18. März 2009

Zitat des Tages: "Wir werden Massenvorfälle verhindern". China und die Wirtschaftskrise. 87.000 mal Aufruhr in einem Jahr. Tendenz steigend

We will improve the early- warning system for social stability to actively prevent and properly handle all types of mass incidents.

(Wir werden das Frühwarnsystem für soziale Stabilität verbessern, um alle Arten von Massenvorfällen aktiv zu verhindern und ihnen angemessen zu begegnen).

Der chinesische Premierminister Wen Jiabao laut der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua am 5. März vor dem chinesischen Volkskongreß.

Kommentar: Der Anlaß dafür, an dieses Zitat zu erinnern, ist der gestrige Bericht der Weltbank über die wirtschaftliche Situation Chinas. Danach wird auch China zunehmend von der Krise erfaßt, wenn auch bisher weniger als viele andere Länder.

Der Bericht merkt vorsichtig an, daß die soziale Stabilität Chinas wohl dann nicht gefährdet sei, "if the adverse consequences can be limited via the social safety net, preferably combined with education"; wenn die abträglichen Folgen [der Krise] mittels des Netzes sozialer Sicherheit, am besten verbunden mit Ausbildung, begrenzt werden können.

Was der Bericht der Weltbank in dieser diplomatischen Sprache formuliert, das hat der chinesische Premier deutlicher gesagt; und noch deutlicher sagt es der Artikel von Xinhua. Dort wird erstaunlich offen über soziale Unruhen in China berichtet:
China witnessed a series of mass incidents during the past year, including protests by unemployed workers, taxi drivers strikes, and the unrest in the southwestern Weng'an County triggered by the death of a school girl. (...)

The southern export-oriented city of Dongguan reported about 66,000 job cuts after the Spring Festival (on Jan. 26 this year). About 440 factories are in an "unstable" condition, with 48,000 jobs hanging in balance, according to Dongguan Stability Maintaining Office.

"The pressure might be tough in the first and second quarters this year. Mass labor disputes might rise because of possible factory bankruptcy in the future, but it's not severe enough to cause large- scale riots," said Du Ganhong, deputy director of the office.

China erlebte während des vergangenen Jahres eins Serie von Massenvorfällen. Dazu gehörten Proteste von Arbeitslosen, Streiks von Taxifahrern und die Unruhen in dem im Südwesten liegenden Bezirk Weng'an, die durch den Tod eines Schulmädchens ausgelöst wurden. (...)

Die im Süden liegende, exportorientierte Stadt Dongguan meldete die Streichung von 66.000 Stellen nach dem Frühlingsfest (am 26. Januar dieses Jahres). Laut dem "Amt für Bewahrung der Stabilität" von Dongguan sind 440 Fabriken in einem "instabilen" Zustand; 48.000 Jobs sind gefährdet.

"Im ersten und zweiten Quartal dieses Jahres könnte der Druck stark werden. Es könnte zu massenhaften Arbeitskämpfen kommen, wenn möglicherweise Fabriken bankrott gehen. Aber das ist nicht ernst genug, um in großem Umfang Aufruhren auszulösen" sagte Du Ganhong, der stellvertretende Leiter des Amtes.



"Large-scale riots", Aufruhren in großem Umfang? Gibt es das denn in China? Ja.

Sie gehören in China zum Alltag. Zum Alltag einer frühkapitalistischen Gesellschaft; einer Gesellschaft mit sozialen Gegensätzen, wie sie so krass in keinem westlichen Land existieren. Aus einem Bericht des Guardian vom 25. Januar dieses Jahres, der auf frühere Unruhen in Dongguan Bezug nimmt:
The boldest overturned a police van and smashed up motorcycles, then tore through the building destroying computers and equipment. The mood was exhilarated, angry and frightened. (...)

But the riot late last year at the Kai Da factory in Dongguan, amid the grim industrial sprawl of the Pearl River Delta, was not an isolated incident. It was one of tens of thousands of protests, many erupting from the same mixture of economic grievances, resentment of police and swirling rumour.

The numbers have been climbing steadily for years. But as the Chinese New Year dawns and the global economic crisis deepens, the government fears that mass unrest could challenge its control of the country, threatening a communist regime that has embraced capitalism with spectacular results. (...)

"Mass incidents", as officials describe them, have been on the rise for years. According to the Ministry of Public Security, there were 10,000 across China in 1994. By 2005, that had risen to 87,000. Experts believe the numbers have increased again, not least because the government has stopped publicising them.

Die Mutigsten warfen einen Polizeiwagen um und demolierten Motorräder; dann zogen sie durch das Gebäude und zerstörten Computer und Geräte. Die Stimmung war aufgeheizt, wütend und ängstlich. (...)

Der Aufruhr vergangenes Jahr in der Kai- Da- Fabrik in Dongguan, inmitten des trostlosen industriellen Ballungsraums im Delta des Perlenflusses, war jedoch kein einmaliger Vorfall. Es war einer von Zehntausenden von Protesten, von denen viele aus demselben Gemisch von wirtschaftlichen Mißständen, Unmut gegenüber der Polizei und umherschwirrenden Gerüchten hervorgingen.

Die Zahlen sind Jahr für Jahr gestiegen. Aber jetzt, wo das chinesische Neue Jahr heraufzieht und die Weltwirtschaftskrise sich verstärkt, fürchtet die Regierung, daß Massenunruhen ihre Kontrolle über das Land gefährden könnten; daß sie ein kommunistisiches Regime bedrohen könnten, das mit spektakulären Ergebnissen den Kapitalismus übernommen hat. (...)

"Massenvorfälle", wie sie offiziell genannt werden, nehmen seit Jahren zu. Laut dem Ministerium für Öffentliche Sicherheit gab es 1994 in ganz China 10.000. Bis 2005 war diese Zahl auf 87.000 gestiegen. Experten glauben, daß die Zahlen weiter gestiegen sind; nicht zuletzt aufgrund des Umstands, daß die chinesische Regierung sie nicht mehr veröffentlicht.



Auf Dauer wird sich eine kapitalistische Wirtschaft nicht mit einer diktatorischen Regierungsform vereinbaren lassen. Die sozialen Ungerechtigkeiten des Frühkapitalismus können nur durch Demokratisierung überwunden werden.

Vielleicht - hoffentlich - schafft es China, sich so friedlich vom Kommunismus zu befreien, wie das in Osteuropa überwiegend gelungen ist. Daß das chinesische Volk die kommunistische Herrschaft in einer blutigen Revolution abschütteln wird, ist allerdings keineswegs ausgeschlossen.



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