Kürzlich waren von zwei Intellektuellen bemerkenswerte politische Äußerungen zu lesen; bemerkenswert dumme Äußerungen. Es äußerten sich Rolf Hochhuth und Noam Chomsky. Der eine weltberühmt; der andere eher eine bescheidene Größe im deutschen Kulturleben. Beide sind seit vielen Jahrzehnten im Geschäft; und zwar nicht nur in ihrer jeweiligen Profession, sondern auch in der Branche des Moralwächters, Sparte Politik.
Hochhuth ist hauptberuflich Dichter; insbesondere Verfasser von Theaterstücken. Seine Markenzeichen sind zum einen der Sacco oder Pullover, den er nicht angezogen trägt, sondern künstlerisch um die Schultern geworfen; zum anderen der erhobene Zeigefinger.
Erhoben hat er ihn zum ersten Mal vor einem halben Jahrhundert, als ihm, dem Dreißigjährigen, mit dem Stück "Der Stellvertreter" ein sensationeller Erfolg gelang. Es wurde 1963 uraufgeführt, nachdem die Buchversion zunächst 1961 vom Verlag Rütten & Loening, der das Manuskript bereits angenommen gehabt hatte, nicht gedruckt worden war.
Hochhuth hatte damit sein Thema und Deutschland seinen Mahner gefunden. Der Anklage gegen Papst Pius XII. und die Katholische Kirche, denen Hochhuth Versagen gegenüber den Nazis vorwarf, folgten im staccato weitere Anklagen, verpackt jeweils in ein Bühnenstück:
Nun also hat Hochhuth wieder den Zeigefinger erhoben; diesmal allerdings nicht den des Dramatikers, aber das kann ja noch werden. Vorerst hat er sich nur im Interview geäußert, und zwar zum Fall des inhaftierten chinesischen Künstlers Ai Weiwei. Vor gut einer Woche ging eine Meldung durch die Presse, in der es hieß:
Wenn die USA schon so viel zu verantworten haben, das ihn mit Empörung erfüllt hatte - die Nato, die Industriebosse, Ronald Reagan, McKinsey -, dann könnten sie ja auch einmal etwas Gutes und Vernünftiges tun, mag Hochhuth sich überlegt haben. Nämlich, indem sie Navy Seals nach China einfliegen und Ai Weiwei herausholen; so, wie einst der propagandistischen Legende nach der tollkühne Pilot Otto Skorzeny mit seinem Fieseler Storch in Hitlers Auftrag den Benito Mussolini aus dem Campo Imperatore befreite.
Und falls die Volksrepublik China das nicht so begeisternd finden sollte und Chinesen und Amis dann ein wenig aufeinander schießen - ja, ist die gute Sache das denn nicht wert?
Nun gut. Man könnte über diese bizarre Idee hinweggehen, wäre sie nicht - auf die Spitze getrieben und ins unfreiwillig Satirische hinüberspielend - illustrativ für das ganze Hochhuth'sche Werden und Wirken. Repräsentativ darüber hinaus aber auch für die Art, wie Intellektuelle ins Politische hineinwirken wollen.
Damit bin ich bei Noam Chomsky; auch er ein unermüdlicher Mahner mit erhobenem Zeigefinger, freilich als einer der Theoretiker der modernen Linguistik mit etwas größerer internationaler Resonanz als der deutsche Dramatiker.
Hochhuths Befreiungsphantasie mag durch die amerikanische Kommandoaktion gegen Osama Bin Laden angeregt worden sein. Chomsky hat sich explizit zu diesem Unternehmen geäußert. In dem Magazin für Kunst und Politik Guernica schrieb er am 6. Mai über die Tötung Bin Ladens:
Bizarr auch dies, nicht wahr? Aber Chomsky setzt noch einen drauf. Nachdem er dem Terroristen Bin Laden das zuerkannt hat, was man im Englischen the benefit of the doubt nennt - man gewährt die Gunst des Zweifels -, zeigt er sich im selben Artikel als ein Mann bar jedes Zweifels, wenn es um Präsident George W. Bush geht:
Was soll man dazu sagen? Christopher Hitchens, durch dessen Artikel in Slate ich auf Chomskys Darlegungen aufmerksam wurde, nennt sie schlicht Chomsky's follies, Chomskys Verrücktheiten. In der Tat.
Auch hier könnte man, wie bei Hochhuth, mit einem Schulterzucken reagieren. Es gibt eben nicht nur die idiots savants, die Schwachsinnigen mit einer partiellen Hochbegabung; sondern es gibt auch sozusagen den savant idiot, den Gelehrten mit Anflügen von Schwachsinn.
Chomsky ist nun aber so wenig ein skurriler Sonderling wie Hochhuth. Sie sind vielleicht Karikaturen des moralisierenden linken Intellektuellen; aber Karikaturen heben ja, wenn sie trefflich sind, das Bezeichnende hervor.
Hochhuth wie Chomsky zeigen, zur Kenntlichkeit verzerrt, was für ein Stuß herauskommt, wenn man die Politik mit einem unbändigen Hang zum Guten betrachtet, gepaart mit der Überzeugung von der eigenen geistigen Überlegenheit, jener déformation professionelle von Intellektuellen.
Woher dieser Stuß, mit dem manche Intellektuelle sich so gern in die Politik einmischen?
Man könnte erstens argumentieren, daß da gar nichts Erklärungsbedürftiges ist. Viele Menschen reden Stuß, wenn sie über Politik reden. Viele verstehen nicht die Grundkategorien des Politischen - Kampf um Macht; Ausgleich von Interessen -, sondern möchten die Politik gern als ein Bemühen um eine immer bessere Welt verstanden wissen; als einen Kampf gegen das Unrecht und das Böse in der Welt.
Nur fehlt ihnen, diesen moralisierenden Durchschnittsbürgern, in der Regel die Resonanz. Intellektuelle sind - so ginge dieses Argument - politisch nicht dümmer als die anderen; nur haben sie mehr Möglichkeiten, ihre Dummheiten an die Öffentlichkeit zu tragen.
Zweitens könnte es sein, daß diese Attitüde des politisch moralisierenden Intellektuellen ein historisches Phänomen ist.
Intellektuelle neigen, so wäre die Vermutung, nicht generell dazu, sich moralisierend in die Politik einzuschalten; sondern dies ist ein Phänomen unserer Zeit. Ein Phänomen, entstanden im Frankreich des 19. Jahrhunderts, als Schriftsteller wie Victor Hugo und Émile Zola sich politisch engagierten. Dann neu belebt im Kampf gegen die Nazis (aus ihm heraus entstand der Begriff der littérature engagée, der engagierten Literatur); und wiederbelebt in der Zeit der Achtundsechziger Revolte, als man dekretierte, daß "Alles Politik" sei. Selbst kluge Köpfe wie Hans-Magnus Enzensberger gerieten damals in den Sog des Politischen.
Es könnte aber auch sein, daß diese unglückliche Art des Politisierens doch genuin etwas mit der Mentalität und mit der Weltsicht von Intellektuellen zu tun hat, wie sie ihnen als Gruppe nun einmal eigen sind.
Intellektuelle sind von Berufs wegen mit Interpretationen der Welt befaßt. Wo der tätige Mensch sich handelnd in der Welt bewegt, da tritt der Intellektuelle gewissermaßen einen Schritt zurück, schaut sich das alles an und macht sich seinen Reim darauf. Oder oft seine Reime. Denn er probiert oft einmal diese Deutung aus und einmal jene. Er denkt über die Wirklichkeit hinaus. Diese ist schließlich nur eine von vielen Möglichkeiten. In einem allgemeinen Sinn - Musil hat es präziser gemeint - ist der Intellektuelle ein Möglichkeitsmensch.
Der politisch moralisierende Intellektuelle nun ist - so besagt es diese dritte Erklärung - einer, der diese Attitüde nicht durchhält. Statt dort zu verbleiben, wo er zu Hause ist und wo er hingehört - im Bereich des Erdachten, der Interpretation, der Entwürfe und Imaginationen -, drängt es ihn zusätzlich hinein in die Wirklichkeit. Er will nicht nur kontemplieren, er will auch agieren. Und begibt sich damit auf ein Terrain, dem er nicht gewachsen und für das er nicht gerüstet ist.
He wants to eat the cake and have it, dieser politisierende Intellektuelle - die Wirklichkeit aus intellektueller Distanz betrachten, zugleich aber auch auf sie einwirken. Außen vor sein und zugleich mittendrin.
Er ist damit nicht Fisch und nicht Fleisch. Er ist als Intellektueller schlecht, weil er durch sein Engagement sich selbst der kritischen Souveränität beraubt, die dem Intellektuellen erst die Freiheit zum Denken gibt. Er ist ebenso schlecht als Politiker, weil er die Regeln des Geschäfts nicht versteht.
Er denkt nicht in den genannten Kategorien des Politischen, dem Erringen und Erhalten von Macht und dem Ausgleich zwischen Interessen. An die Stelle der Macht möchte er die Moral setzen; an die Stelle des Ausgleichs von Interessen die Verbesserung der Welt. Unfähig, das Politische mit dessen eigenen Kategorien zu erfassen, will er ihm seine, des Intellektuellen, moralischen Kategorien überstülpen.
Zum Glück bleiben sie meist ohne großen Einfluß, diese in der Politik moralisierenden Intellektuellen. Zum Glück beschränkt sich ihr bescheidener Einfluß meist auf andere Intellektuelle.
Wenn sie allerdings in die Lage geraten, ernst zu machen mit ihren Phantasien von einer moralischen Politik, von Politik als Verbesserung der Welt, dann wird es gefährlich. Dann zeigt sich die Verantwortungslosigkeit, mit der Intellektuelle in einer politischen Wirklichkeit agieren, deren Wesen und deren Regeln sie nicht akzeptieren. Die Geschichte des Kommunismus liefert die beklemmende Illustration.
Hochhuth ist hauptberuflich Dichter; insbesondere Verfasser von Theaterstücken. Seine Markenzeichen sind zum einen der Sacco oder Pullover, den er nicht angezogen trägt, sondern künstlerisch um die Schultern geworfen; zum anderen der erhobene Zeigefinger.
Erhoben hat er ihn zum ersten Mal vor einem halben Jahrhundert, als ihm, dem Dreißigjährigen, mit dem Stück "Der Stellvertreter" ein sensationeller Erfolg gelang. Es wurde 1963 uraufgeführt, nachdem die Buchversion zunächst 1961 vom Verlag Rütten & Loening, der das Manuskript bereits angenommen gehabt hatte, nicht gedruckt worden war.
Hochhuth hatte damit sein Thema und Deutschland seinen Mahner gefunden. Der Anklage gegen Papst Pius XII. und die Katholische Kirche, denen Hochhuth Versagen gegenüber den Nazis vorwarf, folgten im staccato weitere Anklagen, verpackt jeweils in ein Bühnenstück:
Sie sehen - da ist kein Mißstand, kein Bösewicht, ob historisch oder gegenwärtig, gegen den sich nicht früher oder später Hochhuths dramatisierter Zorn richtete. Pro bono, contra malum - das ist, wie beim unvergessenen WimS, das Streben dieses guten Menschen; wären nur auch seine Stücke ein wenig besser.Gegen Churchill ("Soldaten. Nekrolog auf Genf"; 1967), gegen die amerikanischen Industriebosse ("Guerrillas"; 1970), gegen die Parteien ("Die Hebamme"; 1972), gegen die Nato ("Inselkomödie"; 1974), gegen Hans Filbinger ("Juristen"; 1979), gegen die Pharmaindustrie ("Ärztinnen"; 1980), gegen Ronald Reagan ("Judith"; 1984), gegen alle Schuldigen am Ersten Weltkrieg ("Sommer 14"; 1990), gegen die Folgen der Wiedervereinigung ("Wessis in Weimar"; 1993), gegen den Weltraumpionier Hermann Oberth ("Hitlers Dr. Faust"; 2000), gegen die Arbeitslosigkeit ("Das Recht auf Arbeit"; 2000), gegen die Rationalisierung ("McKinsey kommt", 2004), gegen den Baufilz ("Familienbande"; 2005), und endlich auch gegen die Nazis; gegen diese mußte sich ja auch einmal jemand wenden ("Heil Hitler", 2006).
Nun also hat Hochhuth wieder den Zeigefinger erhoben; diesmal allerdings nicht den des Dramatikers, aber das kann ja noch werden. Vorerst hat er sich nur im Interview geäußert, und zwar zum Fall des inhaftierten chinesischen Künstlers Ai Weiwei. Vor gut einer Woche ging eine Meldung durch die Presse, in der es hieß:
Der in China inhaftierte Künstler Ai Weiwei kann nach Ansicht des Schriftstellers Rolf Hochhuth nicht auf friedliche Weise befreit werden. "Es könnte nur mit einem Gewaltakt etwas passieren, den die Amerikaner ausüben müssten", sagte der 80-Jährige am Freitag in einem dapd-Interview.Das muß man ihm lassen, dem Hochhuth: Unerschrocken ist er, und er denkt konsequent. Da die Chinesen wenig auf Appelle von Schriftstellern geben und da Ai Weiwei zu Unrecht festgehalten wird, hilft nur noch Gewalt. Und weil die kleine Bundesrepublik bei einem Krieg gegen China doch möglicherweise schlecht aussehen würde, müssen eben die Amis ran.
Wenn die USA schon so viel zu verantworten haben, das ihn mit Empörung erfüllt hatte - die Nato, die Industriebosse, Ronald Reagan, McKinsey -, dann könnten sie ja auch einmal etwas Gutes und Vernünftiges tun, mag Hochhuth sich überlegt haben. Nämlich, indem sie Navy Seals nach China einfliegen und Ai Weiwei herausholen; so, wie einst der propagandistischen Legende nach der tollkühne Pilot Otto Skorzeny mit seinem Fieseler Storch in Hitlers Auftrag den Benito Mussolini aus dem Campo Imperatore befreite.
Und falls die Volksrepublik China das nicht so begeisternd finden sollte und Chinesen und Amis dann ein wenig aufeinander schießen - ja, ist die gute Sache das denn nicht wert?
Nun gut. Man könnte über diese bizarre Idee hinweggehen, wäre sie nicht - auf die Spitze getrieben und ins unfreiwillig Satirische hinüberspielend - illustrativ für das ganze Hochhuth'sche Werden und Wirken. Repräsentativ darüber hinaus aber auch für die Art, wie Intellektuelle ins Politische hineinwirken wollen.
Damit bin ich bei Noam Chomsky; auch er ein unermüdlicher Mahner mit erhobenem Zeigefinger, freilich als einer der Theoretiker der modernen Linguistik mit etwas größerer internationaler Resonanz als der deutsche Dramatiker.
Hochhuths Befreiungsphantasie mag durch die amerikanische Kommandoaktion gegen Osama Bin Laden angeregt worden sein. Chomsky hat sich explizit zu diesem Unternehmen geäußert. In dem Magazin für Kunst und Politik Guernica schrieb er am 6. Mai über die Tötung Bin Ladens:
It's increasingly clear that the operation was a planned assassination, multiply violating elementary norms of international law. (...) In societies that profess some respect for law, suspects are apprehended and brought to fair trial. I stress "suspects". (...) ... Obama was simply lying when he said, in his White House statement, that "we quickly learned that the 9/11 attacks were carried out by al Qaeda."Ob Bin Laden überhaupt schuldig sei, das sei schließlich keineswegs erwiesen, meint Chomsky. Daß Bin Laden sich selbst zur Urheberschaft dieser Anschläge bekannt hätte - nun ja, Großsprecherei. So glaubhaft, schreibt Chomsky, als würde er, Noam Chomsky, "bekennen", den Marathonlauf in Boston gewonnen zu haben.
Es wird immer deutlicher, daß die Operation ein geplanter Mord war, der elementare Normen des internationalen Rechts vielfach verletzte. (...) In Gesellschaften, die sich zu einem gewissen Respekt gegenüber dem Gesetz bekennen, werden Verdächtige festgenommen und einem fairen Gerichtsverfahren unterworfen. Ich betone "Verdächtige". (...) ... Obama hat schlicht gelogen, als er in seiner Ansprache im Weißen Haus sagte, daß "wir bald erfuhren, daß die Anschläge von 9/11 von der Kaida verübt worden waren".
Bizarr auch dies, nicht wahr? Aber Chomsky setzt noch einen drauf. Nachdem er dem Terroristen Bin Laden das zuerkannt hat, was man im Englischen the benefit of the doubt nennt - man gewährt die Gunst des Zweifels -, zeigt er sich im selben Artikel als ein Mann bar jedes Zweifels, wenn es um Präsident George W. Bush geht:
We might ask ourselves how we would be reacting if Iraqi commandos landed at George W. Bush’s compound, assassinated him, and dumped his body in the Atlantic. Uncontroversially, his crimes vastly exceed bin Laden's, and he is not a "suspect" but uncontroversially the "decider" who gave the orders to commit the "supreme international crime differing only from other war crimes in that it contains within itself the accumulated evil of the whole" (quoting the Nuremberg Tribunal) for which Nazi criminals were hanged.Bin Laden möglicherweise unschuldig, Bush ein Kriegsverbrecher vom Kaliber derer, die in Nürnberg hingerichtet wurden - so stellt sich Noam Chomsky die Welt vor.
Wir könnten uns fragen, wie wir reagieren würden, wenn irakische Kommandos in George W. Bushs Anwesen landen, ihn ermorden und seine Leiche in den Atlantik werfen würden. Es ist unstrittig, daß seine Verbrechen diejenigen Bin Ladens weit übertreffen; und er ist kein "Verdächtiger", sondern unstrittig der "Entscheider", der die Befehle gab, das "äußerste internationale Verbrechen" zu begehen, das "sich von anderen Kriegsverbrechen nur darin unterscheidet, daß es das angesammelte Böse des Ganzen umfaßt" (Zitat aus dem Nürnberger Prozeß), wofür Naziverbrecher gehängt wurden.
Was soll man dazu sagen? Christopher Hitchens, durch dessen Artikel in Slate ich auf Chomskys Darlegungen aufmerksam wurde, nennt sie schlicht Chomsky's follies, Chomskys Verrücktheiten. In der Tat.
Auch hier könnte man, wie bei Hochhuth, mit einem Schulterzucken reagieren. Es gibt eben nicht nur die idiots savants, die Schwachsinnigen mit einer partiellen Hochbegabung; sondern es gibt auch sozusagen den savant idiot, den Gelehrten mit Anflügen von Schwachsinn.
Chomsky ist nun aber so wenig ein skurriler Sonderling wie Hochhuth. Sie sind vielleicht Karikaturen des moralisierenden linken Intellektuellen; aber Karikaturen heben ja, wenn sie trefflich sind, das Bezeichnende hervor.
Hochhuth wie Chomsky zeigen, zur Kenntlichkeit verzerrt, was für ein Stuß herauskommt, wenn man die Politik mit einem unbändigen Hang zum Guten betrachtet, gepaart mit der Überzeugung von der eigenen geistigen Überlegenheit, jener déformation professionelle von Intellektuellen.
Woher dieser Stuß, mit dem manche Intellektuelle sich so gern in die Politik einmischen?
Man könnte erstens argumentieren, daß da gar nichts Erklärungsbedürftiges ist. Viele Menschen reden Stuß, wenn sie über Politik reden. Viele verstehen nicht die Grundkategorien des Politischen - Kampf um Macht; Ausgleich von Interessen -, sondern möchten die Politik gern als ein Bemühen um eine immer bessere Welt verstanden wissen; als einen Kampf gegen das Unrecht und das Böse in der Welt.
Nur fehlt ihnen, diesen moralisierenden Durchschnittsbürgern, in der Regel die Resonanz. Intellektuelle sind - so ginge dieses Argument - politisch nicht dümmer als die anderen; nur haben sie mehr Möglichkeiten, ihre Dummheiten an die Öffentlichkeit zu tragen.
Zweitens könnte es sein, daß diese Attitüde des politisch moralisierenden Intellektuellen ein historisches Phänomen ist.
Intellektuelle neigen, so wäre die Vermutung, nicht generell dazu, sich moralisierend in die Politik einzuschalten; sondern dies ist ein Phänomen unserer Zeit. Ein Phänomen, entstanden im Frankreich des 19. Jahrhunderts, als Schriftsteller wie Victor Hugo und Émile Zola sich politisch engagierten. Dann neu belebt im Kampf gegen die Nazis (aus ihm heraus entstand der Begriff der littérature engagée, der engagierten Literatur); und wiederbelebt in der Zeit der Achtundsechziger Revolte, als man dekretierte, daß "Alles Politik" sei. Selbst kluge Köpfe wie Hans-Magnus Enzensberger gerieten damals in den Sog des Politischen.
Es könnte aber auch sein, daß diese unglückliche Art des Politisierens doch genuin etwas mit der Mentalität und mit der Weltsicht von Intellektuellen zu tun hat, wie sie ihnen als Gruppe nun einmal eigen sind.
Intellektuelle sind von Berufs wegen mit Interpretationen der Welt befaßt. Wo der tätige Mensch sich handelnd in der Welt bewegt, da tritt der Intellektuelle gewissermaßen einen Schritt zurück, schaut sich das alles an und macht sich seinen Reim darauf. Oder oft seine Reime. Denn er probiert oft einmal diese Deutung aus und einmal jene. Er denkt über die Wirklichkeit hinaus. Diese ist schließlich nur eine von vielen Möglichkeiten. In einem allgemeinen Sinn - Musil hat es präziser gemeint - ist der Intellektuelle ein Möglichkeitsmensch.
Der politisch moralisierende Intellektuelle nun ist - so besagt es diese dritte Erklärung - einer, der diese Attitüde nicht durchhält. Statt dort zu verbleiben, wo er zu Hause ist und wo er hingehört - im Bereich des Erdachten, der Interpretation, der Entwürfe und Imaginationen -, drängt es ihn zusätzlich hinein in die Wirklichkeit. Er will nicht nur kontemplieren, er will auch agieren. Und begibt sich damit auf ein Terrain, dem er nicht gewachsen und für das er nicht gerüstet ist.
He wants to eat the cake and have it, dieser politisierende Intellektuelle - die Wirklichkeit aus intellektueller Distanz betrachten, zugleich aber auch auf sie einwirken. Außen vor sein und zugleich mittendrin.
Er ist damit nicht Fisch und nicht Fleisch. Er ist als Intellektueller schlecht, weil er durch sein Engagement sich selbst der kritischen Souveränität beraubt, die dem Intellektuellen erst die Freiheit zum Denken gibt. Er ist ebenso schlecht als Politiker, weil er die Regeln des Geschäfts nicht versteht.
Er denkt nicht in den genannten Kategorien des Politischen, dem Erringen und Erhalten von Macht und dem Ausgleich zwischen Interessen. An die Stelle der Macht möchte er die Moral setzen; an die Stelle des Ausgleichs von Interessen die Verbesserung der Welt. Unfähig, das Politische mit dessen eigenen Kategorien zu erfassen, will er ihm seine, des Intellektuellen, moralischen Kategorien überstülpen.
Zum Glück bleiben sie meist ohne großen Einfluß, diese in der Politik moralisierenden Intellektuellen. Zum Glück beschränkt sich ihr bescheidener Einfluß meist auf andere Intellektuelle.
Wenn sie allerdings in die Lage geraten, ernst zu machen mit ihren Phantasien von einer moralischen Politik, von Politik als Verbesserung der Welt, dann wird es gefährlich. Dann zeigt sich die Verantwortungslosigkeit, mit der Intellektuelle in einer politischen Wirklichkeit agieren, deren Wesen und deren Regeln sie nicht akzeptieren. Die Geschichte des Kommunismus liefert die beklemmende Illustration.
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