16. Juli 2013

Die Hand am Regler (1) - Der Strommarkt


­Die Bundesregierung wird erpresst. Von den mächtigen privatisierten Stromriesen, die mit ihren Dreckschleudern weiter fette Gewinne einkassieren möchten. So jedenfalls der Tenor eines Artikels bei SPON und der dazugehörigen Leserkommentare.

Die nimmermüde Wind- und Sonnentrommlerin Marlies Uken stößt auf "Grüne Geschäfte" ins gleiche Horn:
Zwar haben die Energieriesen die absehbaren Folgen der Energiewende viel zu lange verschlafen und in einige Kraftwerke investiert, die im künftigen Energiemix kaum noch gebraucht werden. Doch angesichts ihrer aufgehäuften Milliardenreserven könnten sie das leicht verschmerzen. Wenn die vier größten Betreiber jetzt mit Stilllegungen drohen, dann geht es ihnen nicht um den Abbau von Überkapazitäten, sondern um Kompensationszahlungen.
Die notwendigen Maßnahmen sind auch klar - die "Stimme des Volkes" ist ja selten kreativ - Energieversorgung verstaatlichen, stromintensive Industrie nicht mehr von der EEG-Umlage befreien usw.

Was war passiert? Seit dem exponentiellen, durch die im EEG garantierte Einspeisevergütung geförderten Ausbau von Wind onshore und Photovoltaik sind gerade Öl- und Gaskraftwerke oft nicht mehr rentabel zu betreiben. Irsching V, eines der modernsten Kraftwerke in Deutschland, ist bei weitem nicht ausgelastet.

Ist auch klar - die Grundlast wird - noch - von den verbliebenen Kern- sowie Kohlekraftwerken geleistet, da kann das Gaskraftwerk aufgrund der Brennstoffkosten nicht mithalten. Dazu drängen die volatilen Erneuerbaren mit Einspeisevorrang ins Netz. Nun werden die Energiewendebefürworter sagen - "super, genau das war doch der Sinn der Sache!" Allerdings wollen die meisten von ihnen auch nachts und bei Windstille Strom haben. Und wenn sie dann auch noch im Süden Deutschlands wohnen, haben sie dabei aufgrund der Beschaffenheit des deutschen Stromnetzes ziemlich schlechte Karten.

Ich werde nun in einer kleinen Serie versuchen, den Hintergrund dieses komplexen Themas zu beleuchten.
Im ersten Teil beschäftige ich mich mit dem deutschen Strommarkt, später mit den Strompreisen und der Frage nach der Verstaatlichung.

Da der Netzausbau Richtung Süden aufgrund der komplizierten Genehmigungsverfahren noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, bleibt als einzig wirksame Option die Vorhaltung von Reservekraftwerken. Da diese aber nicht zu Marktbedingungen produzieren können, wird sich der Markt für Strom aus Gaskraftwerken auf mittlere Sicht von einem Absatzmarkt in einen Kapazitätsmarkt verwandeln. Die Netzbetreiber werden die Kraftwerke sozusagen pachten und auf Abruf bereitstellen lassen - gegen garantierte Vergütung. Das ist im Bereich der Regelenergie sowie beim Ausgleich von Netzverlusten schon lange üblich; jetzt wird es auch einen Kapazitätsmarkt für die Füllung einer Lücke geben, die der erneuerbare Zufallsstrom hinterlässt.

Das Problem am Strommarkt in Deutschland ist folgendes: Ein Teil des Handels findet zu freien Marktbedingungen mit Preisbildung durch Angebot und Nachfrage statt, ein anderer zu planwirtschaftlichen Bedingungen mit staatlichem Preisdiktat. Dazu kommt, dass durch die fehlende (und im großen Maßstab technisch auf längere Frist nicht realisierbare) Speicherung das Angebot der Nachfrage zu jedem Zeitpunkt genau folgen muss. Ein entsprechendes Überangebot ist (im marktwirtschaftlich organisierten Handel) im besten Fall verloren, im worst case führt es zu Ausnahmesituationen im Netz bis hin zu einem Blackout. Im planwirtschaftlichen Teil dagegen wird es entsprechend der Regeln des EEG vergütet, egal ob irgendwo eine Waschmaschine damit betrieben wird oder nicht.

Bei einem Überangebot von EEG-vergütetem Strom kommt es zum Kampf der Systeme - und aus Sicht des Produzenten passiert etwas historisch Unglaubliches: Die Planwirtschaft siegt. Der Netzbetreiber zahlt die volle Einspeisevergütung an den Produzenten und versucht dann, den nicht nachgefragten Strom an der Börse wie sauer Bier wieder loszuwerden - bis hin zu negativen Preisen. Diesen Verlust gleichen die Netzbetreiber durch die EEG-Umlage wieder aus.

Nun berufen sich die Befürworter auf den sogenannten merit order-Effekt, der dazu führt, dass die Börsenpreise durch das Überangebot an EEG-Strom ja auch wieder sinken und das Ganze schließlich (aufgerechnet auf die Umlage) ein Nullsummenspiel wäre.

Dieses Argument stimmt aus mehreren Gründen nicht: Zum einen fängt der merit order-Effekt gerade bei einem großen Überangebot an EE-Strom den Verlust aus den Einspeisevergütungen nicht auf - die Folge: die Umlage steigt überproportional an. Die regionale Ungleichverteilung der EE-Produktion verstärkt dieses Verhältnis noch, da ein Teil des produzierten EE-Strom mangels Leitungen nicht beim Verbraucher ankommt.

Zum zweiten ist das System gesamtwirtschaftlich gesehen ineffizient: Ein immer größerer Anteil wird nicht zu effizienten Kosten produziert, weit über Marktpreis vergütet und unter Marktpreis verkauft. Die Gaskraftwerksbetreiber, die diesen Vorteil nicht haben, kriegen ihre Anlagen nicht mehr ausgelastet und werden aus dem Markt gedrängt. Dies führt zur Ankündigung von Kraftwerksschließungen und - da mittelfristig die Reservekapazität gebraucht wird - zu einem - selbstverständlich planwirtschaftlich organisierten - Kapazitätsmarkt.

Politisch gesehen passt das durchaus in eine linke oder grüne Agenda. Denn ein Großteil des Geldes, das hier wissentlich vernichtet wird, wäre in den Taschen der Gaskraftwerksbetreiber - also privater Energieversorger - gelandet. Unternehmensgewinne von Energieversorgern zu verhindern und damit die Energiewende zu finanzieren ist linke Politik aus dem Lehrbuch:
Peter Altmaiers Schreckensszenario hinsichtlich der Kosten der Energiewende ist Teil einer Verleumdungskampagne gegen die erneuerbaren Energien. Wenn Altmaier den Mut hätte, die Gewinne der Konzerne abzuschöpfen, würde die Energiewende die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht weiter belasten.
Caren Lay, verbraucherpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

Dumm ist nur, dass - entgegen aller Beteuerungen - der Strompreis für den Endkunden trotzdem steigt.

Das liegt in der Natur der Sache - wenn man ein einigermaßen effizientes System durch ein weniger effizientes ablöst, steigen die Kosten. Allerdings werden von den EEG-Befürwortern andere Schuldige benannt - die Industrierabatte, die verbliebenen Atom- und Kohlekraftwerke, oder einfach generell die Tatsache, dass die Energieversorgung nicht verstaatlicht ist.

Mehr zu den Strompreisen im nächsten Teil der Serie.
Meister Petz


© Meister Petz. Titelvignette: Der Block 5 des Kraftwerks Irsching, vom Netzbetreiber TenneT als Reservekraftwerk unter Vertrag genommen. Bild gemeinfrei gestellt auf Wikimedia Commons durch User Dede2. Für Kommentare bitte hier klicken.