25. Dezember 2021

JWST

Wenn alles gutgeht, wenn nichts mehr dazwischenkommt, wird in wenigen Stunden, am heutigen Morgen, dem ersten Weihnachtstag des Jahres 2021, um 20 Minuten nach 8 Ortszeit und 12:20 Weltzeit, was 13:20 mitteleuropäischer Zeit entspricht, vom Raumfahrtbahnhof in Kourou im frnazösischen Guiana das James Webb Space Telescope, zumeist als JWST abgekürzt, an der Spitze einer Arina 5 zu seiner gut zweimonatigen Reise zum zweiten Langrangepunkt des Erde-Mond-Systems starten. Der Beginn der Mission hat sich zahllose Male verschoben; der ursprünglich für das Jahr 2011 vorgesehene Start wurde erst auf 2014, dann 2015 verschoben, aus 2018 wurde 2020, und nachdem der teuerste und komplexeste Satellit in der Geschichte der unbemannten Raumfahrt endlich Anfang Oktober 2021 von einem Transportschiff am Flußhafen von Kourou entladen worden war, folgten weitere vier Verschiebungen des Starttermins - vom 11. Oktober, den die NASA Mitte Juni vor der Abreise bekanntgab, auf den 6. Dezember, den 18., schließlich auf Heiligabend und vor drei Tagen auf den ersten Weihnachtstag.
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Gut einen Monat wird es dauern, bis das Teleskop seine Endposition in rund 1,5 Millionen kilometern Entfernung erreicht haben wird. Während dieser Zeit wird der kritische Punkt die Ausfaltung des Hauptspiegels sein, dessen 18 goldbedanpfte Segmente zusammen einen Durchmesse von 6,3 Metern erreichen (im Vergleich dazu hat der Hauptspiegel des HST, des Hubble-Weltraumteleskops, das seit nunmehr 31 Jahren im niederen Erdorbit in 600 km Höhe Dienst tut, einen Durchmesser von 1,8 Metern.) Die endlosen Verschiebungen sind erklärlich: einmal in die Umlaufbahn befördert, ist das Instrument dem korrigierende Zugriff entzogen; eine Mission, wie wie 1993 vom Space Shuttle geflogen wurde, um die falsch geschliffene Krümmung des Hauptspiegels mit einer speziellen Korekturlinse auszugleichen, sind ausgeschlossen. Es wäre eine Enttäuschung sondergleichen, wenn die fast zwei Jahrzehnte Präzisionsarbeit und die fast 10 Milliarden Dollar, auf die sich die Baukosten mittlerweile belaufen, "für die Katz" wären.
Astronomen hängt nicht umsonst der Ruf an, zu den nüchterndsten Vertretern der STEM-Disziplinen, der messenden und wichtenden Fraktionen unter den Erforschern des Weltbaus, zu zählen. In ihrer Fixierung auf Meßwerte und Tabellen werden sie wahrscheinlich nur von den Kollegen übertroffen, die den Blick auf die entgegengesetzte Richtung in den Skala vom KLeinsten zum Größten gerichtet sind: den Kernforschern, deren Teleskope (oder besser: Mikroskope) die gewaltigen Teilchenbeschleuniger des CERN und vergleichbarar Einrichtungen darstellen. Und dennoch gibt es auch unter ihnen einen gewissen Hang zu Ritualen, zu symbolischen Handlungen. Das liegt in der menschlichen Natur. Von daher soll an dieser Stelle nicht das Schicksal herausgefordert werden, indem zu sehr über "noch ungelegte Eier" reflektiert wird, ehe sich nicht die kritischen Schritte der Mission in den nächsten Tagen und Wochen als Erfolg erwiesen haben. Deshalb soll es heute als ersten Blodbeitrag zu diesem Thema, dem hoffentlich noch einige folgen werden, als Ouvertüre nur ein Bildsequenz geben von jener vorerst letzten Station der Vorebreitung - vom Eintreffen des Teleskops in Kourou am 13. Oktober, der letzten kompletten Inspektion des Teleskops am 20. Oktober und dem vier Kilometer langen Transport des "vollbetankt" 6500 Kilogramm wiegenden Instruments - zur Betriebsflüssigkeit zählt vor allem flüssiges Helium zur Kühlung der Meßinstrumente - zur Startrampe, vor zwei Tagen.
Die Erststufe wird nach dem Abheben die Rakete und ihre Nutzlast 8 Minuten und 41 Sekunden lang beschleunigen, bevor die Stufentrennung erfolgt und das Triebwerk der in Deutschland gefertigten zweiten Stufe übernimmt. Nach weiteren 16 Minuten beträgt die Geschwindigkeit beim Brennschluß der zweiten Stufe 9,9 Kilometer pro Sekunde. Nach 27 Minuten und 7 Sekunden wird das Observatorium von der Oberstufe getrennt. Während des Starts werden die Systeme vom internen Speicher versorgt; die Ausfaltung der Sonnenzellenpaneele erfolgt als Erstes. Einen Tag nach dem Start enfaltet sich die steuerbare Hauptantenne sowie der Sonnenschutzschirm in der Größte eines Tennisplatzes, um die gekühlten Systeme besser bei der Betriebstemperatur von -233 Grad Celsius halten zu können. Mit den ersten Bildern ist - wenn alles wie vorgesehen abläuft, in etwa einem halben Jahr zu rechnen.
Vor einigen Tagen hat die NASA eine Reihe der Konstruktionszeichnungen des JWST freigegeben, für Betrachter, die an den technischen Feinheiten der Konstruktion interessiert sind.
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Um bei Thema Aberglauben zu bleiben ("Schutzzauber" können nicht schaden, wenn ihr Nutzen womöglich doch mit dem Wert "0" anzusetzen ist - auch russische Raumfahrer schlagen ja vor dem Start im den Weltraum ihr Waser an den Reifen des Busses ab, der sie zur Starttrampe gebracht hat, und es ist vielleicht nicht verkehrt, den Großen Galaktischen Ghoul milde zu stimmen, dessen Diät seit 60 aus Marssonden besteht, falls er seine Diät erweitern möchte.) Ich habe deshalb für den kritischen Zeitpunkt, morgen um 0820 Ortzeit, Julianisches Datum 2459573,84722, einmal eine "Nativität" gestellt, ein "Ereignishoroskop" - eine Beschäftigung, mit der zu Zeiten nicht wenige Sternkunde der Renaissance wie Cardano oder Seni das Geld verdienten, um in ihren Mußestunden ernsthaften mathematischen Kalkulationen nachgehen zu können. (Von den 10 großen Quartbänden der Opera Omnia von Cardano, dem wir immerhin die Erfindung des Kardangelenks verdanken, ist die Hälfte endlosen Tabellen für die Planetenpositionen aller Jahre des 15. und des frühen 16. Jahrhunderts gewidmet, die er zur Ermittlung der Planetenstände für jeden gewünschten Zeitpunkt benötigte. Man fragt sich, was er wohl für ein kommode zu bedienendes Planetariumsprogramm gegeben hätte, wie es heute mit zwei Mausklicks im Netz aufzurufen ist.) Bezeichnend ist auch, daß ein gewisser Herr von Schiller, als er kurz vor der Wende zum 19. Jahrhundert in Jena an einem Theaterstück über Walenstein, den Heerführer der Katholischen im Dreißigjährigen Krieg, arbeitete und dessen Glauben an die Gunst oder Ungunst der Sterne zum Thema machen wolte, sich an seinen Freund Johann Wolfgang (damals noch nicht "von") Goethe in Weimar wandte, mit der Bitte um einige handfeste Hilfestellungen à la "when the moon is in the seventh house / and Jupiter aligns with Mars..." - wie es 1968 im Musical "Hair" hieß - aber nur einige allgemeine Allgemeinplätze zur Antwort bekam: daß den Laien dergleichen als Unsinn erscheinen, aber "dem Verständigen dort manches Verborgene zu finden sei." Danach hatte Schiller zwar nicht gefragt (er schreibt am 4. Dezember 1798: "Ich muß Sie heute mit einer astrologischen Frage behelligen, und mir Ihr ästhetisch-kritisches Bedenken in einer verwickelten Sache ausbitten..."), aber Goethen hätte ohne Zweifel einen guten GrüßonkelBundespräsidenten abgegeben.
Die Auswertung überlasse ich Berufeneren. Aber der kleine Zyniker weist darauf hin, daß bei den für Heiligabend für 08:20 angesetzten Startermin der Mond genau 21 Minuten später in Opposition zu Saturn stand, die drei Himmelskörper Mond - Sonne - Saturn sich also genau in fluchtender Linie befanden, was zu einer massiven Verstärkung der negativen Aspekte führt, die die Sterndeuterei den Wandelsternen traditionell beilegt. Beim Saturn als dem am langsamsten umlaufenden der "klassischen" Planeten ist das die Bedächtigkeit; nicht umsonst ist ihm unter den Metallen das Blei zugeordnet. Aber unter diesem Zeichen scheint das Unternehmen JWST ja schon seit Anfang an zu stehen.
U.E.

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