19. Juli 2013

Gedanken zum 20. Juli 1944. Ein Gastbeitrag von adder

Passend zum Monat, in dem sich alljährlich dieser Gedenktag wiederholt, wurde ja in Bezug auf Edward Snowden in den letzten Wochen gerne der Vergleich mit den Verschwörern aus der Wehrmacht gezogen. Nein, ich möchte nicht so sehr auf Edward Snowden eingehen, obwohl ich diese Vergleiche als unpassend empfinde, sondern mich mit vier Personen beschäftigen, die im Untergrund teilweise bereits seit 1934 gegen Hitler und die Nazis planten, Attentate organisierten und Umsturzpläne fassten. Personen, deren Zielstrebigkeit, Opferbereitschaft und moralische Integrität uns heute durchaus immer noch Vorbild sein kann.

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Anders als üblich, möchte ich dabei nicht mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg beginnen, den ich sogar gänzlich übergehe, sondern mit einem Offizier, der zum Zeitpunkt des Attentates bereits verstorben war.

„98 Prozent des deutschen Volkes sind eben besoffen“

Kurt Freiherr von Hammerstein-Equord, der am 24.04.1943 an Krebs verstarb, war wahrscheinlich der erste Offizier, der Widerstand gegen die Nazis in Betracht zog. Er hätte – wenn nicht sowohl rechtliche Bedenken als auch Furcht vor einer Meuterei in der Truppe ihn zurückgehalten hätten – bereits 1933 die Machtübernahme der Nazis verhindern können. Von Hammerstein war bereits zu diesem Zeitpunkt klar, welche Auswirkungen die Machtübernahme haben würden, dass „Wir […] einen Kopfsprung in den Faschismus gemacht [haben]“. Als Oberbefehlshaber der Reichswehr trat er zurück, getreu seiner eigenen Leitschrift für Truppenführung („Widerstand wird im Fall der Unterlegenheit nur so lange verlangt, wie er als sinnvoll anzusehen ist.“), dennoch blieb der Haushalt des Generals ein wichtiger Treffpunkt für die Verschwörer aus den Reihen der Wehrmacht und einer der Söhne nahm am Putschversuch von 1944 teil. Nach der Niederschlagung des Putsches geriet ein anderer Sohn zusammen mit der Ehefrau und einer Tochter Hammersteins in Gefangenschaft und wurde ins KZ Dachau überstellt.

Von Hammerstein selbst war in die Umsturzpläne während der Sudetenkrise 1938 involviert und nahm nach seiner Reaktivierung für den aktiven Dienst 1939 aktiv an verschiedenen Plänen und Versuchen teil. Von aktuellerer Bedeutung dürfte sein, dass von Hammerstein wie auch von Witzleben und Canaris 1939/40 durchaus bereit waren, wichtige Informationen an die britische Regierung weiterzugeben – also im tatsächlichen Sinne Verrat begingen. Sie stellten nicht nur ihr eigenes Leben, nein auch ihre Ehre aufs Spiel, um Schlimmeres zu vermeiden.

Wer Interesse an Kurt von Hammerstein hat, dem sei an dieser Stelle auch der Versuch einer Biographie durch Hans-Magnus Enzensberger empfohlen – obwohl Enzensberger mit historischen Fakten sehr frei umgeht.

„Der Krieg ist verloren. Hitler ist verrückt und muß beseitigt werden.“

Mit seiner Aussage von 1941 möchte ich Ihr Augenmerk auf den Offizier richten, der tatsächlich die Rolle ausgefüllt hat, die von Stauffenberg immer gerne zugeschrieben wird: Henning von Tresckow. Der spätere Generalmajor war tatsächlich zuerst ein unkritischer Befürworter des Regimes, da er in diesem eine Chance auf die Revision des „Schmachfriedens von Versailles“ sah. Von Tresckow wandte sich aber durch Ereignisse wie den Mord an General von Schleicher 1934 und die Blomberg-Fritsch-Affäre von 1938, sowie durch Einblicke in Pläne und tatsächliche Stärken [schnell] vom Hitlerismus ab und den Offizieren um von Witzleben und von Hammerstein zu.

Tresckow war ein energischer und zielstrebiger Mann, der beständig plante und viele Offiziere für den Widerstand gewann, aber auch aktiv und offen gegen „unehrenhafte Befehle“ wie den Kommissarsbefehl (Erschießung von Politoffizieren direkt nach Gefangennahme) und die Order zur Selektion der Juden revoltierte.

Er plante mehrere Attentate und trieb die anderen Verschwörer beständig an. Unglücklicherweise war den meisten Plänen kein Erfolg beschieden und Tresckow war durch die Frontlage 1944 leider nicht in der Lage viel zum Attentat und Umsturz beizutragen. Er war aber tatsächlich ein sehr wichtiger Bestandteil der Verschwörergruppe, und schrieb mit Stauffenberg die Befehle zur Operation Walküre um.

Henning von Tresckow beging Selbstmord, nachdem er vom Scheitern des Putsches erfahren hatte, um nicht im Verhör andere Verschwörer preisgeben zu müssen. Als seine Verstrickung offenbar wurde, exhumierte man Tresckow und verstreute seine Asche an einem unbekannten Ort.

Erwin Erdmann von Witzleben war ebenfalls ein sehr früher Kritiker des Regimes und aufgrund seines hohen Ranges und seines Ansehens unter den Offizieren der Wehrmacht, die nicht aktiv am Putsch teilnehmen wollten, unentbehrlich für den Erfolg der Verschwörung.

Von Witzleben war in nahezu alle Versuche involviert, Hitler zu stürzen, bezog nach der Ermordung des General Schleicher 1934 aktiv und laut Stellung gegen die Nazis – was aber seiner Karriere nicht schadete.

Von Witzleben sollte während der Schauprozesse vor dem Volksgericht sehr herabgesetzt und beleidigt werden (man hatte ihm trotz des schwachen körperlichen Zustandes keinen Gürtel zugestanden und Witzleben musste dadurch seine Hose mit der Hand festhalten) und antwortete an Freisler gerichtet: „Sie können uns dem Henker überantworten. In drei Monaten zieht das empörte und gequälte Volk Sie zur Rechenschaft und schleift Sie bei lebendigem Leib durch den Kot der Straßen.“

Natürlich gibt es noch viele weitere Namen auf der Liste, doch schließen möchte ich die personelle Bestandsaufnahme mit einem Überlebenden, der erst in diesem Jahr aufgrund seines hohen Alters starb, Ewald-Heinrich von Kleist-Schmenzin. Dieser junge Offizier, 1944 gerade einmal Leutnant der Infanterie, war bereit, sein Leben durch eine Bombe zu beenden, um Hitler zu töten. Von Kleist wurde dabei von seinem Vater mit den Worten „Ja, das musst Du tun. Wer in einem solchen Moment versagt, wird nie wieder froh im Leben“ in seiner Entscheidung bestätigt. Allerdings kam es nicht zum Attentat, da Hitler den Termin für die Vorführung von neuen Uniformen (der als Vorwand diente) beständig verschob. Von Kleist entkam und wurde von Freunden gedeckt und überlebte so bis zum Ende des Krieges.

Dieser Mann nahm seine Verantwortung aber auch nach dem Neubeginn in Deutschland sehr ernst; er gründete und moderierte eine Konferenz für internationale Sicherheit und erinnerte die Deutschen an das Attentat und seine Mitverschwörer. Es muss schwer für ihn gewesen sein, als in den 50ern der Militärische Widerstand gegen Hitler öffentlich als Verräter beschimpft wurde.

Nach diesem Überblick über einige Menschen möchte ich noch auf das Mittel des Putschversuchs hinweisen, die Operation Walküre, die es immerhin in den Titel eines eher schlecht recherchierten Films geschafft hat.

Nehmen wir einmal an, es wäre anders gekommen(dieses Stilmittel wird gerne in Romanen benutzt, z.B. in Robert Harris‘ „Fatherland“ mit der Annahme eines durch Hitler gewonnenen Krieges) und das Attentat wäre erfolgreich gewesen.

Die Pläne für Operation Walküre ermächtigten dann – nachdem sie durch Tresckow und Stauffenberg verändert worden waren – die Armeeführung zu weitreichenden Maßnahmen, die sich natürlich gegen SS und Partei gerichtet hätten. So weit, so gut…

„Der Führer Adolf Hitler ist tot! Eine gewissenlose Clique frontfremder Parteiführer hat es unter Ausnutzung dieser Lage versucht, der schwerringenden Front in den Rücken zu fallen und die Macht zu eigennützigen Zwecken an sich zu reißen.“ (Wortlaut des von Witzleben unterschriebenen Befehls)

… allerdings sollten wir aus heutiger Sicht nicht vergessen, dass die Rechtfertigung für diese Maßnahmen der Tod Hitlers war und dass der Mord an Hitler den Nazis in die Schuhe geschoben werden sollte. Hitler wäre damit natürlich zum Märtyrer geworden. Und natürlich wäre im Ausland das Ganze auch nicht (nun, genauso wenig wie in der Realität) als Putsch gegen ein verbrecherisches Regime gesehen worden. Nein, selbst wenn der Putsch erfolgreich gewesen wäre, hätten diese Offiziere doch nur kapitulieren können. Womöglich hätten sie hunderttausende Leben retten können, vielleicht sogar einen Separatfrieden mit den Westallierten aushandeln und den Vormarsch der Roten Armee länger verzögern können. Wahrscheinlich ist das nicht. Mit Sicherheit wussten sie alle, dass sie in den Tod gingen. „Das Attentat muss erfolgen, Coute que Coute. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat.“ (Tresckow, Juni 1944) Dennoch waren sie dazu bereit, ihre Leben zu opfern und ihre Familien in Gefahr zu bringen, um einen Versuch zu wagen, das Schlimmste zu verhindern. Henning von Tresckow sagte kurz vor seinem Tod: „Wenn einst Gott Abraham verheißen hat, er werde Sodom nicht verderben, wenn auch nur zehn Gerechte darin seien, so hoffe ich, dass Gott Deutschland um unseretwillen nicht vernichten wird. Niemand von uns kann über seinen Tod Klage führen. Wer in unseren Kreis getreten ist, hat damit das Nessushemd angezogen. Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben hinzugeben.“ Gerade der letzte Satz ist für mich ein Beleg für die hohen Ansprüche, die die Offiziere an sich selbst anlegten.

Letztlich waren also die Verschwörer bereit, ihre Integrität und Zukunft zu opfern. Sie waren mit Sicherheit keine Befürworter der Republik, sondern teilweise Monarchisten, teilweise überzeugte Faschisten (aber keine Nationalsozialisten mehr), teilweise Demokraten. Ob sie unsere heutige Freiheitlich-demokratische Grundordnung befürwortet hätten, können wir nicht beantworten, genauso wenig, ob ein erfolgreicher Putsch das Schicksal der Deutschen hätte verändern können.

Was von Ihnen bleibt und was wir uns als Vorbild nehmen können, ist ihr unbändiger Wille nach einem Ende des Terrorregimes, die hohen moralischen Ansprüche, die sie an sich selbst anlegten, und ihre unbedingte Bereitschaft, auf diesem Weg Opfer zu erbringen, sollten sie nötig werden. Vergessen sollten wir aber auch nicht, dass mindestens Tresckow und Carl-Friedrich Gördeler durch die Verbrechen gegen Minderheiten und die alltägliche Unfreiheit zu Regimefeinden wurden, aber auch Hammerstein, Witzleben und Canaris (und viele andere) diese Verbrechen und Benachteiligungen als schmachvoll und dringend zu beenden ansahen.

Wenn nun aber interessierte Kreise – die zuvor den militärischen Widerstand nicht als legitim und nur als „eigennützige Clique“ bezeichnet haben – einen Vergleich mit diesen Menschen ziehen, dann ist das für mich nicht nur gewagt. Snowden mag ja nach seiner Offenlegung schlimme Strafen fürchten müssen – diese Offiziere und Bürger jedoch riskierten schon vorher Leib und Leben – wir sollten auch nicht vergessen, dass nach dem Attentat auch die Familien ins Visier der Gestapo gerieten.

adder

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