouvel Observateur, der Doyen der französischen Publizistik, der 90jährige Jean Daniel (seine Rolle ist derjenigen des "Zeit"-Herausgebers Helmut Schmidt in Deutschland vergleichbar) unter der Überschrift "Affaire DSK: l’organisation médiatique d’une mise à mort" (Affäre DSK: Die publizistische Organisation einer Hinrichtung):
Wer als Prominenter in die Lage kommt, in der Jörg Kachelmann monatelang war (bevor Ende Juli 2010 das Oberlandesgericht Karlsruhe Haftverschonung anordnete) und in der Strauss-Kahn jetzt ist, der erlebt, ob schuldig oder nicht, einen doppelten Alptraum: Das Gefängnis und die sich an Details seines Sexuallebens ergötzende Öffentlichkeit.
Die Haftbedingungen, die für den geübten Knastologen kommod sein mögen, sind für jemanden, der ein Leben in bürgerlichem Wohlstand und freier Selbstbestimmung gewohnt ist, eine Qual. Was der eine mit Gleichmut erträgt, kann den anderen an den Rand des Selbstmords bringen.
Von "Gleichheit aller" kann da keine Rede sein. Bei Geldstrafen orientiert sich die Justiz an dem, was dem Betreffenden zumutbar ist; der Hartz-IV-Empfänger muß weniger zahlen als der Reiche. Bei der U-Haft wird hingegen auf die individuelle Belastung durch einschränkende und oft entwürdigende Umstände keine Rücksicht genommen. Die objektiven Bedingungen sind für alle dieselben; also ist die subjektive Belastung extrem verschieden.
Nicht anders steht es mit der vorgeblichen Gleichheit, was die Transparenz angeht. Noch einmal Jean Daniel:
"Hosianna - kreuziget ihn!" Prominente genießen, solange sie oben sind, oft Anerkennung und Bewunderung; sie "genießen" das im doppelten Wortsinn. Aber sie zahlen einen hohen Preis, wenn sie fallen - ob zu Recht, ob unschuldig.
Die Publicity, die sie genossen haben mögen, kehrt sich nun gegen sie. Ihr Privatleben wird zur öffentlichen Angelegenheit gemacht. Das Sexualleben Jörg Kachelmanns zum Beispiel ist inzwischen jedem deutschen Medienkonsumenten, der sich dafür interessiert, bis in die peinlichsten Details bekannt. Die Frau, deren Beschuldigungen er das zu verdanken hat, wird hingegen durch Geheimhaltung ihres Namens und dadurch geschützt, daß man ihr Foto nicht zeigt. Gleichbehandlung?
Möglich, daß das in der Mediengesellschaft nicht anders sein kann. Aber daß jemand, der bis zu einer eventuellen Verurteilung als unschuldig zu gelten hat, über Wochen, unter Umstände Monate den entwürdigenden Umständen einer U-Haft ausgesetzt wird, das müßte nicht sein. Am Endes des erwähnten Artikels vom März 2010 habe ich das im Einzelnen diskutiert.
Wenn man jetzt in diesem Punkt die Justiz der USA kritisiert, dann sollte man allerdings zweierlei bedenken.
Zum einen ist über die Fortdauer von DSKs U-Haft noch nicht endgültig entschieden. Die gängige Praxis in den USA ist es, daß ein Beschuldigter, wenn das irgend vertretbar ist, bis zu seinem Prozeß gegen eine (oft sehr hohe) Kaution auf freien Fuß gesetzt wird; unter Umständen mit bestimmten Auflagen. Darüber wird eine Grand Jury am kommenden Freitag entscheiden. Die USA sind uns in diesem Punkt durchaus voraus.
Zum zweiten könnte DSK bei dieser Verhandlung am Freitag die Quittung für etwas bekommen, das er zwar nicht zu vertreten hat, das ihm als Franzosen aber gleichwohl zugerechnet wird: Für den Fall Roman Polanski. Die Richterin Melissa Jackson hat gestern bei ihrer Entscheidung, Strauss-Kahn aufgrund bestehender Fluchtgefahr keine Haftverschonung zu gewähren, ausdrücklich auf diesen Fall hingewiesen.
Polanski hatte nach eigenem Eingeständnis eine 13jährige sexuell mißbraucht und war 1977 von einem Gericht wegen Unzucht mit Abhängigen (statutory rape) zunächst nur zu einem längeren Diagnose-Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik verurteilt worden. Als ihm dann eine Freiheitsstrafe drohte, entzog er sich dem durch die Flucht nach Frankreich, dessen Staatsbürgerschaft er hat. Die französischen Behörden verweigerten seine Auslieferung an die USA, so daß die Tat bis heute ungesühnt ist.
Wenn jetzt die New Yorker Justiz die Gefahr sieht, daß DSK, einmal auf freien Fuß gesetzt, die Kaution verfallen läßt und nach Frankreich zurückkehrt, dann muß sie damit rechnen, seiner nicht mehr habhaft werden zu können. So schlimm es für DSK sein würde, Monate, unter Umständen ein Jahr auf Rikers Island verbringen zu müssen - zumindest einen Teil der Schuld daran würde dann der französische Staat tragen, der sich weigerte, Roman Polanski an die amerikanische Justiz auszuliefern.
Zur Affäre Polanski siehe auch Schon wieder muß ich Daniel Cohn-Bendit zustimmen. Anmerkung zur Affäre Polanski; ZR vom 30. 9. 2009.
Sie heißt Rikers Island, liegt im East River zwischen den New Yorker Stadtteilen Queens (zu dem sie verwaltungsmäßig gehört und mit dem sie durch eine Brücke verbunden ist) und Bronx, ist 1.672 km2 groß und hat etwas mehr als 20.000 Bewohner.
Davon sind 13.000 bis 14.000 Häftlinge; keine Langzeitgefangenen (und also nicht die "gefährlichsten Verbrecher", wie "Spiegel-Online" behauptet), sondern Untersuchungsgefangene, Häftlinge mit einer Freiheitsstrafe unter einem Jahr sowie Gefangene, die dort vorübergehend untergebracht sind, bevor sie in eine andere Haftanstalt verbracht werden.
Neben diesen eingesperrten Bewohnern halten sich auf der Insel im Schnitt rund 7.000 Angehörige des Wachpersonals und 1.500 weitere Personen auf. Diese betreuen unter anderem die Infrastruktur einer Kleinstadt, zu der Geschäfte, ein Krankenhaus und eine Schule gehören.
Diese Gefängnisstadt gliedert sich in verschiedene Haftanstalten, die so klangvolle Namen tragen wie Otis Bantum Correctional Center (OBCC), Robert N. Davoren Complex (RNDC), Anna M. Kross Center (AMKC), George Motchan Detention Center (GMDC), North Infirmary Command (NIC), Rose M. Singer Center (RMSC), Eric M. Taylor Center (EMTC), James A. Thomas Center (JATC), George R. Vierno Center (GRVC) und West Facility (WF).
Jede beherbergt eine besondere Gruppe von Insassen. Im Robert N. Davoren Complex zum Beispiel sitzen männliche Gefangene zwischen 16 und 18 Jahren, im Rose M. Singer Center weibliche Gefangene und in der West Facility Häftlinge, die wegen einer ansteckenden Krankheit in Einzelzellen gehalten werden. Die West Facility ist das mit Abstand kleinste Gefängnis auf Rikers Island; dort befinden sich nur rund dreißig Gefangene.
Dort sitzt DSK in seiner Einzelzelle. Zwar ist nicht bekannt, daß er unter einer ansteckenden Krankheit leidet, aber er ist ein Prominenter. In den Gefängnissen von Rikers Island herrscht ein hohes Maß an Gewalt zwischen den Häftlingen. Prominente gelten als besonders gefährdet und werden deshalb grundsätzlich isoliert in Einzelzellen gehalten; wie eben auch die Häftlinge mit ansteckenden Krankheiten.
Wie DSK dort in seiner Zelle lebt, kann man heute in der Internetausgabe des Nouvel Observateur lesen:
Er bewohnt eine Einzelzelle von 12 m2. Zu essen bekommt er die Gefängniskost, die nach Aussage des prominenten Rechtsanwalts Gerald Lefcourt "abscheulich" (horrible) ist. Die Geräuschkulisse wird beherrscht vom Zuschlagen schwerer Eisengitter-Türen.
Jeder Kontakt mit anderen Gefangenen ist für DSK unmöglich. Wenn er seine Zelle verläßt, wird er von einem Aufseher begleitet. In der Zelle gibt es kein Fernsehen. Ob DSK Bücher und/oder Zeitschriften bekommt, ist offenbar noch nicht entschieden. Eine Stunde am Tag ist für körperliche Ertüchtigung vorgesehen.
Um 23 Uhr wird das Licht abgeschaltet. DSK darf (abgesehen von den Besuchen seiner Anwälte) nur dreimal in der Woche Besucher empfangen. Er hat als Untersuchungsgefangener immerhin das Privileg, statt der orangefarbenen Gefängniskluft seine eigene Kleidung zu tragen.
Stammleser von ZR werden sich vielleicht erinnern, daß ich schon einmal eine ähnliche Schilderung von Haftbedingungen eines Untersuchungsgefangenen gegeben habe. Das ist jetzt gut ein Jahr her; der Artikel war ebenfalls eine Meckerecke und hieß "Er macht einen sehr niedergeschlagenen Eindruck, ist aber nicht suizidgefährdet". Der Albtraum des Jörg Kachelmann. Eine Empörung (ZR vom 25. 3. 2010).
Die beiden Fälle ähneln einander in der Tat. Das gilt für die Haftbedingungen, denen man jemanden unterwirft, der als unschuldig zu gelten hat; und es gilt ebenso für die Art, wie der jeweilige "Fall" (von dem niemand weiß, ob er überhaupt einer ist und nicht nur ein Schicksalsschlag, wenn nicht eine böswillige Inszenierung) zum Gegenstand öffentlichen Interesses, der öffentlichen Zurschaustellung gemacht wird.
Ein Prominenter wird schwerer sexueller Übergriffe bezichtigt. Die Anschuldigungen stützen sich - bei derartigen Delikten nicht selten - hauptsächlich auf die Bekundungen der betreffenden Frau. Bevor ein Gericht überhaupt entschieden hat, ob der Mann schuldig oder unschuldig ist, wird er in der Öffentlichkeit vorverurteilt. Sein Leben, seine Karriere sind zerstört, ob er nun am Ende für schuldig erkannt oder freigesprochen wird.
Dazu schreibt heute, ebenfalls in der Internetausgabe des Nouvel Observateur, der Doyen der französischen Publizistik, der 90jährige Jean Daniel (seine Rolle ist derjenigen des "Zeit"-Herausgebers Helmut Schmidt in Deutschland vergleichbar) unter der Überschrift "Affaire DSK: l’organisation médiatique d’une mise à mort" (Affäre DSK: Die publizistische Organisation einer Hinrichtung):
Le sort infligé à DSK par la justice américaine, par la conception que nous avons de la transparence, par le règne de l’image, bref par les lois nouvelles de notre métier, ce sort est tout simplement épouvantable. Nous avons assisté à l’organisation médiatique d’une mise à mort.
Das Schicksal, das DSK durch die amerikanische Justiz, das ihm durch unsere Auffassung von Transparenz auferlegt wurde, von der Herrschaft der Bilder, kurz von den neuen Gesetzen unseres Metiers, dieses Schicksal ist ganz einfach entsetzlich. Wir erlebten die publizistische Organisation einer Hinrichtung.
Wer als Prominenter in die Lage kommt, in der Jörg Kachelmann monatelang war (bevor Ende Juli 2010 das Oberlandesgericht Karlsruhe Haftverschonung anordnete) und in der Strauss-Kahn jetzt ist, der erlebt, ob schuldig oder nicht, einen doppelten Alptraum: Das Gefängnis und die sich an Details seines Sexuallebens ergötzende Öffentlichkeit.
Die Haftbedingungen, die für den geübten Knastologen kommod sein mögen, sind für jemanden, der ein Leben in bürgerlichem Wohlstand und freier Selbstbestimmung gewohnt ist, eine Qual. Was der eine mit Gleichmut erträgt, kann den anderen an den Rand des Selbstmords bringen.
Von "Gleichheit aller" kann da keine Rede sein. Bei Geldstrafen orientiert sich die Justiz an dem, was dem Betreffenden zumutbar ist; der Hartz-IV-Empfänger muß weniger zahlen als der Reiche. Bei der U-Haft wird hingegen auf die individuelle Belastung durch einschränkende und oft entwürdigende Umstände keine Rücksicht genommen. Die objektiven Bedingungen sind für alle dieselben; also ist die subjektive Belastung extrem verschieden.
Nicht anders steht es mit der vorgeblichen Gleichheit, was die Transparenz angeht. Noch einmal Jean Daniel:
Pourquoi cette retransmission publique de son calvaire? Au nom de l’égalité! Au nom du devoir de transparence! Voilà comment l'on transforme, salit et déshonore des principes qui ont eu leur noblesse.
L’égalité? Tous les acteurs élus de cette cérémonie - car ils sont tous élus, la juge comme les policiers - savaient que Strauss-Kahn n’était pas un homme comme les autres et qu’il ne serait pas également traité par la meute des journalistes, des photographes et de cameramen qui l’attendaient. C’était au contraire une inégalité savamment organisée et appliquée.
Warum diese öffentliche Übertragung seines Leidenswegs? Im Namen der Gleichheit! Im Namen der Pflicht zur Transparenz! So verändert, beschmutzt und entehrt man geadelte Prinzipien.
Gleichheit? Alle die gewählten Beteiligten an dieser Zeremonie - denn sie sind alle gewählt, die Richterin wie die Polizeibeamten - wußten, daß Strauss-Kahn nicht irgend ein beliebiger Mensch ist und daß er von der Meute der Journalisten, der Fotografen, der Kameraleute, die ihn erwarteten, nicht als ein solcher behandelt werden würde. Dies war im Gegenteil eine sorgfältig organisierte und ins Werk gesetzte Ungleichbehandlung.
"Hosianna - kreuziget ihn!" Prominente genießen, solange sie oben sind, oft Anerkennung und Bewunderung; sie "genießen" das im doppelten Wortsinn. Aber sie zahlen einen hohen Preis, wenn sie fallen - ob zu Recht, ob unschuldig.
Die Publicity, die sie genossen haben mögen, kehrt sich nun gegen sie. Ihr Privatleben wird zur öffentlichen Angelegenheit gemacht. Das Sexualleben Jörg Kachelmanns zum Beispiel ist inzwischen jedem deutschen Medienkonsumenten, der sich dafür interessiert, bis in die peinlichsten Details bekannt. Die Frau, deren Beschuldigungen er das zu verdanken hat, wird hingegen durch Geheimhaltung ihres Namens und dadurch geschützt, daß man ihr Foto nicht zeigt. Gleichbehandlung?
Möglich, daß das in der Mediengesellschaft nicht anders sein kann. Aber daß jemand, der bis zu einer eventuellen Verurteilung als unschuldig zu gelten hat, über Wochen, unter Umstände Monate den entwürdigenden Umständen einer U-Haft ausgesetzt wird, das müßte nicht sein. Am Endes des erwähnten Artikels vom März 2010 habe ich das im Einzelnen diskutiert.
Wenn man jetzt in diesem Punkt die Justiz der USA kritisiert, dann sollte man allerdings zweierlei bedenken.
Zum einen ist über die Fortdauer von DSKs U-Haft noch nicht endgültig entschieden. Die gängige Praxis in den USA ist es, daß ein Beschuldigter, wenn das irgend vertretbar ist, bis zu seinem Prozeß gegen eine (oft sehr hohe) Kaution auf freien Fuß gesetzt wird; unter Umständen mit bestimmten Auflagen. Darüber wird eine Grand Jury am kommenden Freitag entscheiden. Die USA sind uns in diesem Punkt durchaus voraus.
Zum zweiten könnte DSK bei dieser Verhandlung am Freitag die Quittung für etwas bekommen, das er zwar nicht zu vertreten hat, das ihm als Franzosen aber gleichwohl zugerechnet wird: Für den Fall Roman Polanski. Die Richterin Melissa Jackson hat gestern bei ihrer Entscheidung, Strauss-Kahn aufgrund bestehender Fluchtgefahr keine Haftverschonung zu gewähren, ausdrücklich auf diesen Fall hingewiesen.
Polanski hatte nach eigenem Eingeständnis eine 13jährige sexuell mißbraucht und war 1977 von einem Gericht wegen Unzucht mit Abhängigen (statutory rape) zunächst nur zu einem längeren Diagnose-Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik verurteilt worden. Als ihm dann eine Freiheitsstrafe drohte, entzog er sich dem durch die Flucht nach Frankreich, dessen Staatsbürgerschaft er hat. Die französischen Behörden verweigerten seine Auslieferung an die USA, so daß die Tat bis heute ungesühnt ist.
Wenn jetzt die New Yorker Justiz die Gefahr sieht, daß DSK, einmal auf freien Fuß gesetzt, die Kaution verfallen läßt und nach Frankreich zurückkehrt, dann muß sie damit rechnen, seiner nicht mehr habhaft werden zu können. So schlimm es für DSK sein würde, Monate, unter Umständen ein Jahr auf Rikers Island verbringen zu müssen - zumindest einen Teil der Schuld daran würde dann der französische Staat tragen, der sich weigerte, Roman Polanski an die amerikanische Justiz auszuliefern.
Zur Affäre Polanski siehe auch Schon wieder muß ich Daniel Cohn-Bendit zustimmen. Anmerkung zur Affäre Polanski; ZR vom 30. 9. 2009.
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