24. März 2009

Was ist eigentlich "liberal", was "konservativ"? Jedenfalls in den USA etwas anderes als in Europa. Heute erscheint dazu ein Buch, das ich empfehle

Wie kann man ein Buch empfehlen, ohne es gelesen zu haben? Noch dazu nicht Belletristik eines bekannten Autors, sondern ein politisches Buch, dessen Autor - wie es der Untertitel sagt - ein Manifest konservativen Denkens geschrieben hat? Nämlich dieses: Mark Levin, Liberty and Tyranny: A Conservative Manifesto?

Ich empfehle dieses noch nicht gelesene Buch erstens, weil ich der Rezension von Thomas Lifson gestern im American Thinker vertraue. Sie ist enthusiastisch.

Zweitens ist Mark Levin ein Mann, der schreiben kann. Er hat (von Haus aus ist er Jurist) einen Bestseller über das amerikanische Bundesgericht und dessen zunehmende Neigung verfaßt, sich gesetzgeberische Kompetenzen anzumaßen. Langweilig, eine mühsame Lektüre ist sein neues Buch also bestimmt nicht.

Und drittens und hauptsächlich: Man wird diesem Buch vielleicht nicht zustimmen. Vermutlich werden die meisten deutschen Leser ihm nicht zustimmen, denn es ist offensichtlich so amerikanisch wie Apple Pie. Aber just deshalb dürfte es für politisch interessierte Deutsche lesenswert sein. Manches Mißverständnis amerikanischer Politik wird sich wohl unter seiner Lektüre auflösen oder, sagen wir, in kopfnickendes Verstehen verwandeln.



Nehmen wir die beiden politischen Etikette "konservativ" und "liberal". In ihren Interview mit Anne Will hat die Kanzlerin vorgestern darauf hingewiesen, daß die CDU auf drei Säulen ruht - der christlich- sozialen, der liberalen und der konservativen. Jeder wußte, was mit "liberal" gemeint war und was mit "konservativ"; jedenfalls wußte man das ungefähr. Liberale treten für Freiheit ein, Konservative für die Werte des christlichen Abendlands.

Und nun lesen Sie bitte diese Passage aus dem Buch von Levin, die ich der Rezension von Thomas Lifson entnehme:
The Modern Liberal believes in the supremacy of the state.... For the Modern Liberal, the individual's imperfection and personal pursuits impede the objectives of a utopian state. In this, Modern Liberalism promotes what French Historian Alexis de Tocqueville called soft tyranny, which becomes increasingly more oppressive, partially leading to hard tyranny....

As the word "liberal" is, in its classical meaning, the opposite of authoritarian, it is more accurate, therefore, to characterize the Modern Liberal as a Statist.

Der Moderne Liberale glaubt an die Überlegenheit des Staats. (...) Für den Modernen Liberalen behindern die Unvollkommenheit und die persönlichen Bestrebungen des Einzelnen die Zielsetzungen für einen utopischen Staat. Insofern vertritt der Moderne Liberalismus das, was der franzöische Historiker Alexis de Tocqueville eine sanfte Tyrannei nannte, die zu immer mehr Unterdrückung und schließlich zum Teil in die harte Tyrannei führt (...).

Da das Wort "liberal" in seiner klassischen Bedeutung das Gegenteil von autoritär besagt, ist es folglich richtiger, den Modernen Liberalen als einen Etatisten zu charakterisieren
Der "Moderne Liberale" ist also, sagt Levin zu Recht, gar kein Liberaler mehr. Der "Moderne Liberale", wohlgemerkt, in der amerikanischen Terminologie. Dort ist inzwischen "liberal" das geworden, was wir "links" nennen.

Daß "liberal" in den USA eine andere Bedeutung hat als in Europa, hat sich unter politisch Interessierten allmählich herumgesprochen. Aber ebenso hat "konservativ" in den USA eine ganz andere Bedeutung; und das ist weniger allgemein bekann. Levin ist ein Verfassungs- Konservativer; und das heißt, daß für ihn die Freiheiten, die von der amerikanischen Verfassung verbürgt werden, zentral sind.

Nach europäischen, nach deutschen Maßstäben ist er kein Konservativer, sondern ein Liberaler. Ein lupenreiner Liberaler geradezu, der für den freien Markt, für möglichst wenig Staat, für die Zurückhaltung der Gerichte, für die Rechte des Bürgers eintritt, die er vor Zugriffen des Staats schützen möchte.

Freilich, ein "Linksliberaler" ist Mark Levin nicht.

Auch in Deutschland gibt es ja inzwischen die Tendenz, daß staatsgläubige Sozialisten sich nicht mehr Sozialisten nennen, sondern eben "linksliberal". Daß sie, mit anderen Worten, den ehrwürdigen Begriff "liberal" so okkupieren, wie das ihre amerikanischen Glaubensbrüder schon lange getan haben. In diesem Artikel habe ich letztes Jahr diese Begriffsverwirrung etwas genauer untersucht.



Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Porträt von Thomas Jefferson; Public Domain