24. Dezember 2021

Paul Scheerbart, "Sind die Kometen lebendige Wesen?" (1910)





(Thomas L. Hunt, "Since the Last Time")

Unsre bislang noch herrschenden Ansichten über die astralen Weltkörper erklären diese für zusammengeballte Materie, die sich nach den Gesetzen der Anziehungskraft geformt hat; ein selbständiges Leben diesem nach mechanischen Gesetzen Geformten zuzugestehen, lehnt der Wissenschaftler als unwissenschaftlich ab.

Wenn wir aber die Entstehung der Weltkörper einfach aus physikalischen Gesetzen herleiten wollten, so sind wir immer wieder gezwungen, auf die bekannte Nebulartheorie von Kant und Laplace zurückzukommen. Diese Theorie ist nun so heftig durch neuere Entdeckungen erschüttert worden, daß der Wissenschaftler beim besten Willen nicht mehr behaupten kann, diese Theorie sie heute noch eine "wissenschaftliche." Es genügt, wenn wir dieser Theorie begegnen wollen, der einfache Hinweis auf die Tatsache, daß sich der Neptunsmond, die vier Uranusmonde und der zehnte Saturnmond anders um ihre Planeten drehen, als die übrigen Monde in unsern Sonnensystem. Ferner ist darauf hinzuweisen, daß auch viele Kometen - namentlich auch der Halleysche - die Sonne in eine Richtung umwandeln, die der der Planeten entgegengesetzt ist. Diese Tatsachen allein genügen, die Nebulartheorie und damit die gesamte mechanistische Weltanschauung so zu erschüttern, daß ein ferneres Festhalten an dieser nicht mehr einen wissenschaftlichen Charakter beanspruchen darf.

Die nächste Frage ist demnach: was sind denn nun eigentlich die astralen Weltkörper?

Um diese Frage ein wenig einzuschränken, wollen wir zunächst nur fragen: was sind denn eigentlich die Kometen?

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Das Kometenspektrum zeigt Verwandtschaft mit den Kohlenstofflinien. Wir dürfen annehmen, daß vielleicht Petroleum oder auch Blausäure in den Kometen vorherrscht. Sicheres darüber wissen wir nicht. Riens visibles - sichtbare Nichtse - sind die Kometen ihrer sehr dünnen Körperbeschaffenheit wegen genannt - unsre Erdluft ist dagegen viel, viel dichter.

Nun müßte nach meiner Meinung auch gleich folgende Frage aufgeworfen werden: Sind die Kometen "lebendige" Wesen?

Da wir doch an die mechanistische Entstehung der astralen Weltkörper nicht mehr glauben dürfen - - wenn wir uns nicht durch Hypothesen blamieren wollen, denen jeder wissenschaftliche Wert abzustreiten ist -, so sind wir doch gezwungen, zunächst einmal zu untersuchen, ob wir es in den Kometen mit einer einfachen, leblosen Stoffansammlung zu tun haben - oder ob wir hier "lebendige" Wesen vor uns haben.

Wir brauchen dabei zunächst noch nicht an vernünftig denkende Wesen zu denken - wir können ja die Kometen mit Orchideen vergleichen. Daß diesen ein wirkliches "Leben" nicht abzusprechen ist, wird ja jeder Naturforscher ohne weiteres zugeben.

Halten wir an der Idee fest, daß die großen astralen Weltkörper nur den Fall-, Wurf- und Schleudergesetzen ihre Entstehung zu verdanken haben, so sind natürlich auch die Kometen nichts weiter als simple Stoffkonglomerate wie die Wolken unserer Atmosphäre. Aber - von dieser Idee müssen wir doch absehen; sie ist doch nach dem anfänglich Gesagten nicht zu halten. Wäre das Planetensystem, in dem wir leben, nach dem Newtonschen Attraktionsgesetz entstanden, so müßte es - einfach anders aussehen; umgekehrt wie die Planeten laufende Kometen dürften dann nicht da sein. Und die umgekehrt wie alle anderen Monde laufenden Mondes des Uranus und Neptun und der zehnte Saturnmond machen es ganz und gar unmöglich, das Planetensystem als das Resultat mechanistischer Bewegungsgesetze hinzustellen.

Somit bleibt nur übrig, den astralen Weltkörpern ein gewissen selbständiges Leben zuzugestehen - seis auch nur eine andre Form von Pflanzenleben. Es sind die umgekehrt dahinlaufenden Kometen und Monde physikalische Monstra, für die gar keine Erklärung zu finden ist - wen wir uns nicht schließlich bereit erklären, die astralen Erscheinungen für "lebendige" Erscheinungen zu halten.

Wir hätten jetzt nur noch zu untersuchen, ob wir bei dem Pflanzencharakter der Kometen stehen bleiben dürfen.

Geben wir erst einmal zu, daß die Monde, die anders ihren Planeten umkreisen wie die meisten andern Monde, durch diese Anderskreisen eine Selbständigkeit bekunden, die nur dann zu erklären ist, wenn diese Monde sie für "lebendige" Wesen halten - so zwingt uns die Logik immer weitere Schlüsse auf.

Überlegen wir einmal das ganze Problem: überall sehen wir ein Lebendes - selbst im Wassertropfen sehen wir millionenfach ein Lebendes. Ist es da vernünftig von uns, wenn wir in den großen astralen Erscheinungen - besonders in den Kometen - nur ein Totes sehen wollen?

Nun, denkt man, t-o-t brauchen die Kometen ja nicht gleich genannt zu werden.

Halt! halt! sag ich da. Wen sie nicht tot sind, dann sind sie lebendig. Ein Mittelding zwischen Tod und Leben ist doch für uns nicht denkbar. Man kann schlechterdings nicht gleichzeitig mit Leben sein und ohne Leben auch - das widerspricht unsrer menschlichen Logik.

Es geht also beim besten Willen nicht mehr anders: wir müssen die Kometen für "lebendige" Wesen halten - besonders den Halleyschen - der linksum um die Sonne dahinfährt, während die Planeten sich rechtsum um die Sonne fortbewegen.

Haben wir aber einmal zugegeben, daß die Kometen lebendige Wesen sind - so dürfen wir nach meiner Meinung auch nicht so leichthin sagen, daß sie nur einfache Pflanzenwesen sind - wir müssen erklären, daß uns die Art dieses astralen Kometenlebens vorläufig noch ganz fremd ist - über unsern Horizont geht - und daß man diesen kolossal großen Lebewesen nicht so leichthin mit Analogien, die von der Erdrinde hergenommen sind, kommen darf.

Und da ergibt sich gleich die weitere Frage: sind die Kometen vernünftig denkende Lebewesen? Sehr natürlich ist es, wenn wir darauf antworten: das wissen wir nicht.

Aber - sollten sie unvernünftig sein? Grund zu dieser Annahme liegt doch nicht vor. Wir können uns nicht einmal vorstellen, daß eine Pflanze unvernünftig ist. Ihre Vernunft können wir uns auch nicht vorstellbar machen. Auch das Wesentliche im Pflanzenleben geht vollständig über unsern Horizont.

Einen Einfluß üben die Pflanzen auf uns aus - das ist nicht zu leugnen; eine Orchidee beschäftigt mein Phantasieleben dermaßen, daß ich fast behaupten möchte, die Orchidee vermag mehr über mich als ein vortreffliches Buch...

Und ein Schneeglöckchen verbreitet nach meinem Empfinden die allerintensivste Lebensfreude. Das ist doch a-u-c-h eine Lebensäußerung.

Doch kehren wir zu den Kometen zurück! Sie wirken noch heftiger als alle Orchideen; die Kometen haben immer die Menschheit ganz gehörig aufgeregt. Und wenn heute die "aufgeklärten" Menschen sagen: die Kometen können uns kein Leid antun - so beschäftigen sich doch Millionen von Menschen so lebhaft mit diesen großen astralen Erscheinungen, daß schon diese Beschäftigung auf eine intensive Lebensäußerung der Kometen schließen läßt.

Ist es da nicht ganz vernünftig, wenn wir für möglich halten, daß die Kometen "vernünftige" Wesen sind? Wenn wir das aber nur für "möglich" halten, so fällt sich ganze mechanistische Weltanschauung plötzlich für immer wie ein Kartenhaus zusammen...

Dann ist es auch möglich, daß die Planeten "vernünftige" Lebewesen sind - und die Sonne auch. Wir wissen natürlich nicht, wo das Kopfsystem im kugelrunden Stern ist. Aber - wir kennen doch das Innere des Kugelrunden nicht; mit Röntgenstrahlen ist es noch nicht zu durchleuchten.

Andererseits zeigen die Kometen gewissermaßen doch ein Kopfsystem. Vielleicht denkt es mit dem schneller und großartiger als der Mensch...

Und so könnte man doch wohl im Ernste behaupten, daß jetzt schon die Bahn frei wird - für eine neue astrale Weltanschauung, in der die Kometen und Planeten - die Monde und die Sonnen - ein freies kosmisches Leben führen, vor dem wir uns in Ehrfurcht beugen müssen - wenn wir auch noch nicht wissen, wie dieses kosmische Leben aussieht.

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„Sind die Kometen lebendige Wesen?“ erschien in der Wochenzeitschrift „Die Gegenwart,“ in der Nummer 13 des 77. Halbjahresbands vom 26. März 1910 – gut vier Wochen, bevor der Halleysche Komet am 20. April das Perihel – den sonnennächsten Punkt seiner Bahn – erreichte – und sieben Wochen vor seiner größten Annäherung an die Erde am 19. Mai mit gut 22 Millionen Kilometern – als unser Planet, wie im vorigen Beitrag erwähnt, in den Morgenstunden sechs Stunden lang das Gas des Kometenschweifs durchquerte. (Ja: der Referent weiß, daß Kometen zumeist zwei Schweife ausbilden: einen aus sublimiertem Gas, der direkt von der Sonne fortgerichtet ist und sich durch den Lichtdruck des Sonnenstrahlung ausbildet – und einen im allgemeinen viel dünneren Staubschweif, der seiner Umlaufbahn um die Sonne folgt. Wenn die Erdbahn eine solche zweite Spur kreuzt, kommt es aufgrund der dort verteilten Staubkörnchen zu den periodisch auftretenden Meteoritenschauern – etwa den Geminiden, die ihren jährlichen Höhepunkt vor einer Woche erreicht haben und die ihrem Ursprung dem Asteroiden Phaeton verdanken, der nur noch als Asteroid erscheint, weil er all seine flüchtigen Bestandteile vor langer Zeit eingebüßt hat – oder der weniger auffällige und deshalb ziemlich unbekannte Sternschnuppenschwarm der Ursiden, der gestern, am 22. Dezember, seinen Höhepunkt erreichte und der auf den Kometen 8P Tuttle zurückgeht und bei dem in normalen Jahren gerade einmal zehn Sternschnuppen pro Stunde auftreten.) Benannt sind all diese periodischen Schauer nach den Sternbild, in dem ihr Radiant liegt – der scheinbare Ursprungsort am Himmel, wenn sie infolge ihre hohen Geschwindigkeit in den obersten Schichten der Atmosphäre in gut 70 Kilometern Höhe verglühen – bei den Ursiden etwa mit einer Geschwindigkeit von 33 Kilometern pro Sekunde.

Wie es der Zufall in Gefolge des Wissenszuwachses in den letzten 110 Jahren will, ist uns – anders als Scheerbart - nicht nur vorstellbar, sondern eine banale Gewißheit, daß es durchaus ein Zwischenstadium „zwischen Leben und Tod“ gibt. Viren etwa, von denen man in letzter Zeit so viel hört, sind „von sich aus“ in keiner Weise lebendig, sondern nur mehr oder weniger komplexe Abschnitte von Erbsubstanz, eingekapselt in Peptidhüllen. Zur Reproduktion sind sie vollständig auf die Vorgänge und Mechanismen der von ihnen infiltrierten Wirtszellen angewiesen. Aber auch schon zu Scheerbarts Zeit gab es – eher esoterische und mystische Überlegungen solche Art. Karl du Prel etwa, einer der führenden Okkultisten der vorigen Jahrhundertwende – oder sagen wir angesichts der Beschäftigung von nichtexistenten Phänomenen lieber: einer der „namhaftesten“ – etwa vertrat die Ansicht, bei Geistererscheinungen – ob nun als dunstiger Schemen oder als polterndes Gespuke – handele es sich um einer Art „abgespaltenes Ektoplasma,“ das sich etwa bei traumatischen Erlebnissen vom „Astralleib“ – dem materiell gedachten Träger der Seele – ablösen würde und fürderhin blind und automatisch ein unveränderliches kurzes Programm abspulen würde – gewissenmaßen eine Momentaufnahme, eine ätherische Aufzeichnung mit einem Sprung. Verständlicherweise stieß diese Idee bei seinen Zunftgenossen, die nach materiellen Beweisen für die „Fortexistenz der Selle,“ der menschlichen Persönlichkeit nach dem Tod suchten, auf wenig Begeisterung. Nur Nigel Kneale, der Schöpfer des Dr. Quatermass, nahm diese Idee 1972 für sein von der BBC inszeniertes Fernsehspiel „The Stone Tape.“

In der spekulierenden Erzählliteratur, die sich mit den „astralen Körpern“ befaßt – also der Science Fiction, haben Kometen in aller Regeln nur eine einzige Funktion: die der Bedrohung des irdischen Lebens durch eine bevorstehenden Einschlag. Einige wenige Texte sind Stippvisiten gewidmet – so etwa Arthur C. Clarkes dritter „Odyssee“-Band „2061 – Odyssey III“ oder „Heart of the Comet,“ als Gemeinschaftsarbeit zwischen Gregory Benford und David Brin entstanden, die bei die letzte Passage des Halleyschen Kometen durchs innere Sonnensystem 1986 dazu zum Anlaß nahmen. Bei Brin und Benford entdecken die Kolonisten, die dort eine Forschungsstation einrichten sollen, schlichte Vorformen des Lebens im Kometeneis; bei Clarke erscheinen den Raumfahrern, die sich in die oberen Klüfte des „schmutzigen Schneeballs wagen, in dessen Tiefe blinkende Leuchtfünkchen, die als ungeklärtes Rätsel zurückbleiben.

Zu einem Lebewesen, wie es Scheerbart vorgeschwebt haben mag, wird der Halley’sche Komet nur in der kleinen Erzählung „The Blindness“ von Philip Latham, im Juli 1946 im damals bedeutendsten Science -Fiction-Magazin nicht nur der englischsprachigen Welt, sondern tatsächlich des dritten Planeten des Sonnensystems überhaupt, Astounding Science Fiction, erschienen. „Philip Latham“ war der nom de plume von Robert S. Richardson, der seine Autorenkarriere Ende der 1930er damit begann, daß er für „Astounding“ und andere Pulp-Magazine jeder Jahre, die sich dem neu entstandenen Genre widmeten, Artikel über die Erkenntnisse und den Sachstand der Astronomie verfaßte – gerade für John W. Campbell, der seinem Magazin einen Anhauch von Respektabilität verschaffen wollte – eine wertvolle Alternative zu den Marsprinzessinen und den Ausflügen in die dampfenden Dschungel der Venus, die dem Metier ganz zu Recht einen mehr als halbseidenen Ruf eingebracht hatten. Für die gut 20 kurzen Erzählungen, die Richardson ab 1946 verfaßte, benutzte er stets dieses Pseudonym – ohne je ein Geheimnis darauf zu machen, ganz nach dem Muster der englischen Universitätsdekane, die in ihrer Freizeit in jenen Jahren klassischen Landhauskrimis verfaßten, aber ihre akademische Tätigkeit und das Freizeitvergnügen auf diese Weise streng getrennt hielten. So etwa Robert Bruce Montgomery, der unter seinem eigentlichen Namen Kompositionslehre in Oxford erteilte und ernsthafte geistliche Musik komponierte – etwa das „Oxford Requiem,“ 1951 vom Oxford Bach Choir uraufgeführt -, als „Edmund Crispin“ aber nicht nur die Reihe von Kriminalromanen um den ebenfalls in Oxford tätigen Don Gervase Fen verfaßte, sondern auch ein halbes Dutzend Anthologien mit Science -Fiction-Kurzgeschichten herausgab. (Von „Crispin“ ist Kennern der Geschichte des Kriminalromans die Passage aus seinem ersten „Whodunit“ von 1944, „The Case of the Gilded Fly,“ in Erinnerung geblieben, in der Fen & Genossen bei einer nächtlichen Verfolgungsjagd im Auto den Wagen vor sich im Gewirr der Altstadtgäßchen aus den Augen verlieren. Was nun? Nichts einfacher als das, meint Fens Beifahrer: „einfach immer nur links halten. Der Roman wird von Victor Gollancz verlegt.“) (Ein kleines Beiseit: wie im vorigen Beitrag vermerkt, ist die Welt klein: in Crispins erster Anthologie mit SF-Geschichten, "Best SF" von 1955, einer der ersten Sammlungen des modernen Genres in Großbrittanien, findet sich auch Lathams "The Xi Effect.")



(Robert S. Richardson, 1948 auf einem astronomischen Kongreß in den Niederlanden)

Wie Montgomery/Fen seine Bücher im ihm zutiefst vertrauten Milieu von Universität, akademischen Rivalitäten und Intrigen ansiedelte, spielen die Kurzgeschichten von Latham/Richardson in dem ihm zutiefst bekannten Umfeld: dem der professionell betriebenen Sternkunde. Und als solche bilden sie eine Ausnahme im Genre. Zwar streifen Texte, die sich mit astronomischen Belangen, mit Entdeckungen, etwa mit Signalen außerirdischer Zivilisationen befassen, angelegentlich in diesem Milieu – aber die Schilderung der dortigen Gepflogenheiten, der Arbeitsweisen, des gesamten Umfeld – das ist meilenweit von dem entfernt, was im „RL,“ im wirklichen Leben, der tatsächlich ausgeführten Beobachtungsprogramme, das tägliche Brot ist. Zu sehr unterscheiden sich die Erfordernisse, die an eine packende – und vor allem: interessante - Geschichte gestellt werden, von den langwierigen Meßreihen, dem Abgleichen von Signalen, den Anträgen auf Beobachtungszeit und den üblichen Konkurrenz-Kabalen um Erstveröffentlichungen und Drittmittel, das Feilen an den Kolonnen der Meßwerte und das Einreichen von Fachaufsätzen, aus denen eine Forscherlaufbahn zu mehr als 95 Prozent nun einmal besteht. Anders als in der Filmumsetzung von Carl Sagans Roman „Contact“ stülpen sich Astronomen nicht Kopfhörer über und lauschen mit großen Augen auf Stimmen aus der Tiefe des Alls. Auch die menschlichen Zerwürfnisse der kleinen Gruppe von Astronomen: ehemaligen Doktoranden und ihrem Doktorvater, die sich alle zehn Jahre in Andrew Sean Greers Erstlingswerk „The Path of Minor Planets“ von 2003 an einem entlegenen Strand auf Hawai’i treffen, tun dies einzig, um dem Autor hier die metaphorische Parallelführung mit ihren Lebensläufen und den von ihnen beobachteten Lichtpünktchen zu liefern, nicht, weil dergleichen in der tatsächlichen Beobachtungspraxis je vorkommen würde (daran gemessen, ist dieser hanebüchene Grundkonstruktion schlicht an den Haaren herbeigezogen). Auch der einschlägige Mord- und Totschlagsroman „Cold Dark Matter“ des kanadischen Autor Alex Brett aus dem Jahr 2005 nutzt den zunftgemäßen Einstieg mit der Leiche eines Astronomen unter den Kuppel des Acht-Meter-Doppelteleskops auf dem Mauna Kea, ebenfalls in Hawai’i nur als pittoreske Kulisse, um die Frage nach der „dunklen Materie,“ die das Universum beherrscht, als schlichteste Metapher für die Dunkelheit zu nutzen, die das menschliche Leben überschattet und widmet sich im Fortgang den branchenüblichen Skandalen um illegale Einwanderung und Flucht zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs.

Lathams bzw. Richardsons Erzählungen bilden, wie gesagt, eine Ausnahme. Richardson, 1902 geboren und 1981 gestorben, war im Zivilstand ab 1931 als Astronom am Mount Wilson-Observatorium und nach der Eröffnung 1948 am Mount Palomar-Observatorium tätig. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählten drei Romane von der Reihe der „Winston Science Fiction“-Jugendbücher, mit denen der Verlag John C. Winston an den Boom des Genres zu Beginn der Fünfziger Jahren anknüpfen wollte und die „spannende Unterhaltung“ um die Erschließung des Sonnensystems und die Entwicklung der Raumfahrt in den anstehenden Jahrhunderten mit einem pädagogischen Impuls der Wissensvermittlung verknüpfen wollte, was die Mischung aus Schulfunk und „Fünf Freunde stehlen ein Raumschiff und erleben Abenteuer in der Sternenwelt“ regelmäßig entgleisen ließ – anders als die ähnlich gelagerte Reihe der jährlich erscheinenden Jugendbücher, in denen Robert A. Heinlein seit „Rocket Ship Galileo“ von 1947 beim Verlag Charles Scribner’s Sons den Aufbruch der Menschheit zum Mond, zum Mars, zu den Planeten des Sonnensystems und in die Tiefen der Milchstraße nachzeichnete. Lathams „Five Against Venus“ (1952), „Missing Men of Venus” (1953) und “Second Satellite” (1956) gelten Kritikern noch als die lesbarsten Elaborate dieser gut 30 Titel umfassenden Reihe. Dazu kamen noch ein gutes Dutzend populär geschriebener Sachbücher über die „faszinierende Welt der Astronomie“ oder die „Erkundung des Mars.“

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(Titelbild der Ausgabe von Astounding Science Fiction für den Januar 1950 für „The Xi Effect.“ Heute würde dieser Titel wahrscheinlich nicht mehr erlaubt sein und der Autor von der Redaktion gebeten, sich für einen anderen Buchstaben des griechischen Alphabets zu entscheiden, etwa für „Omikron.“ Das Titelbild stammt von Chesley Bonestell (1888-1986), der in den 1940er und 1950 der wohl berühmteste Maler astronomischer Sujets war und auch für die Science-Fiction-Magazine jener Zeit eine Reihe von Titelbildern gestaltete. Auch die Illustrationen zu Richardsons Artikel „Rocket Blitz from the Moon,“ der im September 1948 in „Collier’s Magazine“ erschien und die Möglichkeit einer Bedrohung durch weltraumbasierte Atomwaffen beschreibt, stammen von ihm.)



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„The Blindness,“ Richardsons zweite Science-Fiction-Erzählung, widmet sich, wie mehrere späterer Geschichten („Under the Dragon’s Tail,“ 1966 „The Dimple in Draco,“ 1967) dem Thema Kometen – in diesem Fall unserem Halleyschen Kometen bei seiner Wiederkehr im Jahr 1987. Latham schildert akribisch genau die Erstellung und Auswertung der Aufnahmen, die zur Auffindung des schwachen Nebelfleckens durch die Astronomen Blakeslee und Latham (!) am „Nexus,“ einem Wissenschaftszentrum, das nach dem Ende des Dritten Weltkriegs 1968 in Nebraska eingerichtet wurde („Rektaszension 6 h 23 Min 31,3 Sek, Deklination 17°11‘30‘‘.“) Daß dem Autor die Abschätzung des Umlaufs etwas genauer gelungen ist als die des Verlaufs der Weltläufe zwischen 1946 und 1987, liegt in der Natur der Sache. In seinem Erzählkosmos steht im September 1987 der Ausbruch des vierten Weltkriegs unmittelbar bevor.

Zu den Kennzeichen von Lathams Erzählungen zählt die genaue Schilderung des Arbeitsalltags seiner Astronomen und den zumeist grundstürzenden Entdeckungen, die ihnen dabei unterlaufen,und die alle bisherigen Erkenntnissen den Boden unter den Füßen wegziehen. In „The Xi Effect“ (ebenfalls in Astounding Science Fiction erschienen, im Januar 1950) ist es die Erkenntnis, daß das Universum in einem sich katastrophal beschleunigenden Schrumpfungsprozeß befindlichen ist, einschließlich aller Atome und Mokelulargrößen, so daß aus den Binnensicht der Beobachter selbst die Rotverschiebung der entfernten Galaxien erhalten bleibt. In „The Blindness“ führt das Gedankenspiel, sich auszumalen welche geschichtlichen Tragödien der Halleysche Komet bei jeder seiner aufzeichneten Wiederkünfte gesehen haben muß, wenn es sich denn bei ihm einen intelligenten Beobachter handeln würde, schließlich zu dem unausweichlichen Schluß, daß er genau dies darstellt.

„Weißt du, was ich täte, wenn ich der Halleysche Komet wäre?“ fuhr er (= Blakeslee) plötzlich auf. „Ich würde diese Welt und mich selbst in einem glorreichen Zusammenstoß vernichten. So daß ich nie wieder dazu verurteilt wäre, Jahrhundert um Jahrhundert zurückzukehren, um all das Leid und all die Dummheit zu beobachten.“


Den Wissenschaftlern, die stoisch ihr Beobachtungsprogramm fortsetzen, um sich von der Aussicht, daß an jedem Tag die mit nuklearen Sprengköpfen bestückten Raketen gestartet werden könnten, fällt etwas Unerwartetes auf:

Abgesehen von der Sensation, die er hervorrief, war die erstaunlichste Tatsache des Halleyschen Kometen die Entwicklung des Kohlenstoffspektrums. Murdoch und ich erhielten eine komplette Serie von sich überschneidenden Spektren - von 12000 Angström in der Infrarotzone bis zum Beginn der Ozonabsorption bei 2900 in der ultravioletten Zone. Die Zyanbanden bei den Wellenlängen 3596, 3883 und 4216 waren immer auffallend, während das Swan-Bandensystem von Kohlenstoff sich verstärkte, bis es das gesamte Spektrum im Blau-Grün- und Gelbbereich beherrschte. Die Zone um das 4737-Band war besonders interessant. Es bereitete uns keine Schwierigkeit, das schwache Isotopenband bei 4744,5 zu entdecken, das auf das Kohlenmolekül C13C12 zurückzuführen war.


Immer mehr Absorptionsbanden werden auf den Himmelsaufnahmen sichtbar, die sonst von den Bestandteilen der Erdatmosphäre verschluckt werden.

Dann identifizierte ich allmählich die vertrauten Stellen: H Beta mit einem hellen Wasserstoffkern,, H Gamma mit einem deutlichen hellen Streifen am Rande der Rotzone, 4471 mit Helium und die ionisierenden Siliziumlinien bei 4128 und 4131. … „Murdoch, was ist eigentlich geschehen?“

„Es besteht kein Zweifel daran, daß das molekulare Gleichgewicht der oberen Atmosphärenschicht völlig durcheinandergeraten ist. Nun ist der fundamentale der Ozonbildung eine Photolyse des Sauerstoffmoleküls.“


Und er schrieb mit kühnen, unregelmäßigen Buchstaben: O² + hw = O + O. „Das heißt, jedes Photon, das von einem Sauerstoffmolekül absorbiert wird, produziert zwei Sauerstoffatome. In mäßigen Höhen, wo viele andere Moleküle vorhanden sind. Haben wir nach Kollisionen mit drei Körpern vom Typ 0,0 + M = O + M. M kann dabei jeder Kollisionspartner sein, beispielweise ein weiteres Stickstoffmolekül. … Nun kommt der Halleysche Komet daher, und was geschieht? Wir wissen aus den Spektrumsbeobachtungen, daß er Kohlenstoff in rauhen Mengen enthält. Kohlenstoff und Sauerstoff besitzen eine starke Affinität und verbinden sich sehr rasch. Das Ergebnis ist, daß der Sauerstoff der oberen Atmosphäreschichten nicht mehr Ozon bildet, sondern stabile Kohlenstoffverbindungen. Zum ersten Mal sind die Tore für das ultraviolette Licht geöffnet. Es prallt nicht mehr auf eine undurchdringliche Ozonwand.“

Die titelgebende Blindheit ist das Resultat dieses vom Kometen erzeugten Ozonlochs. Zwar fallen ihr viele Menschen zum Opfer, auch dem durch due UV-Strahlung hervorgerufenen Hautkrebs – aber andererseits fallen die elektronischen Lenksysteme der von den Militärs in Torschlußpanik gestarteten Interkontinentalraketen ebenfalls aus, der Zusammenbruch der Heavisideschicht macht Radiokommunikation über kontinentale Entfernung unmöglich, und der vierte Weltkrieg fällt buchstäblich ins Wasser. Der Komet selbst verändert seine Umlaufbahn von einer langgestreckten Ellipse in eine Hyperbel und verschwindet für immer in den dunklen Tiefen des Alls. Unseren Protagonisten bleibt am Ende nur die Spekulation, ob die Materie eines Kometen tatsächlich ein Bewußtsein beherbergen könnte.

„Es gibt Anzeichen, daß organische Materie bis zu einem gewissen Grad Empfindungen besitzt. Das heißt, das Atom könnte ein Bewußtsein haben und damit in begrenztem Sinne die Macht, sein eigenes Schicksal zu steuern. Wir erhielten den ersten Hinweis auf diese Macht vor mehr als einem halben Jahrhundert, als der berühmte Physiker Pauli sein berühmtes Ausschließungsprinzip veröffentlichte. … Ob man atomares Bewußtsein für das Fehlverhalten eines Kometen verantwortlich machen kann, weiß ich natürlich nicht. Vielleicht liebt der Halleysche Komet ebenso wie wir hin und wieder Extravaganzen. Vielleicht hat er es satt, uns alle siebenundsiebzig Jahre betrachten zu müssen, oder was weiß ich sonst.“






(Diese Serie von Aufnahmen des Halleyschen Kometen aus dem Jahr 1910 dienten in Astounding 1946 als Illustration von "The Blindness".)

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Es bleiben, abseits der Fabulierlust des Erzählers, drei Facetten, die, welchen Zollstock man auch anlegt, staunen machen. Zum einen die Aufnahme eines literarischen Wandermotivs und seine Variation – ohne daß die jeweiligen Erfinder voneinander Kenntnis gehabt haben können. Scheerbart erfindet 1910 die Idee von Kometen als bewußten, selbständig handelnden Intelligenzen; Richardson gibt ihr 36 später ein Gerüst über den bloßen Einfall hinaus aus dem Baukasten der physikalischen Versatzstücke. Einzigartig ist dergleichen nicht. In J. G. Ballards Roman „The Crystal World“ von 1966, dem vierten seiner frühen Romane, in denen er das Ende der Welt im Zeichen eines der klassischen Elemente behandelt hat („The Drowned World,“ „The Drought“ und „The Wind from Nowhere“ waren dem Buch vorausgegangen) entsteht in den Regenwäldern des tiefsten Afrikas eine Zone, in der Vegetation und Tierwelt – und auch die wenigen menschlichen Beobachter, die sich hineinwagen – versteinern, sich in kristalline, regenbogenfarbig irisierende Juwelenansammlungen verwandeln. Der aus Nordirland stammende Autor Ian McDonald hat 30 Jahre später in einer Hommage an Ballard genau diesen Prozeß – ebenfalls in Zentralkafrika angesiedelt – in seinem Roman „Chaga“ (in den USA unter dem Titel „Evolution’s Shore“ erschienen) wieder aufgegriffen. Während das Phänomen bei Ballard ohne jede Erklärung bleibt, begründet es McDonald mit dem unheilvollen Einfluß eines Meteors – auch dies natürlich eine Hommage an zahlreiche solche Boten aus dem All – von Lovecrafts „Farbe aus dem All“ bis zum „Geheimnisvollen Stern,“ dem ersten Tintin-Album Hergés, das in Belgien unter deutscher Besatzung erschien, oder dem „Tödlichen Staub“ aus dem All in Michael Crichtons „The Andromeda Strain.“ Aber erst ein Blick in Annie France-Harrars (1886-1971) SF-Roman „Der gläserne Regen,“ ein völlig vergessenes Buch, das 1948 unbeachtet in der dürftigsten Nachkriegszeit bei Toth in Hamburg herauskam, gibt Aufschluß über die Natur und die Ursache dieses Phänomen. Bei Harrar hat es nicht im Kongo seinen Ursprung, sondern tritt zuerst in der Nullaborwüste im australischen Outback in Erscheinung – aber das metastasierende Phänomen, daß nach und nach den gesamten Planeten mit seinen Bewohnern in Kieselgur zu verwandeln droht, ist dasselbe. Im „gläsernen Regen“ erweist sich dies als ungewollter Nebeneffekt des Versuchs der Bewohner des Mondes, einer kristallinen Lebensform auf der Basis von Silizium, sich vor der endgültigen Erstarrung ihrer Lebensgrundlage zu retten und die Erde zu kolonisieren. Das organische Leben ist ihnen so unvorstellbar und seine Existenz zu unbekannt wie uns die Erkenntnis, daß die kristallinen Anhäufungen an den Wänden der Mondkrater, deren Aufblitzen gelegentlich von Beobachtern auf der Erde beobachtet wird, eine Lebensform und ihre Kommunikation untereinander darstellen. Bei Harrar führt die schockähnliche Erkenntnis ihres tödlichen Wirkens zu einem kollektiven Selbstmord der Mondbewohner.

Die zweite Facette besteht darin, daß Lathams“ kleine Erzählung (der Text fast in der Buchfassung gute 25 Seiten) zu jenen gehört, die in Sachen „prophetischer Vorwegnahme“ „ins Schwarze trifft“ – und zugleich deutlich macht, wie wenig tatsächliche Antizipation in dergleichen Fällen vorliegt. Man steht als Leser schon staunend vor der Tatsache, daß hier ein Autor das Ozonloch en détail beschreibt, fast vierzig Jahre, bevor es im Öko-Alarmismus der 1980er Jahre als Bedrohung neben den „sauren Regen“ und die schon damals düster dräuende „Klimakatastrophe“ trat – mitsamt den vor 35 Jahren befürchteten katastrophalen Auswirkungen von explodierenden Hautkrebsraten und Netzhautschädigungen. („Am schlimmsten wütete der Hautkrebs – lupus erythematodes discoides – unter Kleinkindern und alten Menschen. Offenbar befindet sich diese Krebsart latent in uns allen und wartet nur auf eine günstige Gelegenheit, um sich breitzumachen. Radiologen kamen zu dem Schluß, daß ein sehr schmales Strahlungsband zwischen 2670 und 3200 den Hautkrebs anregt. Gewöhnlich dringen nur die Strahlen zwischen 2900 und 3200 durch, so daß vor allem Farmer und Matrosen, die viel unter freiem Himmel arbeiten, von Hautkrebs befallen werden.“ – heißt es bei Latham/ Richardson.) Erst 1974 äußerten die beiden amerikanischen Wissenschaftler Molina und Rowland ihre Befürchtung, der lange Verbrauch katalytisch wirkender Halogene könne zu einer Zersetzung des stratosphärischen Ozons führen, und erst Mitte der 1980er Jahre wurde die öffentliche Angst vor einem unausweichlichen Anwachsen des Ozonlochs über den Polargebieten – mit genau diesen Folgen in den Medien zu einer unablässig beschworenen Gefahr. In Richardsons Erzählung erfolgt die Wiederauffindung des Halleyschen Kometen am 4. September 1987. Im „wirklichen Leben“ wurde m 16. September 1987 von den 196 Signatarstaaten des „Wiener Abkommens zum Schutz der Ozonschicht“ von 1985 das „Montreal-Protokoll über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen,“ im Rahmen der Verhandlungen der Vereinten Nationen angenommen, das formell am 1. Januar 1989 in Kraft trat und das etwa die Verwendung von FCKW – Flourchlorkohlenwasserstoffen – als Kühlmittel untersagte. (Auch aus diesem Grund habe ich oben den entsprechenden Passus etwas ausgiebiger zitiert.)

Als dritte Facette, und als durchaus triviale, sei vermerkt, daß auch ein in technisch-physikalischen Aspekten so beschlagener Autor von Richardson nicht zu 100 Prozent vor einem Lapsus gefeit ist. Der Magazinfassung von „The Blindness“ steht über den Text das lateinische Motto „Isti mirantur stellam“ und eine Fußnote auf derselben Seite (S. 94) erläutert:

„Es handelt sich um das Motto, das Cowell und Crommelin ihrer Arbeit über ‚Die Rückkehr des Halleyschen Kometen im Jahr 1910‘“ vorangestellt haben. Sein Ursprung und seine genaue Bedeutung sind nicht bekannt; das Zitat findet sich in keiner der gebräuchlichen Sammlungen klassischer Zitate. Als mögliche Quellen kommen in Frage: Shakespeare, „Venus and Adonis,“ Zeile 813: „Look, how a bright star shooteth from the sky;” und Vergil, Georgica, Buch 2 in der Übertragung von John Dryden: ‚Give me the ways of wandering stars to know.‘”




Bei allem schuldigen Respekt vor einem verdienteren Autor, als ich es bin, kann ich an dieser Stelle weiterhelfen. Die lateinische Wendung findet sich auf dem Teppich von Bayeux, der die Eroberung England durch Wilhelm den Eroberer und den Tod König Harolds in der Schlacht von Hastings im Jahr 1066 darstellt. In der Szene 37 dieses Webstücks sind einige Männer dargestellt, die auf einen Kometen deuten, bei dem es sich um die älteste historische Abbildung des Halleyschen Kometen handelt, der damals zuerst Anfang Mai sichtbar wurde und dessen Erscheinen später als Omen für den Tod Harolds bedeutet wurde. Und hinter der schematischen Darstellung des Kometenschweifes ist zu lesen: „Isti mirant stella.“ – „Diese bewundern den Stern.“

Es war von den Beobachtungen der Kometenbahn bei seinem Erscheine im Jahr 1759 und 1835 bekannt, daß die Bahn des Kometen heftigen Störungen unterlag, wenn auch noch nicht bekannt war, worauf diese zurückzuführen waren. Aus diesem Grund hatte die Deutsche Astronomische Gesellschaft einen Preis von eintausend Mark für die beste Vorausberechnung des zu erwartenden Kurses ausgesetzt. Um hier Fairness unter den Einsendern garantieren zu können, sollten die Vorschläge anonym eingereiht werden und nur anhand des vorausgesetzten Mottos identifiziert werden könne; das Motto stand auch auf den separaten Umschlägen, in denen die Autoren ihren Namen angaben. Philip H. Cowell (1870-1949) und Andrew C. D. Crommelin (1865-1939), beide von Königlichen Observatorium in Greenwich tätig, berechneten den sonnennächsten Punkt der Kometenbahn für den 16. April 1910. Ihre Eingabe trug eben dieses Motto in leicht entstellter Form: „Isti mirantur stellam.“ Von allen eingereichten Berechnungen kamen Cowells und Crommelins Koordinaten der tatsächlich beobachteten Bahn am nächsten. Beide gingen noch einmal ihre Kalkulationen durch und veröffentlichten das verbesserte Ergebnis als eine Broschüre von 84 Seiten, indem die das Perihel für den frühen Morgen des 17. April vorhersagten. Als der Komet sich um drei Tage verspätete, kamen Cowell und Crommelin zu dem Schluß: „Es gibt unbekannte Kräfte, die auf die Bahn des Kometen einwirken.“ Für Richardson/Latham, der die Abweichung in seinem Text erwähnt, dient es als Nachweis der eigenwilligen Steuerung. Erst Fred Whipple, der 1950 die Theorie aufstellte, daß es sich bei Kometen um „schmutzige Schneebälle“ handelte, konnte diese Abweichungen mit plötzlichen massenhaften Ausgasungen schlüssig erklären.



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Zum Schluß sei noch erwähnt, daß den Kometen, einschließlich des Halleyschen, tatsächlich in der Folgezeit ein Effekt zugeschrieben worden ist, der dem von Richardson postulierten nahekommt. In dem Buch „Diseases from Space,“ das Fred Hoyle und Chandra Wickramasinghe 1979 im Verlag J. M. Dent & Sons veröffentlichten (eine amerikanische Ausgabe folgte ein Jahr später im Verlag Harper & Row) postulieren die beiden Verfasser, daß viele, wenn nicht gar alle Infektionskrankheiten, von denen das Leben auf der Erde heimgesucht wird, außerirdischen Ursprungs ist. Ausgehend von dem Nachweis komplexer organischer Moleküle in interstellaren Wolken und von Polymeren wie Formaldehyd stellten die die These auf, daß sich dort auch komplexere Verbindungen gebildet haben könnten, die durch Staub in die Erdatmosphäre transportiert würden und dort zum Auslöser von Wellen von Infektionskrankheiten würden. Als „Transportmittel“ schlugen sie vor allem Kometen vor. Ersichtlich handelt es sich bei dieser Außenseiterthese um eine Abwandlung der Vorstellung der „Panspermie,“ wie sie der schwedische Physiker Svante Arrhenius Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt hat – daß mikroskopisch kleine „Keime des Lebens,“ vom Lichtdruck der Sterne getrieben, der Ursprung des irdischen Lebens darstellen. Hoyle und Wickramasinghe versuchten in ihrem Buch, regelmäßig auftretende Epidemien mit dem Erscheinen lang- oder kurzfristiger Kometen in Korrelation zu setzen. Der Halleysche Komet, der unser Thema gilt, gilt ihnen als Verursacher der irdischen Grippe. Es erübrigt sich zu betonen, daß diese These von Anfang an von keinem Vertreter der Wissenschaft – sei es in der Astronomie oder der Medizin – ernstgenommen worden ist und widerlegende Auseinandersetzungen sich eher auch populärwissenschaftliche Bücher wie etwa Nigel Calders „The Comets“ von 1984 beschränken.



Sir Fred Hoyle (1914-2001) ist astronomisch Beschlagenen als seiner Urheber der „Steady-State“-Theorie des Universums in Erinnerung, nachdem es nie einen „Urknall“ gegeben hat (die Prägung des Ausdrucks „Big Bang“ geht auf ihn zurück) und die Materie gewissermaßen spontan im Vakuum „ausfällt,“ so wie Wasser unter dem Gefrierpunkt in den festen Aggregatzustand übergeht. Das berühmteste Paper der Astronomiegeschichte der letzten 100 Jahre, weithin unter dem Kürzel „B²FH“ bekannt, geht auf seine Anregung zurück. In dieser 100-seitigen Arbeit untersuchten die Autoren Margaret und Geoffrey Burbidge, William A. Fowler und Hoyle, wie sämtliche Elemente im Universum, deren Atomgewicht über das von Wasserstoff, Deuterim und Helium hinausgeht, das Resultat von Fusionsprozessen im Innern von Sternen sind. Die konkurrierende „Urknall-Hypothese“, vetraten die Ansicht, alle chemischen Elemente seien das Resultat der unvorstellbaren Drücke und Temperaturen, die während der allerersten Phase nach dem „Big Bang“ beherrscht hätten. Hoyle und seine Mitstreiter, wiesen darauf hin, daß es eine andere Erklärung gab. Nach der Steady-State-Auffassung konnten sich durch den „Kristallisationsprozeß“ nur Waserstoff und Helium bilden. Heute ist dieser Vorgang der Nukleosynthese allgemein akzeptiert, aber für die Steady-State-Theorie bedeutete die Entdeckung der kosmischen Hintergrundstrahlung durch Penzias und Wilson im Jahr 1963 das Ende. Hoyle hat sich nie mit dieser Niederlage abgefunden, und viele seiner Biographen neigen dazu, in der Enttäuschung darüber, daß er, anders als seine drei Ko-Autoren, nie mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden ist, die Ursache seine späteren Neigung zu esoterischen Außenseiterhypothesen (neudeutsch: „Querdenkertum“) zu sehen. Ebenfalls mit Wickramasinghe vertrat Hoyle in den achtziger Jahren die These, bei den Fossilien des Archäopteryx, des „Urvogels,“ handele es sich samt und sonders um Fälschungen.

Hoyle, der auch als SF-Autor in Erscheinung getreten ist (der einzige Zunftkollege von Robert S. Richardson und Carl Sagan auf diesem Gebiet übrigens) und sieben seiner insgesamt zehn Romane zusammen mit seinem Sohn Geoffrey verfaßte – sein letzter Roman, von ihm allein verfaßt, war 1985 die Monty-Pythoneske-Akademikersatire „Comet Halley“ – starb im August 2001. Wickramashinghe, 1939 in Colombo (damals „Ceylon,“ heute „Sri Lanka“) geboren, trägt seitdem im Alleingang die Fackel der infektiösen Panspermie weiter. 2003 vertrat er in seinem Brief an die führende britische Medizinzeitschrift „The Lancet,“ zusammen mit Milton Wainwright und Jayant Narlikar verfaßt, die These, daß der Erreger des „Severe Acute Respiratory Syndrome,“ kurz SARS, nicht eine von Hühnern ausgehende Zoonose sei, sondern außerirdischen Ursprungs. Und im Sommer 2020 haben Wickramashinghe und sein Mitautor Edward J. Stelle mehr als ein Dutzend Papers verfaßt und im Netz veröffentlicht, in denen sie postulieren, daß auch SARS-CoV-2, der Erreger von COVID-19, außerirdischen Urprungs sein soll. Als „Nullpunkt“ des Ausbruchs sehen sie eine Feuerkugel, einen hellen Meteoriten, der am 11. Oktober 2019 über der Metropole Songyuan im Nordosten Chinas beobachtet worden ist.



(Feuerball über Songyuang am 11. Oktober 2019)

Thomas L. Huntera Acryl-Gemälde "Since the Last Time" zeigt schematisch die Bahn des Halleyschen Kometen seit dem Jahr 1910. Die die historischen Ereignisse seitdem symbolisierenden Einschübe finden sich an der Stelle, an der sich den Komet zu dieser Zeit befand. Die Illustration erschien Anfang der 1980er Jahre in der Zeitschrift "Astronomy." Der Erststart des Space Shuttles am 3. April 1981 deutet auf einen Zeitpunkt um 1982-83 hin. In David A. Hardys Bildband "Visions of Space" (Dragon's World, 1989), dem ich diese Abbildung entnommen habe, finden sich dazu leider keine näheren Angaben.
U.E

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