6. Januar 2007

Mein liberalkonservativer Vermittlungsausschuß

Als Liberalkonservativer fühle ich mich gelegentlich wie ein wandelnder Vermittlungsausschuß. Der Liberale in mir meint Dies, der Konservative hält Jenes für richtig. Beide haben gute Argumente. Ja mehr noch: Beider Positionen sind keineswegs ad hoc gebildet worden, sondern sie reflektieren tiefsitzende, grundsätzliche Überzeugungen.

Da streiten sie sich nun also, der Konservative und der Liberale in mir. Meist kann einer der den anderen überzeugen, oder man findet einen Kompromiß, und sie können mit einem gemeinsamen Ergebnis an die Öffentlichkeit treten.

Manchmal geht es ihnen auch wie den Gesundheits- und ähnlichen Politikern der Großen Koalition: Sie wollen sich ja verständigen, aber sie kommen nicht zu Potte.

Wenn ihnen das passiert, dem Liberalen in mir, dem Konservativen in mir, dann beneiden sie schon einmal diejenigen, die auf die meisten Fragen eine schnelle Antwort haben, weil sie lupenreine Liberale sind, lupenreine Konservative. Ganz zu schweigen von den Sozialisten, den Kommunisten, den Antideutschen usw., denen ihre politische Haltung die Antworten auf alle Fragen so zuverlässig liefert, wie die Schachtel Marlboro aus dem Zigarettenautomaten plumpst.

Im Unterschied zu Regierungsmitgliedern sind sie, der Konservative in mir, der Liberale in mir, zum Glück nicht zur Einigung verdammt. Wenn sie sich nicht einigen können, dann melden sie halt eine Hung Jury, und die Sache hat sich. Dann sage ich eben zu dem betreffenden Thema nichts.



Drei Themen, die in meinen Vermittlungsausschuß mußten, waren in den letzten Tagen aktuell: Der Fall Gäfgen, oder vielmehr dessen neueste Wendung. Die Hinrichtung Saddam Husseins. Und drittens das Bestreben des Innenministers, für den Fall eines terroristischen Anschlags oder eines solchen Versuchs Rechtssicherheit zu schaffen, was die erforderlichen Gegenmaßnahmen angeht.



Im Fall der Todesstrafe für Saddam Hussein waren die Fronten in meinem kleinen, in pectore residierenden Vermittlungsausschuß klar:

Der Liberale in mir ist gegen die Todesstrafe, bedingungslos und prinzipiell. Er vertritt ungefähr die Position, die Karsten in B.L.O.G klar dargelegt hat: "Eindeutig ist aus meiner Sicht: Die Todesstrafe ist falsch. Immer, unter allen Bedingungen und überall. Auch bei Saddam ...".

Punktum. Man kann ja grundsätzliche Wertentscheidungen nicht von Fall zu Fall zur Disposition stellen.

Der Konservative in mir ist - anders als viele Konservative außerhalb meiner Brust - beileibe kein Anhänger der Todesstrafe. Nur denkt er pragmatisch. Die Todesstrafe, argumentiert er, ist falsch, weil sie ein Überrest archaischen Denkens ist.

Sie stammt aus voraufklärerischen Zeiten, und auch hier sollte die Aufklärung sich allmählich durchsetzen.

Nur halt allmählich, und wenn's mal nicht gleich so weit ist - sei's drum. Der Konservative in mir, der auch ein Pragmatiker ist, kann sich darüber nicht echauffieren.

Die beiden haben sich dann auf das geeinigt, was sie beide guten Gewissens vertreten können: Wie immer man zur Todesstrafe steht, es ist jedenfalls ein Unding, daß die deutsche und die italienische Regierung es ausgerechnet angesichts der Hinrichtung Saddam Husseins für richtig befanden, sich als Gegner der Todesstrafe zu bekennen. Während ihnen zum Beispiel die kürzliche Hinrichtung chinesischer Geistlicher nach einem fragwürdigen Prozeß eine solche Stellungnahme nicht wert gewesen war.



Im Fall der gesetzlichen Regelung dessen, was die Regierung im Fall einer extremen terroristischen Bedrohung tun darf, ist der Liberale in mir dafür, prinzipiell dem Staat so wenige Befugnisse einzuräumen wie möglich. Schon gar nicht, ihm eine Lizenz zum Töten zu erteilen.

Wenn es gar nicht anders geht, dann muß der Verantwortliche es eben auf sich nehmen, sich über das Gesetz hinwegzusetzen, um Menschenleben zu retten. Das ist etwas ganz Anderes, als wenn der Staat diesen Akt der Tötung Unschuldiger ausdrücklich erlaubt.

Auch das BVerfG hat ja nur eine solche ausdrückliche Erlaubnis nicht zugelassen. Darüber, was jemandem passiert, der den Befehl dennoch gibt, hat es sich gar nicht geäußert. Niemals kann aber der Staat es gesetzlich festlegen, daß der Mensch zum Mittel zum Zweck wird. Das steht in krassem Gegensatz zu Paragraph 1 des Grundgesetzes.

Der Konservative in mir hält dem entgegen, daß niemand es Verantwortlichen zumuten kann, in einer solchen Situation gesetzwidrig zu handeln.

Auch im Krieg schickt der Staat Soldaten in den sicheren oder wahrscheinlichen Tod. Es gibt also keineswegs eine generelle Norm - ein allgemeines Gesetz, würde Kant sagen -, die das verbietet. Und die Situation einer extremen terroristischen Bedrohung ist vergleichbar einer Kriegssituation.

Wenn der Einsatz von Soldaten im Krieg in Situationen, in denen sie mit dem Tod rechnen müssen, dem Grundgesetz nicht widerspricht, dann kann dessen Verbot nicht so rigoros sein, wie es der Liberale in mir vorausgesetzt hatte.

Weiter gibt er zu bedenken, der Konservative in mir, daß die Gerichte in unserem Rechtssystem sich in einem solchen Fall nicht anders verhalten können als der Gesetzgeber. Das GG ist schließlich unmittelbar geltendes Recht. So, wie der Frankfurter Polizei- Vizepräsident Daschner verurteilt werden mußte, weil er ein entführtes Kind retten wollte, wird auch der Innenminister verurteilt werden müssen, der den Abschuß eines Flugzeugs befahl; wie nachvollziehbar auch immer seine Motivation gewesen sein möge.

Und wie soll man es erst einem Jagdflieger zumuten, eine Zivilmaschine abzuschießen, wenn es dafür gar keine gesetzliche Grundlage gibt? Müßte nicht zumindest dieser, wenn schon nicht der Innenminister, das Grundgesetz unter dem Arm tragend, den Befehl verweigern? Sagt der Konservative in mir

In diesem Fall hat er, der Konservative in mir eindeutig gewonnen. Man kann es hier nachlesen.



Und im Fall Gäfgen? Es geht um einen Verbrecher, der ein Kind entführt hat, weil er Geld für einen aufwendigen Lebensstil erpressen wollte. Der sich dazu ein Opfer ausgesucht hat, das er gut kannte und das ihm vertraute. Der von vornherein plante, das Kind zu ermorden, und der dann tagelang den Eindruck zu erwecken versucht hat, es sei noch am Leben.

Um einen Verbrecher, der, statt irgendwann wenigstens einen Anflug von Entsetzen über seine eigene moralische Verkommenheit zu zeigen, sich als Opfer präsentiert und sein angeblich verletztes "Menschenrecht" einzuklagen versucht.

Und der jetzt die Chuzpe hat, sein Opfer zu verhöhnen, indem er eine Stiftung für junge Gewaltopfer gründet. Eine "Stiftung", in die er kein Stiftungskapital einbringt; für die er als Lebenslänglicher logischerweise kaum etwas tun kann.

Wenn er es denn wollte, Gutes tun. Aber bei jemandem, der sich so verhalten hat wie dieser Magnus Gäfgen, spricht ja alles dafür, daß auch dies wieder nur ein Schachzug eines psychopathischen Verbrechers ist mit dem Ziel, sich in günstigem Licht darzustellen. Um vielleicht eine vorzeitige Haftentlassung zu erreichen.



Das sagt zu diesem Fall der Konservative in mir, der hier zweifellos auch ein Populist ist.

Der Liberale mahnt ihn und gibt zu bedenken, daß auch ein straffällig Gewordener das Recht hat, eine Stiftung zu gründen. Daß er nicht zusätzlich zu der gegen ihn verhängten Strafe bestraft werden darf. Daß man jedem Menschen die Chance zubilligen muß, sich zu resozialisieren. Daß die Tätigkeit für eine solche Stiftung vielleicht ein guter Weg ist, Magnus Gäfgen zu resozialisieren.

Und daß persönliche Abscheu vor einem Täter bei rechtlichen Entscheidung außen vor zu bleiben hat.



In diesem Fall tagte der Vermittlungsausschuß nur kurz. Der Konservative in mir sagte dem Liberalen auf den Kopf zu, daß er selbst nicht an seine Argumente glaube. Und der gab das nach kurzem Zögern zu.




Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, daß bei diesen drei Fällen der Konservative in mir insgesamt besser abgeschnitten hat als der Liberale. Ich halte das für einen Zufall, bedingt durch diese drei aktuellen Beispiele.

Oder bin ich dabei, konservativer zu werden? Ich werde das aufmerksam verfolgen.