Im Grunde ist die Frage, wie das moderne Frankreich aussehen könnte, aussehen sollte, vielleicht aussehen muß, einfach zu beantworten: So, wie die erfolgreichen Staaten des kapitalistischen Westens.
Also wie die angelsächsischen Staaten (die USA, England, Kanada, Australien, Neuseeland); wie die skandinavischen Länder; wie Spanien, das sich in einem erstaunlichen Prozeß aus einer rückständigen Diktatur zu einem modernen kapitalistischen, demokratischen Land gewandelt hat.
Und natürlich wie Deutschland.
Viele Diskussionen während des französischen Wahlkampfs durchzog der Vergleich mit uns, den östlichen Nachbarn, den voisins d'outre-Rhin, wie man in Frankreich gern sagt, die immer ersehnte Rheingrenze im Blick.
Warum schafft Frankreich nicht das, was Deutschland hinbekommen hat? Die Antworten - die der rechten, der liberalen Politiker, die vieler Wissenschaftler - waren in den Diskussionen, die ich verfolgt habe, eigentlich immer dieselben: Weil Deutschland sich den Herausforderungen Europas, der Globalisierung, der Dienstleistungs- Gesellschaft gestellt hat. Während in Frankreich die politischen Kämpfe des Zwanzigsten, wenn nicht des Neunzehnten Jahrhunderts weiter ausgetragen werden.
Wie wahr das ist, - dafür hat gestern Ségolène Royal den Beweis geliefert; mit einer Klassenkampf- Rhetorik, die man in Deutschland allenfalls von Kommunisten erwarten würde.
Warum ist Frankreich politisch so weit hinter Deutschland zurück, obwohl es in anderer Hinsicht - in der Bildung und vor allem der Ausbildung der Eliten, in der Technologie, auch der gesellschaftlichen Akzeptanz der Hochtechnologie - noch immer weit vor Deutschland liegt?
Im ersten Teil dieser Überlegungen habe ich auf die Rolle des Parteiensystems hingewiesen. Das Frankreich der Vierten Republik war, wie die italienische Nachkriegsrepublik, wie die deutsche Weimarer Republik, durch starke extremistische Parteien gelähmt gewesen, vor allem die Kommunistische Partei. Da niemand sie in der Regierung haben wollte, blieben nur Koalitionen aller restlichen Parteien, in wechselnden Konstellationen. Damit eine unglückliche Kombination von ständiger Unruhe an der Oberfläche und darunter Immobilismus.
Die Fünfte Republik hat das beseitigt, ist dabei aber gewissermaßen von der Skylla weg direkt in die Fänge der Charybdis geraten: Es gibt nun einen funktionierenden Wechsel zwischen linker und rechter Mehrheit - aber die linke ist von den Linksextremisten abhängig, und die rechte von den Rechtsextremisten.
Würde Royal gewählt werden, dann nur dank der Stimmen von Anhängern von Parteien, die gegen den demokratischen Rechtsstaat, gegen den Kapitalismus, gegen die Globalisierung, gegen den Liberalismus sind.
Sarkozy wird mit den Stimmen von Menschen gewählt werden - und ihnen seine Wahl verdanken - die in allen diesen Punkten ihren linken Zwillingen gleichen wie ein Ei dem anderen; nur daß es nationalistisch statt kommunistisch etikettiert ist.
Kein französischer Präsident, keine französische Regierung kann sich dieser Abhängigkeit entziehen.
Zumal, weil die linken Extremisten in den Gewerkschaften einen sehr starken verlängerten Arm haben; vor allem in den Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes (der Lehrer, der Eisenbahner zum Beispiel), die auch unter den vergangenen rechten Regierungen Reformen immer wieder erfolgreich boykottiert haben.
Ebenso wird Sarkozy keine durchgreifenden Reformen hinbekommen, die dem Nationalismus, der Europafeindlichkeit, der Globalisierungsfeindlichkeit und Intoleranz seiner rechtsextremen Wähler zuwiderlaufen. Die rechten Abgeordneten, auf die er sich stützt, würden ihre Wiederwahl gefährden, wenn sie zustimmten; er selbst jede Chance auf eine zweite Amtszeit verspielen.
Der politische Extremismus ist im Einundzwanzigsten Jahrhundert in den Ländern westlich der Ukraine keine Gefahr mehr in dem Sinn, daß irgendwo die Möglichkeit eines totalitären Regimes bestünde; als Ergebnis eines Putschs oder gar einer Revolution. Das ist vorbei.
Aber die Gefahr, daß man nicht zwischen Skylla und Charybdis hindurchkommt - oder, in einer drastischeren Metapher, daß nur die Wahl zwischen Pest und Cholera bleibt -, ist sehr real.
Frankreich hat sozusagen erst die Pest erlebt; in der Vierten Republik - den Immobilismus von zu unnatürlichen Koalitionen gezwungenen demokratischen Parteien, da weder die demokratische Rechte noch die demokratische Linke eine Mehrheit hatte.
Und Frankreich hat dann, in der Fünften Republik, die Cholera kennengelernt - rechte Regierungen, die von den Stimmen von Wählern der Rechtsextremen abhängig waren; linke Regierungen, die zum Teil sogar Kommunisten als Minister hatten. (Chiracs letzte fünf Jahre waren eine Ausnahme gewesen; und er hat sie nicht genutzt).
Warum ist uns Deutschen das im vergangenen halben Jahrhundert erspart geblieben? Aus einem einzigen Grund: Weil aufgrund unserer Vergangenheit, und aufgrund der abschreckenden Gegenwart der DDR, sowohl der Links- als auch der Rechtsextremismus vollkommen diskreditiert gewesen waren.
Mit anderen Worten: Bis 2005 hatte es immer eine linke oder eine rechte demokratische Mehrheit im Bundestag gegeben. Nach den Bundestags- Wahlen 2005 war das erstmals nicht mehr der Fall; weil die PDS, dank der Unterstützung durch die WASG, erheblich stärker in den Bundestag eingezogen war als zuvor.
Damit herrschen in Deutschland im Augenblick in dieser Hinsicht bereits Verhältnisse wie in der französischen Vierten Republik und in der Weimarer Republik: Wenn man die Extremisten nicht in die Regierung aufnehmen will, bleibt nur eine unnatürliche Koalition zwischen linken und rechten demokratischen Parteien.
2005 wurde es eine Große Koalition. Aber auch Ampel oder Jamaika wären ja unnatürliche Koalitionen gewesen.
Nach den Wahlen 2009 wird die SPD sehr wahrscheinlich der Versuchung ausgesetzt sein, mit den Grünen und den Kommunisten eine Volksfront- Regierung zu bilden. Dann herrschen Verhältnisse wie in der Fünften Republik, unter Mitterand.
Oder sie widersteht; dann wird es eine unnatürliche Koalition der Mitte geben. Es sei denn, CDU und FDP erreichen eine gemeinsame Mehrheit, was sehr unwahrscheinlich ist.
François Bayrou hat, so scheint mir, dieses Dilemma erkannt, was Frankreich angeht. Nicht zufällig wird seine neue Partei "Demokratische Partei" heißen, wie in den USA. Eine linke Mitte, die keine, aber auch nicht die geringsten Beziehungen zu Linksextremen hat. Schafft Sarkozy dasselbe für die Rechte, dann gäbe es ein modernes Frankreich.
Funktionieren kann das freilich nur mit einem strikten Mehrheitswahlrecht. Auch Deutschland würde - soweit ich sehe - nur dann die Wahl zwischen Pest und Cholera erspart bleiben, wenn es ein Mehrheitswahlrecht nach angelsächsischem Vorbild gäbe, das Extremisten keine Chance läßt; das auch extremistische Parteien gar nicht erst aufkommen oder Bestand haben läßt, weil sie politisch nicht wirken können.
Nur wird es das wohl kaum geben; in Frankreich so wenig wie in Deutschland.
Also wie die angelsächsischen Staaten (die USA, England, Kanada, Australien, Neuseeland); wie die skandinavischen Länder; wie Spanien, das sich in einem erstaunlichen Prozeß aus einer rückständigen Diktatur zu einem modernen kapitalistischen, demokratischen Land gewandelt hat.
Und natürlich wie Deutschland.
Viele Diskussionen während des französischen Wahlkampfs durchzog der Vergleich mit uns, den östlichen Nachbarn, den voisins d'outre-Rhin, wie man in Frankreich gern sagt, die immer ersehnte Rheingrenze im Blick.
Warum schafft Frankreich nicht das, was Deutschland hinbekommen hat? Die Antworten - die der rechten, der liberalen Politiker, die vieler Wissenschaftler - waren in den Diskussionen, die ich verfolgt habe, eigentlich immer dieselben: Weil Deutschland sich den Herausforderungen Europas, der Globalisierung, der Dienstleistungs- Gesellschaft gestellt hat. Während in Frankreich die politischen Kämpfe des Zwanzigsten, wenn nicht des Neunzehnten Jahrhunderts weiter ausgetragen werden.
Wie wahr das ist, - dafür hat gestern Ségolène Royal den Beweis geliefert; mit einer Klassenkampf- Rhetorik, die man in Deutschland allenfalls von Kommunisten erwarten würde.
Warum ist Frankreich politisch so weit hinter Deutschland zurück, obwohl es in anderer Hinsicht - in der Bildung und vor allem der Ausbildung der Eliten, in der Technologie, auch der gesellschaftlichen Akzeptanz der Hochtechnologie - noch immer weit vor Deutschland liegt?
Im ersten Teil dieser Überlegungen habe ich auf die Rolle des Parteiensystems hingewiesen. Das Frankreich der Vierten Republik war, wie die italienische Nachkriegsrepublik, wie die deutsche Weimarer Republik, durch starke extremistische Parteien gelähmt gewesen, vor allem die Kommunistische Partei. Da niemand sie in der Regierung haben wollte, blieben nur Koalitionen aller restlichen Parteien, in wechselnden Konstellationen. Damit eine unglückliche Kombination von ständiger Unruhe an der Oberfläche und darunter Immobilismus.
Die Fünfte Republik hat das beseitigt, ist dabei aber gewissermaßen von der Skylla weg direkt in die Fänge der Charybdis geraten: Es gibt nun einen funktionierenden Wechsel zwischen linker und rechter Mehrheit - aber die linke ist von den Linksextremisten abhängig, und die rechte von den Rechtsextremisten.
Würde Royal gewählt werden, dann nur dank der Stimmen von Anhängern von Parteien, die gegen den demokratischen Rechtsstaat, gegen den Kapitalismus, gegen die Globalisierung, gegen den Liberalismus sind.
Sarkozy wird mit den Stimmen von Menschen gewählt werden - und ihnen seine Wahl verdanken - die in allen diesen Punkten ihren linken Zwillingen gleichen wie ein Ei dem anderen; nur daß es nationalistisch statt kommunistisch etikettiert ist.
Kein französischer Präsident, keine französische Regierung kann sich dieser Abhängigkeit entziehen.
Zumal, weil die linken Extremisten in den Gewerkschaften einen sehr starken verlängerten Arm haben; vor allem in den Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes (der Lehrer, der Eisenbahner zum Beispiel), die auch unter den vergangenen rechten Regierungen Reformen immer wieder erfolgreich boykottiert haben.
Ebenso wird Sarkozy keine durchgreifenden Reformen hinbekommen, die dem Nationalismus, der Europafeindlichkeit, der Globalisierungsfeindlichkeit und Intoleranz seiner rechtsextremen Wähler zuwiderlaufen. Die rechten Abgeordneten, auf die er sich stützt, würden ihre Wiederwahl gefährden, wenn sie zustimmten; er selbst jede Chance auf eine zweite Amtszeit verspielen.
Der politische Extremismus ist im Einundzwanzigsten Jahrhundert in den Ländern westlich der Ukraine keine Gefahr mehr in dem Sinn, daß irgendwo die Möglichkeit eines totalitären Regimes bestünde; als Ergebnis eines Putschs oder gar einer Revolution. Das ist vorbei.
Aber die Gefahr, daß man nicht zwischen Skylla und Charybdis hindurchkommt - oder, in einer drastischeren Metapher, daß nur die Wahl zwischen Pest und Cholera bleibt -, ist sehr real.
Frankreich hat sozusagen erst die Pest erlebt; in der Vierten Republik - den Immobilismus von zu unnatürlichen Koalitionen gezwungenen demokratischen Parteien, da weder die demokratische Rechte noch die demokratische Linke eine Mehrheit hatte.
Und Frankreich hat dann, in der Fünften Republik, die Cholera kennengelernt - rechte Regierungen, die von den Stimmen von Wählern der Rechtsextremen abhängig waren; linke Regierungen, die zum Teil sogar Kommunisten als Minister hatten. (Chiracs letzte fünf Jahre waren eine Ausnahme gewesen; und er hat sie nicht genutzt).
Warum ist uns Deutschen das im vergangenen halben Jahrhundert erspart geblieben? Aus einem einzigen Grund: Weil aufgrund unserer Vergangenheit, und aufgrund der abschreckenden Gegenwart der DDR, sowohl der Links- als auch der Rechtsextremismus vollkommen diskreditiert gewesen waren.
Mit anderen Worten: Bis 2005 hatte es immer eine linke oder eine rechte demokratische Mehrheit im Bundestag gegeben. Nach den Bundestags- Wahlen 2005 war das erstmals nicht mehr der Fall; weil die PDS, dank der Unterstützung durch die WASG, erheblich stärker in den Bundestag eingezogen war als zuvor.
Damit herrschen in Deutschland im Augenblick in dieser Hinsicht bereits Verhältnisse wie in der französischen Vierten Republik und in der Weimarer Republik: Wenn man die Extremisten nicht in die Regierung aufnehmen will, bleibt nur eine unnatürliche Koalition zwischen linken und rechten demokratischen Parteien.
2005 wurde es eine Große Koalition. Aber auch Ampel oder Jamaika wären ja unnatürliche Koalitionen gewesen.
Nach den Wahlen 2009 wird die SPD sehr wahrscheinlich der Versuchung ausgesetzt sein, mit den Grünen und den Kommunisten eine Volksfront- Regierung zu bilden. Dann herrschen Verhältnisse wie in der Fünften Republik, unter Mitterand.
Oder sie widersteht; dann wird es eine unnatürliche Koalition der Mitte geben. Es sei denn, CDU und FDP erreichen eine gemeinsame Mehrheit, was sehr unwahrscheinlich ist.
François Bayrou hat, so scheint mir, dieses Dilemma erkannt, was Frankreich angeht. Nicht zufällig wird seine neue Partei "Demokratische Partei" heißen, wie in den USA. Eine linke Mitte, die keine, aber auch nicht die geringsten Beziehungen zu Linksextremen hat. Schafft Sarkozy dasselbe für die Rechte, dann gäbe es ein modernes Frankreich.
Funktionieren kann das freilich nur mit einem strikten Mehrheitswahlrecht. Auch Deutschland würde - soweit ich sehe - nur dann die Wahl zwischen Pest und Cholera erspart bleiben, wenn es ein Mehrheitswahlrecht nach angelsächsischem Vorbild gäbe, das Extremisten keine Chance läßt; das auch extremistische Parteien gar nicht erst aufkommen oder Bestand haben läßt, weil sie politisch nicht wirken können.
Nur wird es das wohl kaum geben; in Frankreich so wenig wie in Deutschland.