Mit Polemik und drastischer Sprache verhält es sich ein
bisschen wie mit geschmacksintensiven Gewürzen: Je nachdem, welcher Substanz
sie eine besondere Note verleihen sollen, und abhängig von den Vorlieben des
Lesenden beziehungsweise Essenden wird die Beimischung einer geringeren oder
einer größeren Dosis anzuraten sein.
Aber auch wem der Gusto nicht nach Vergleichen wie „so
wertvoll wie ein gebrauchtes Kondom“, der Deutschen liebstem Schimpfwort oder
einer Aussage mit der Botschaft „Ernährungsberatung […] ist Gewalt von Frauen
gegen Frauen“ steht, findet in dem Interview, das die ZEIT mit dem
Sachbuchautor Udo Pollmer geführt hat, einige durchaus beachtliche Gedanken.
Man mag in der Tat an der wissenschaftlichen Begründbarkeit
des Body-Mass-Index oder der Kampagne zum Verzehr von fünf Portionen Obst pro Tag zweifeln. Aber interessanter ist vermutlich die Frage, weshalb derartige
Körpervermessungen und Diätempfehlungen in der Bevölkerung überhaupt auf
Akzeptanz stoßen und wie der ganze Ernährungswahn zu einem Dauerbrenner der
Ratgeberliteratur werden konnte. Warum essen wir nicht einfach ohne jeden
Gewissensbiss das, wonach sich unser Gaumen sehnt?
Pollmer argwöhnt, dass die Verteufelung derjenigen Speisen,
die den meisten Menschen schmecken, „mit unserer protestantischen
Vergangenheit“ zusammenhänge. Adressaten der Panikmache seien die Frauen. Und
in der Familie, so wird man ergänzen müssen, werden sie dann auch häufig zu
Multiplikatoren der lebensreformerischen Zumutungen.
Dieser Befund klingt auf den ersten Blick plausibel: Dass
„[g]rüne Ideologie und protestantische Verzichts-Ethik“ (Maxeiner/Miersch) eine unheilige Allianz
eingegangen sind, ist bekannt. Dass Frauen dem Wahn des gesunden Essens in
größerer Zahl verfallen als Männer, lässt sich durch Gespräche und Erfahrungen im
Bekanntenkreis empirisch untermauern. Aber macht man es sich mit dieser
Erklärung nicht zu einfach?
Meines Erachtens ist auch hier der vom Blog-Kollegen Andreas Döding extrapolierte „Mensch-Natur-Dualismus als zentrales Dogma der grünen Religion“ von erheblicher Bedeutung: Demnach weiß
der unbehaglich in der Kultur darbende Mensch nicht mehr, welche Nahrung ihm wirklich frommt. Sein
von „künstlichen“ Lebensmitteln verdorbener Appetit ist somit kein
verlässlicher Indikator für die Bedürfnisse des Körpers, im Gegenteil: Unser
insoweit falsch konditioniertes Lustgefühl rät uns zu Viktualien, die unserer Konstitution
schaden; um diesem Sirenengesang nicht anheimzufallen, müssen wir uns zum
Biss in den sauren Apfel zwingen.
Exemplifizieren lässt sich diese These an der Behandlung,
die der Ketchup in der veröffentlichten Meinung erfahren hat: Vermutlich ist
die dickflüssige Sauce diejenige Darreichungsform der Tomate, welche die meisten
Menschen goutieren. Da der Ketchup gedanklich mit der Schnellgastronomie und so
fettreichen Speisen wie den Pommes Frites assoziiert ist, geriet er unter
ernährungsphysiologischen Verdacht. Plakativ formuliert: Was in (amerikanischstämmigen)
Fast-Food-Tempeln als Dip verabreicht wird, kann nicht gesund sein. Vor
einigen Jahren wurde der Ketchup dann völlig unerwartet rehabilitiert:
Ein „wahrer Jungbrunnen“ sei er und ein Schutz vor diversen Krankheiten.
Noricus
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