Ich kann das "Siehste" im Raum, dass mir einige Zimmerleute nun gerne zuraunen würden, allzu deutlich fühlen. Es ist noch keine drei Monate her, da schrieb ich einen Beitrag zur Bundestagswahl in der auch der denkwürdige Satz enthalten war: " Das ist aber kein Grund nicht wenigstens die FDP zu wählen." Und diverse Leute haben mir schon im kleinen Zimmer geschrieben, dass sie das ein wenig anders sehen.
Machen wir nicht viel Wind drum: Die Zimmerleute hatten Recht. Ich hatte, wie Megamind im gleichnamigen Film so treffend sagt, weniger Recht. Die Wendehalsfähigkeit von Christian Lindner war dann doch deutlich stärker ausgeprägt, als ich vermutet hatte und selbst das "liberale Urgestein" Wolfgang Kubicki, der es eigentlich nicht mehr nötig hätte einzuknicken, ist derzeit fleißig damit beschäftigt die klaren Aussagen vor der Wahl zu relativieren, um irgendwie das Gesicht seines Parteivorsitzenden zu wahren.
Die FDP ist also jetzt für eine Impfpflicht. Die selbe Impfpflicht, die noch vor acht Wochen verfassungstechnisch in Deutschland nicht möglich war, zumindest so lange man noch in der Opposition saß und so lange man noch Stimmen von den immerhin fast 15 Millionen Ungeimpften in Deutschland haben wollte. Auch die offene Zwei-Klassen-Gesellschaft, die wir derzeit in Deutschland erleben ist für die FDP kein Thema. Oder eigentlich schon ein Thema, denn da wo man in den Ländern mit drin sitzt, ist man selber fleißig dabei. 2G im kompletten Freizeitbereich, 3G im öffentlichen Nahverkehr, für die FDP kein Problem. Hinterbeine? Rückrat? Fehlanzeige.
Im Unterschied zu den üblichen Verdächtigen von Södolf bis zu den Grünen, kann man der FDP zurecht vorwerfen ein doppeltes Spiel gespielt zu haben. Södolf macht aus seiner faschistoiden Weltsicht schon seit Monaten kein Geheimnis, die Grünen mögen friedlich tun, aber ihr Parteiprogramm ist erstaunlich ehrlich was die Abschaffung des Landes angeht. Aber die FDP? Vor der Wahl keine Impfpficht, nach der Wahl überhaupt kein Problem? Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass Lindner vor der Wahl etwas davon erzählte, dass eine Impflicht nur dann kein Thema sein sollte, wenn 85%+ sich "freiwillig" impfen ließen.
Man fragt sich: Was ist denn dann eigentlich noch liberal? Ist eine ganz ernst gemeinte Frage. Ist Liberalität dann am Ende nur, dass man die Spenderklientel in der Großindustrie vor Steuererhöhungen beschützt? Oder das man ein Tempolimit auf dem Papier verhindert, das faktisch schon seit Jahren auf nahezu allen Autobahnen Realität geworden ist? Welche Liberalität vertritt die FDP eigentlich noch? Eine sichere Infrastruktur vertritt sie nicht (siehe Energiewende), solide Staatsfinanzen auch nicht (ESM) und nun nicht einmal mehr den Rechtsstaat. Ich komme wirklich zu keinem Ergebnis. Wenn ich die Grünen wähle, dann weiß ich, was ich bekomme. Wenn ich die CDU wähle, dann weiß ich, dass ich alles bekomme, so lange es nur zu einem CDU Kanzler führt. Und wenn ich die AfD wähle, dann weiß ich auch, dass ich die sichere Opposition gewählt habe. Aber was bekomme ich für eine Stimme für die FDP?
Ich für meinen Teil bin 2011 aus der FDP ausgetreten, weil ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren konnte, noch Teil davon zu sein. Im Jahr 2021 stelle ich fest, dass ich es nicht einmal mehr mit meinem Gewissen vereinbaren kann, ihr in Zukunft auch nur meine Stimme zu geben oder anderen eine solche Stimme nahe zu legen.
Die geharnischte Wahlempfehlung war ein Fehler. Ich entschuldige mich. Ich habe die Situation falsch eingeschätzt, ich habe die FDP weit, weit überschätzt.
Llarian
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