4. Juli 2013

Mursi weg -alles gut? Der Militärputsch in Ägypen

Nun ist er also endlich weg, und am Ende ist alles ganz schnell gegangen. Das Militär erklärte gestern den gewählten Präsidenten Mohammed Mursi und seine Regierung, nach fast exakt einem Jahr im Amt, für abgesetzt, suspendierte die Verfassung und versprach Neuwahlen. Als Übergangspräsident wurde der bisherige oberste Richter Adli Mansur eingesetzt. Und in der Tat: die Regierungsbilanz der seinerzeit zu den Wahlen 2011/2012 gern als gemäßigte Islamisten bezeichneten Muslimbrüderfür die der Bundesaußenminister seinerzeit um Vertrauen warb, ist desaströs. Das Land liegt wirtschaftlich am Boden, die klerikalen Kräfte haben die tiefe Spaltung des Landes weiter zementiert. Für den deutschen Beobachter zeigte sich dies zuletzt und erschreckend in dem Aufruf, den ägyptischstämmigen deutschen Publizisten Hamed Abdel-Samad wegen islamkritischer Äußerungen zu ermorden. Es ist gut, daß diese Regierung nicht mehr im Amt ist. Allein das "Wie" läßt mich zögern, in das gegenwärtige Jubilate einzustimmen. Es war ein Militärputsch.
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Daß dieser Militärputsch ein sanfter sei, mag man an der Anzahl der bisher zu beklagenden Toten festmachen, mehr aber auch nicht. Und wäre ein weniger "sanftes" Vorgehen vonnöten gewesen, so habe ich keinen Zweifel, hätten die Militärs keinen Moment gezögert, auch dieses Vorgehen zu wählen. Rückblickend nimmt sich die demokratische Wahl 2012, bei der die  islamistischen Parteien und ihr Kandidat Mursi in der Stichwahl eine zwar knappe aber eindeutige Mehrheit errungen hatten, eher wie ein "Wir spielen Demokratie" unter den duldsam-paternalen Augen des Militärs aus, das einschreitet und die zivilen Institutionen außer Kraft setzt, sobald das Spiel "eskaliert". Ein Aspekt, der in den heutigen deutschsprachigen Kommentaren zur Lage in Ägypten wenig vorkommt. 
Die abgesetzte Regierung könnte, insbesondere in den eher konservativ-ländlichen Regionen außerhalb Kairos, noch großen Rückhalt genießen. Schließlich hatten alle islamistischen Parteien zusammen bei der Parlamentswahl 2011 mehr als 70% der abgegebenen Stimmen erhalten.  Diese Kräfte verschwinden natürlich nicht über Nacht. Umgekehrt sind die Verflechtungen des Militärs mit der Zivilgesellschaft, den Geheimdiensten und der Wirtschaft enorm; man kann wohl, ähnlich wie im Falle der Türkei, von einem tiefen Staat sprechen. Die Zukunft des Landes ist also ungewiß.

Der im Londoner Exil lebende iranische Publizist Amir Taheri, ein ausgewiesener Kenner des nahen Ostens und der arabischen Welt, schätzt die Lage denn auch deutlich vorsichtiger ein. In der New York Post kommentiert er heute:
Eighteen months ago, Egyptians celebrated the "revolution" that they believed ended half a century of military rule. At the time, some of us doubted that a genuine revolution had occurred. It seemed a military coup aimed at change within the regime rather than regime change.
Vor achtzehn Monaten feierten die Ägypter die "Revolution", von der sie glaubten, sie beende ein halbes Jahrhundert Militärregentschaft. Damals zweifelten manche von uns, ob eine wirkliche Revolution überhaupt stattgefunden hatte. Es schien eher ein Militärputsch zu sein mit dem Ziel einen Wechsel innerhalb des Regimes zu erwirken und weniger einen Wechsel des Regimes an sich.
Die Militärführung habe gestern, führt Taheri weiter aus, zwar Neuwahlen und ein neues Verfassungsreferendum angekündigt und dabei für sich selbst lediglich eine Vermittlerrolle vorgesehen. Man sei dabei jedoch ausgesprochen vage geblieben. 

Taheri zieht im weiteren einen Vergleich zu der Situation in Algerien vor 20 Jahren, als säkulare Kräfte das Militär genötigt hätten, durch den Abbruch demokratischer Wahlen die sich abzeichnende Mehrheit für eine islamistische Regierung zu unterbinden, mit dem Ergebnis eines Bürgerkrieges mit bis zu 200.000 Toten und einer de-facto-Militärdiktatur bis heute. 

Die Verhinderung einer islamistischen Regierung ist nicht gleichbedeutend mit einer Stärkung demokratischer Kräfte, auch wenn insbesondere deutsche Medien dies, unbeirrt durch die Entwicklungen infolge des "Arabischen Frühlings", gerne so sehen möchten. Amir Taheri schließt seinen Kommentar dann auch folgerichtig mit den Worten:
A coup by any other name is still a coup, and it will smell as sour. And the aspiring democrats of Tahir square may end up as losers again. Whoever throws the banquet, they could be served as the turkey on the table.
Man kann ihn nennen wie man will, ein Putsch bleibt ein Putsch, und  er wird am Ende sauer schmecken. Und die aufstrebenden Demokraten vom Tahirplatz könnten am Ende erneut verlieren. Wer immer das Bankett am Ende ausrichtet, die Demokraten könnten sich  zu guter letzt als Truthahn auf dem Tisch wiederfinden.


Andreas Döding


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