21. September 2016

USA: Präsidentschaftswahl 2016. And the winner is...

47:23:18:50


Langggedienteren Lesern dieses Blogs wird es aufgefallen sein, daß die Wahlen zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika in diesem Blog bislang keine (und nur in sehr eingeschränktem Maß im angeschlossenen Diskussionsforum) Aufmerksamkeit gefunden haben. Ganz im Gegensatz zu den beiden vorhergehenden Wahlen, die vom Gründer dieses Netztagebuchs in ausführlichen Serien detailliert begleitet worden sind (hier und hier nachzulesen). Das liegt natürlich am Naturell von "Zettels Erben", ihrer Aufmerksamkeitsökonomie, ihrer Präferenzen, und, zumindest im Fall des Endunterfertigten, am doppelten Gefühl, vor den verlinkten Beispielen nur trübseliges Pfuschwerk präsentieren zu können und auf die anderen Seite angesichts des Dauersperrfeuers, mit dem unsere Medien den nun seit 18 Monaten laufenden Wahl- und Vorwahlkampf abdecken, wenig bis nichts Substanzielles zum Thema beitagen zu können.

Nicht, daß es sich nicht lohnen würde, der unisono entschiedenen proaktiven Heiligsprechung der demokratischen Kandidatin Hillary Rodham Clinton nebst der ebenso flächendeckenden Perhorreszierung ihres satanischen Gegenparts Donald John Trump, dem eigentlich nur noch eine tiefrote Hautfärbung nebst zwei Stirnhörnchen zur Komplettierung des Leibhaftigen abgehen, durch die hiesigen Medien sanft zu widersprechen, allein schon aus Gründen einer mephistophelischen Lust am Widerspruch halber ("Ein Kerl, den alle Menschen hassen: Der muß was sein", meinte Arno Schmidt einmal). Aber zum einen neigen auch die Mehrzahl de Media outlets der Anglosphäre, die man salopp, aber nicht ganz unzutreffend ausgedrückt, als "linksdrehend" bezeichnen könnte, zumeist zu einer polarisierten Sicht auf beide Kandidaten, die dem hiesigen Medienstadl kaum nachsteht.  Zudem ist eine solche manichäische Präsentation, streng in weißgutdemokratisch versus schwarzargrepublikanisch geschieden, seit dem legendären Kampf um die Thronfolge Dwight D. Eisenhowers zwischen John F. Kennedy und Richard Mulhouse Nixon im Herbst 1960 mit dem legendären ersten Fernsehduell zu einer unveränderlichen Tradition geronnen wie der alljährliche Sturz Freddy Frintons über den Tigerkopf. The same procedure as every four years.

Und schließlich zählen für den Endunterzeichner (im weiteren Verlauf als "ich" figurierend; das Adorno'sche Verdikt Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie ich sagen ignoriert dieses schreibend unlyrische Ich als alteuropäische Dünkelhaftigkeit) nicht die Fürfallenheiten des Wettbewerbs um die Stimmen der Wähler, sondern das Endresultat. Nicht also: "wen würdest du am liebsten gewinnen sehen?", auch nicht "wer sollte die Wahl gewinnen?" (Zwei Fragen, die durchaus nicht deckungsgleich sind, wenn auch der Endunt..., wenn auch ich  freimütig zugebe, daß ich mich, hätte ich je die Staatsbürgerschaft meines so nur portativen Vaterlands erworben, mich ins Wählerverzeichnis der Partei im Zeichen des Elefanten eingetragen hätte. Bekanntlich ist das, nicht die bloße Gegenheit der Staatsbürgerschaft, die Voraussetzung, sein Kreuzchen setzen zu dürfen.) Sondern: "wer wird die Wahl gewinnen?" Nicht zuletzt verdankt sich das einem über Jahrzehnte konditionierten Pawlowschen Reflex wider bundesdeutsche Wahlkrämpfe von den Straußstops bis zur Guidomobilisierung, dem ein fortwährendes unaufgehobenes Moratorium sämtlicher Gladiatorenwettstreite das liebste wäre.  Die amerikanische Variante dieses Schaukampfs mit monatelangen Vorwahlen in allen Bundesstaaten, der Bestimmung der Wahlmänner, der endlosen Kavalkade der Spendengalas zur Einwerbung von Wahlkampfgeldern, dient freilich einem weiteren, wichtigeren Zweck: Wer diese Ochsentour unbeschadet übersteht, von dem kann der Wähler sicher sein, daß er (bislang nur "er") sämtliche denkbaren Fährnisse der kommenden Inkumbenzperiode lässig zu meistern versteht. Wer also wird die Wahl am 8. November, in genau sieben Wochen, für sich verbuchen?

Die wöchentlich oszillierenden Polls, die Wahlumfragen, haben in den letzten Wochen kaum nennenwerte Schwankungen gezeigt, zumeist mit einem leichten Vorsprung von 1 bis 2 Prozent für Frau Clinton: also einem nicht nennenwerten Bonus - vor den gut 9 Prozent für den Kandidaten der Libertarian Party, Gary Johnson, und gut dreieinhalb für das Aushängeschild der Green Party, Jill Stein. (Sollte es Sie überraschen, daß es in den USA überhaupt eine Partei der Grünen gibt, geschweige denn, daß man dort als Wettbewerber ums höchste Staatsamt antritt: beide Kandidaten vereinigen auf sich ein reines Protestwählerpotenzial: die Stimmen derer, die am politischen Prozeß teilnehmen möchten - Nichtwähler dürfen sich nicht über ihnen mißliebige Ergebnisse beklagen - aber ihr Mißfallen an der eingefahrenen, zementierten zweihundertjährigen bipolaren Tradition zum Ausdruck bringen wollen. Eine Rolle in der politischen Willensbildung spielen sie nie; ein Faktum, daß auch allen ihren Wählern - naiven Idealisten ausgenommen, die es in den USA nicht weniger gibt als auf unserer Seite des Großen Teiches - völlig klar ist. "Third party politics" haben seit den Know-Nothings der 1850er Jahre in der amerikanischen Politik nie eine Chance gehabt; ihre Anliegen finden erst dann wirksamen Ausdruck, wenn sie Einlaß in die Agenda der beiden großen Monolithe gefunden haben; zuletzt hat die Tea Party diese Erfahrung machen müssen.) 

(Apropos Tea Party: bei näherer und unaufgeregter Betrachtung ist es frappant, welche Ähnlichkeiten, welche Parallelen die amerikanische Tea Party mit der bundesdeutschen AfD aufweist: vom staatspolitisch eingefleischtesten Konservatismus bei gleichzeitig breiten, teilweise durchaus liberalismus-kompatiblen Ausrichtung auf anderen Gebieten, etwa der Wirtschaft; der vehementen Rückbesinnung auf die eigenen demokratischen Startpositionen, ob nun die Gründerväter oder die "Väter des Grundgesetzes" benebst den Römischen Verträgen; die Rekrutierung der Wählerschaft aus der gesamten Breite des politischen Spektrums; die systematische Verteufelung bis hin zur Perfidie und blanken Lüge, über Jahre und zumeist ohne jede Faktenabprüfung, durch die meinungsbildenden Hauptstrommedien; nicht zuletzt das weibliche Führungspotential, von diesen diesen Medien als entweder spleenig-bizarr oder als autoritäre Hexe verteufelt; bei denen nüchternen Betrachter es dagegen schwerfällt, ihnen ob ihrer bisherigen Lebensleistung einen tiefen Respekt zu versagen. Neither Michelle Bachmann nor Ms von Storch may be you cup of tea - no pun intended - but Frauke Petry is our Sarah Palin.)

Der Gleichstand der beiden Spitzenkandidaten Clinton und Trump schien bislang das Urteil zu rechtfertigen: "es bleibt weiterhin spannend". Zumal die oft als ausschlaggebend angesehenen drei Fernsehduelle (am Montag, dem 26. September an der Hofstra University in Hempsted im Bundesstaat New York; am Sonntag, dem 9. Oktober am der Universität von St. Louis, und zuletzt am Mittwoch, dem 19. Oktober an der Universität von Nevada in Las Vegas. Vier; wenn man den Schlagabtausch zwischen den Kandidaten fürs Vizepräsidentenamt am 4. Oktober mitzählt.)

Jetzt sind freilich drei Facetten, kleine Aspektchen eigentlich nur, hinzugekommen, die mir jedenfalls doch hinreichend scheinen, an dieser Stelle meinen Hut in den Ring zu werfen - auch wenn meine track record als politische Kassandra höchst deplorabel ist. Nach meinem Dafürhalten ist das Rennen entschieden, gelaufen. finito. And, wie man seit einiger Zeit im Deutschen sagt, the winner is
- nicht Hillary Clinton. 

Die drei entscheidenden Episoden, die sie - wie gesagt, allein in meiner bescheidenen Sicht der Dinge - trotz ihrer politischen Amtserfahrung, ihres unangefochtenen Sympathiebonus ihre Chance gekostet haben werden, sind zum einen ihr Schwächeanfall bei der Washingtoner Gedenkfeier zum fünfzehnten Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001. Für sich genommen ist ein solcher Lapsus wenig entscheidend, zumal mit der Erklärung einer leichten, aber verschleppten Lungenentzündung. Allerdings haben die Widersprüche dieser Erklärungen das Augenmaß erst recht auf die bedenkliche Häufung von Aussetzern, scheinbaren Blackouts und Ähnlichem gerade in den letzten Monaten gelenkt (so etwa die Tatsache, daß sie seit fast zehn Monaten - als presidential candidate - nicht eine einzige Pressekonferenz gegeben hat). All das mag aalein dem gehäuften Stress des Wahlkampfmarathons gefordert sein, der endlich seinen Tribut fordert. Die Gerüchteküche der Sozialen Medien, die darin sich verdichtetende Symptome etwa einer lokal begrenzten Epilepsie zu erkennen vermeint oder einen akuten Schub einer seit Jahren latenten Erkrankung am Morbus Parkinson, wird das nicht zum Schweigen bringen. Allein der Verdacht, hier könnte jemand bewußt in Kenntnis einer progressiven Einschränkung ein solches Amt angestrebt haben, ist geeignet, einen schweren Schatten auf dieses Vorhaben zu werfen. Zwar haben auch frühere Präsidenten ihre körperlichen Einschränkungen, Franklin D. Roosevelt etwa seine Lähmung durch Polio, oder John F. Kennedy, vor der Öffentlichkeit verborgen gehalten, aber es handelte sich hier nicht um eine fortschreitende Symptome, in der Verlauf etwa die Unfähigkeit stehen könnte, das Amt auszuüben.

Gewichtiger ist vielleicht ihre gestrige Aussage, getan, nachdem die Identität des islamistischen Bombenlegers Ahmad Khan Rahmadi vom FBI publik gemacht worden war, aber bevor sein Aufenthaltstort ausgemacht war, vor seiner Festnahme, als vor ihm als "armed and dangerous" gewarnt wurde: Nach dem Zitat des Guardian:

Clinton: Trump rhetoric gives 'aid and comfort to our adversaries'

“I don’t want to speculate but here’s what we know,” Clinton says. “we know a lot of the rhetoric we’ve heard from Donald Trump has been seized on by terrorists” to portray a war against Islam, to “turn it into a religious conflict”. We’re not going to give Isis “exactly what it’s wanting”, she says.

Clinton: Trump hilft und unterstützt unsere Feinde. "I will jetzt nicht spekulieren; aber eins wissen wir: viel von der Rhetorik, die wir von Trump zu hören bekommen haben, ist von den Terroristen als Vorwand genommen worden, um den Konflikt als Krieg gegen den Islam darzustellen, um ihn zum  Religionskrieg zu machen. Wir werden dem IS nicht das geben, was er von uns will."

In dem Moment also, wo ersichtlich ist, daß Amerika auf eigenem Boden, wieder einmal, im Namen einer fanatischen, terroristischen, massenmörderischen Religionsauslegung angegriffen wird - deren einzige Rechtfertigung die Berufung auf eben diese Auslegung ihrer Religion ist, herausgerufen, plakatiert, maximal betont bei jedem Mord, jedem Gemetzel, daß, genauer gesagt, seine Zivilbevölkerung zum Ziel gemacht wird - da hat Frau Clinton nichts Besseres zu tun, als Herr Trumps angeblich zu bellizistischer Rhetorik eine Mitschuld an den fanatisierten Schlächtereien zuzuweisen - allein, um mit solch einem billigen Effekt punkten zu können. Man mag die Amerikaner für ihren oft ostentativen Patriotismus hierzulande wenig schätzen (wer das tut, beweist nur seine völlige Unkenntnis des amerikanischen Alltagslebens, in dem diese Facette eben nicht präsent ist); aber sie erwarten bei solchen Gelegenheiten die Betonung de gemeinsamen Werte, des Verbindenden, der eigenen Tradition der Freiheit und der Solidarität. Wie überall auf der Welt mag da, gerade bei offiziösen Großkopferten, ein gerütteltes Maß an Hypokrisie mitschwingen - aber es ist in solchen Momenten zutiefst ungehörig, sich statt dessen in Gehässigkeiten, für jedermann als solche erkennbar, zu ergehen.

Wirklich verspielt hat Frau Clinton ihre Siegeschancen aber drei Tage vor dem elften September, auf jener Wahlkampfvorstellung, als sie die Hälfte von Trumps Wählerschaft in das "basket of deplorables", den Korb (gern auch Eimer) der eben nicht nur im Wortsinn Bedauerlichen, sondern  der hoffnungslosen Fälle, der Unberührbaren sortierte:

"To just be grossly generalistic, you could put half of Trump's supporters into what I call the basket of deplorables... right? They'e racist, sexist, homophobic, xenophobic, islamophobic - you name it, And unfortunately, there are people like that. And he has lifted them up. [...] Now some of those folks, they are irredeemable, but thankfully they are not America."

Mal grob gesprochen, können SIe die Hälfte von Trumps Unterstützern in die Tonne sortieren. Stimmts? Das sind Rassisten, Frauenfeinde, Schwulenfeinde, Fremdenfeinde, Islamfeinde -alles was ihr wollt. Und leider gibts eben solche Leute. Und die hat es nach oben befördert. Einigen von diesen Leuten [i.S.: einer ganzen Menge davon] ist nicht zu helfen, aber Gottseidank sind die nicht Amerika.

Das geht nicht. 

Man kann, als Politiker, nicht nur als Anwärter aufs höchste Staatsamt, nicht ein voller Viertel seiner potenziellen Wählerschaft; nein: der Bürger, deren Staat man vorstehen soll, deren Interessen auf der Welt man vertreten und deren Wohl man mehren soll (das ist schlicht die Jobbeschreibung eines Präsidenten), aus der Gemeinschaft ausschließen, sie für hoffnugslos Umnachtete, Primitivlinge erklären und ihnen die Schimpfworte überkübeln, die die Kultur de Political Correctness seit Jahrzehnten als ultima injuria verbellt hat. Man mag diese Leute für irregleitet halten, ihre Sorgen für unbegründet und uninformiert, besserer Erklärungen oder der Überzeugung durch effektive Politik bedürftig - aber wer um Vertrauen und Amtausgabe wirbt, indem er die Umworbenen umstandslos dem Pack, der Mischpoke und Dunkelamerika zuschlägt, der darf sich nicht wundern, wenn er auch die Umstehenden und hier ersichtlich nicht Mitgemeinten verprellt.

Auf die Frage, ob die Aussicht auf einem Präsidenten Trump mir denn nicht schlaflose Nächte beschert, kann ich nur entgegnen, daß ich die Frage zwar rein semantisch verstehe, nicht aber auf einer viszeralen, emotiv gefärbten Ebene, also der Bande, über die allein bei uns solche Fragen gespielt werden. Trump ist ein höchst erfolgreicher Geschäftsmann, ohne den Heuschrecken-Halo eines "Erzausbeuters", einer "Heuschrecke des Kapitals" oder sonstiger Lieblingsschreckbilder aus dem Gruselkabinett; bei Hunderten von Erfolgen zählen in seinen Portfolio die wenigen Mißerfolge nicht, die unvermeidbar sind, wenn man eben auf eigenes Risiko in der Marktwirtschaft und nicht komplett abgesichert von anderer Leute Steuergeld unterwegs ist. Er hat bewiesen, daß er, wieder und wieder, bereit ist, auf Berater zu hören, seinen Stil abzuschwächen, das Ego, die Raubautzigkeit, die ihn so außerhalb des rückgradlosen, geschniegelten Opportunitätsbasars der Washingtoner Politrucks gestellt hat, zu zügeln. Die schlaflosen Nächte widme ich lieber den Sorgen über das hilflose, haltlose, sprachlose Personal, das nicht God's own country, sondern die täglich schneller alternde Alte Welt am Halfter führt.



  









  









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Ulrich Elkmann

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